Hamburg. Kartons, Kisten und Ständer auf 10.000 Quadratmetern Fläche. Bis zu 1200 Bürger sortieren in einer Messehalle Spenden für Flüchtlinge.

„Kleiderkammer“ haben sie diesen Ort vor einigen Wochen genannt. Das war Anfang August, als die Stadt ziemlich plötzlich 1200 Flüchtlinge in einer Messehalle unterbringen musste, weil alle Erstaufnahmen in Hamburg schon lange überfüllt waren. Einige Leute fanden sich, die dort helfen wollten: Kleiderspenden sortieren, verpacken und verteilen. Sie bekamen dafür eine Ecke in der Nachbarhalle. „Hier, das sind noch unsere ersten Regale“, sagt Simone Herrmann. Die 36-jährige Vorstands-Assistentin deutet auf drei Baumarkt-Regale, in der feinsäuberlich T-Shirts verschiedener Größen gestapelt sind. Sie stehen immer noch in der Ecke. Doch die Kleiderkammer ist mittlerweile eine Kleiderhalle: Die knapp 10.000 Quadratmeter sind komplett mit Kartons, Regalen, Kisten, Kleiderständern belegt. Etliche Helfer eilen zwischen den Gängen, sortieren an Tischen, tippen in Computer. Grauhaarig sind manche, jünger viele andere. Eine 9. Klasse der Stadtteilschule Walddörfer hilft gerade in ihrer Projektwoche. Ein paar Frauen mit Kopftüchern stehen am Sortiertisch, daneben ein Punker. Ein Gewusel, das doch wohl organisiert erscheint. „Ist schon ziemlich bunt“, sagt Simone Herrmann, die nun zum Orga-Team gehört und immer wieder von Handyanrufen unterbrochen wird.

Längst ist aus der Kammer mit einigen Helfern so etwas wie ein großes Non-Profit-Unternehmen geworden. Aus dem Nichts heraus und ohne erkennbare Hierarchien hat es sich gebildet und scheint nach einem Prinzip zu funktionieren, das Forscher „Schwarmintelligenz“ nennen: Eine Organisation, die nur aus Freiwilligen besteht – manche sind von Anfang dabei, andere kommen für einige Tage, manche auch nur spontan für ein paar Stunden. Zwischen 500 und 1200 Menschen arbeiten täglich in der Halle oder sind für die Kleiderkammer unterwegs. „Das ist total professionell, irre“, sagt Messesprecher Karsten Broockmann. Auf die Frage des Reporters, was wäre, wenn es all diese Helfer nicht gäbe, wenn allein staatliche Institutionen die Versorgung hätten übernehmen müssen, zuckt er mit der Schulter: „Man kann nur hoffen, dass sich diese Hilfsbereitschaft fortsetzt“, sagt er dann.

Noch ist keine neue Halle in Aussicht

Ende des Monats aber werden die beiden Hallen für die Wassersportmesse hanseboot gebraucht. Die Stadt wird die Flüchtlinge an anderen Stellen unterbringen müssen. Die Kleiderkammer kann voraussichtlich bis Ende des Jahres bleiben, muss aber in eine andere Halle umziehen. Wohin es danach geht, ist noch unklar, noch ist keine neue Halle in Aussicht. Doch erst einmal werden jetzt noch immer Helfer gesucht, sagt Simone Herrmann, „gerade auch für einen geordneten Umzug“, wie sie sagt.

Ordnung und nicht Chaos ist hier eben zum Prinzip geworden. Man arbeitet in verschiedenen Abteilungen: in der Annahme, beim Sortieren oder in der Ausgabe, erklärt Domenik, 26, der ebenfalls zum Orga-Team gehört. „Alles ist wichtig für das Ganze.“ Er trägt einen dunklen Vollbart und Schirmmütze. Vor dem Sommer war er Gelegenheitsjobber, wie er sagt; mehr mit Kiffen und Sinnsuche beschäftigt, – heute eine Art Manager? Er lacht. Nein, das nun auch wieder nicht. Aber die Sache mit dem Sinn, glaubt er, ist die große Klammer. Jeder in der Halle wolle einfach etwas machen, nicht warten, bis Staat oder Politik dazu aufrufen. „Klar läuft mal etwas schief, das ist aber nicht schlimm, es funktioniert“, sagt er.

