Hamburg. „Lasst unsere Kinder nicht erfrieren“ – das riefen etwa 100 Flüchtlinge vor dem Rathaus. Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks reagiert.

Die sinkenden Temperaturen verschärfen die Flüchtlingskrise in Hamburg. Am Dienstag haben etwa 100 Flüchtlinge am Jungfernstieg und auf dem Rathausmarkt gegen die Unterbringung in unbeheizten Zelten protestiert. Sie zogen ohne die für die Bannmeile erforderliche Erlaubnis bis zur Rathauspforte – und trugen Schilder mit den Aufschriften „Uns ist kalt“ und „Lasst unsere Kinder nicht erfrieren“. In vielen Zelten herrschen derzeit tagsüber Temperaturen von etwa neun Grad, nachts sind es nur drei Grad. Derzeit leben 3600 Flüchtlinge in Hamburg noch in Zelten.

Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) kündigte gegenüber NDR 90,3 an, die Flüchtlinge so schnell wie möglich in festen Unterkünften unterbringen zu wollen. Nur die winterfesten Zelte der Bundeswehr würden weiter genutzt werden. Wohin genau die Flüchtlinge umziehen sollen, konnte Prüfer-Storcks nicht sagen. Holzhäuser oder Container seien eine Option, wenn auch nicht die ideale Lösung.

Am Rathaus formierte sich am Dienstag eine Kette aus Polizeibeamten und hielt die Demonstranten von dem Betreten der Diele ab. Die Bürgerschaftsfraktion der Grünen empfing kurzfristig sechs Flüchtlinge zu einem Gespräch. Fraktionschef Anjes Tjarks und die flüchtlingspolitische Sprecherin Antje Möller hätten ihnen eine „ehrliche Perspektive“ vermittelt, hieß es. Ein Sprecher der Innenbehörde sagte, es werde „mit Hochdruck“ an einer Verbesserung der Bedingungen gearbeitet: „Wir wissen, das große Eile geboten ist.“

Nach Abendblatt-Informationen sind bislang nur die Bundeswehrzelte am Ohlstedter Platz und der Oktavio­straße (Marienthal) mit etwa 700 Plätzen beheizt und isoliert. „An den Standorten Schnackenburgallee und Dratelnstraße sind ein Teil der Zelte nicht winterfest“, sagte Christian Martens, Sprecher der Ausländerbehörde. Wie berichtet, verfügen die meisten Zelte an der Schnackenburgallee in Bahrenfeld nicht einmal über einen Bodenbelag aus Pressholz. Dort leidet nach Angaben von Mitarbeitern „ein Großteil der Kinder“ an Bronchitis und anderen Atemwegskrankheiten.

Jenfeld: 20 Kinder mit Verdacht auf Lungenentzündung

Die Zelte im Jenfelder Moorpark mit 800 Flüchtlingen waren zu Herbstbeginn noch gar nicht mit zusätzlichen Heizmitteln ausgerüstet. Nach Angaben von Ehrenamtlichen wurden dort mehr als 20 Kinder mit Verdacht auf Lungenentzündung in umliegende Krankenhäuser gebracht. Im Gegensatz zur Schnackenburgallee und zur Dratelnstraße konnten keine zusätzlichen Decken aus beheizten Containern in die Zelte gebracht werden. „Die Freiwilligen haben – so gut es ging – dafür gesorgt, dass die Situation nicht komplett eskaliert“, sagt ein Mitarbeiter.

Am Dienstagnachmittag ließ die Stadt in Jenfeld Belüftungsrohre verlegen. Mit ihnen sollten die ersten Zelte noch am Abend provisorisch beheizt werden. Etwa 50 Bewohner versammelten sich, zogen lautstark durch das Camp und jubelten den Arbeitern zu.

Lange Wartezeit auf Heizlüfter

Die städtische Gesellschaft „Fördern & Wohnen“ hatte bereits Mitte September rund 290 Heizlüfter für die provisorischen Unterkünfte bestellt. „Wie bei aller anderen Ausstattung gibt es dabei inzwischen lange Lieferzeiten, die Nachfrage ist im gesamten Bundesgebiet groß“, heißt es im Senatsumfeld.

Wenn der Winter hereinbricht, werden die provisorischen Heizungen in Wilhelmsburg, Jenfeld und Bahrenfeld aber nicht mehr ausreichend sein. „Die Statik hält starken Schneefall nicht aus. Und die Isolierung ist so dünn, dass für jedes Grad zusätzliche Wärme eine enorme Heizkraft nötig ist“, sagt eine Führungskraft des Herstellers Lanco mit Sitz in Hannover. Nach Abendblatt-Informationen prüft das Technische Hilfswerk (THW) derzeit, wie die Zelte gegen Schneefall geschützt werden können. Eine zusätzliche Verkleidung der Innenseite scheidet aber aus Brandschutzgründen aus.

Flüchtlinge mindestens bis November in Zelten

Die Ausländerbehörde will die Zelte durch Holzpavillons ersetzen, Anfang November soll damit im Jenfelder Moorpark begonnen werden. „Die Planung für die Schnackenburgallee ist noch nicht abgeschlossen“, sagte Christian Martens. Derzeit wird angestrebt, dort Container aufzustellen, die aber nur noch in geringen Mengen auf dem Markt zu bestellen sind.

Wegen des Mangels an verfügbaren Wohneinheiten hat sich die Stadt inzwischen von der Strategie verabschiedet, große neue Containerdörfer als Erstaufnahme zu errichten. „Die Entwicklungen sind dynamisch, wir müssen mehrgleisig mit Hallen und allen Außenflächen für Folgeunterkünfte planen“, heißt es. Hoffnung auf kurzfristige Entspannung gibt die Wetterprognose: Zum Wochenende sollen die Temperaturen in Hamburg vorübergehend wieder auf bis zu 13 Grad steigen.