Und gleich der erste Eindruck bestätigt ihn: Schon vor der Halle gibt es Annahmestände, die geordnet nach Bekleidung für Männer, Frauen und Kinder sind. Immer wieder kommen Hamburger mit ihren Autos vorbei und laden Kleiderspenden aus. An einem langen Tisch direkt am Eingang informieren sich spontane Helfer. Jeder schreibt auf ein Stück Klebeband seinen Vornamen, dann ist man Teil des Ganzen. Hier vorn arbeitet auch Delain. Der 24-jährige Südafrikaner studiert in Kapstadt Wirtschaftswissenschaften und ist zur Zeit für ein Praktikum bei einer Werbeagentur in Hamburg. Als er von den Helfern in der Kleiderkammer hörte und mitmachen wollte, gab ihm sein Boss sofort frei. Mit Domenik, dem Gelegenheitsjobber, erklärt der angehende Betriebswirt nun Neuankömmlingen, wo man hier helfen kann. „Wir sind verschieden, ja, aber das ist unsere große Kraft“, sagt er.

Viele wollten und eigentlich nur spenden – und blieben dann

Viele der Helfer waren eigentlich nur Spender und blieben dann spontan dabei, so wie Inga Jorns. Die 41 Jahre alte Lehrerin hat gerade ein Sabbatjahr eingelegt, ihre geplante Reise hat sie erst einmal verschoben. Sie arbeitet nun in der Ausgabe, wo Flüchtlinge aus der Nachbarhalle eine Erstausstattung bekommen: Hygieneartikel, warme Jacke, feste Schuhe, einen Koffer. „Viele kommen auch jetzt nur mit Sandalen und leichten Hemden“, sagt sie. Auch hier funktioniert die Kleiderkammer nach einen eingespielten System. Mit Dolmetscherhilfe verteilen an einem Tresen Helfer wie die Lehrerin Hosen oder Unterwäsche, fragen, was gebraucht wird, halten zum Größenvergleich Jacken und Hemden hoch. Jeweils zwei „Läufer“ holen dann aus der Halle passende Stücke. In den Pausen gibt es Team-Besprechungen: Wie war’s, was muss besser werden?

Die Lehrerin Inga Jorns hilft bei der Ausgabe der Kleidung
Die Lehrerin Inga Jorns hilft bei der Ausgabe der Kleidung © Roland Magunia | Roland Magunia

Einige Meter weiter tippt Torben Scharf, 21, Zahlen in einen Computer, der Informatikstudent hat für die Kleiderkammer ein eigenes Programm geschrieben. „Sortenrein“ können nun Kartons und Paletten sortiert werden, erklärt er. Aufkleber zeigen, was drin ist. Wichtig ist dies vor allem für die Belieferung anderer Flüchtlingsunterkünfte.

Auch Carsten Bösche, 63, arbeitet hier in der „Registrierung“. Seine Berufsjahre verbrachte er bei großen Firmen im EDV-Bereich. „Da haben wir früher ein Jahr geredet, um so etwas zu organisieren – und dann hat es oft nicht funktioniert“, sagt er. Das Prinzip Kleiderkammer scheint da eben erfolgreicher zu sein.

So können Sie helfen

Was noch gebraucht wird:

Winterbekleidung für Männer in kleineren Größen (S und M), aber auch dicke Decken und Kopfkissen

Wo man spenden kann:

einfach zur Halle B7 fahren, Toreinfahrt befindet sich am Holstenglacis