Neuwerk . Neuwerk will kein Nationalpark mehr sein. Pferdemist muss auf dem Festland entsorgt werden, auch Pferdewindeln standen zur Debatte.
Es ist ein weiter Blick, den man oben auf dem alten Neuwerker Leuchtturm hat. Grün und scharf zeichnen sich die Wiesen der Insel von der blaugrauen Nordsee ab. Einige wenige Häuser erkennt man, den Deich, das Vorland, Pferde auf den Weiden. Schon im 14. Jahrhundert wachten hier auf dem Backsteinbau Hamburger über die Elbmündung, für die Stadt war es ein wichtiger Vorposten an der Elbmündung, um die Schifffahrt vor Seeräubern zu schützen. Mit Unterbrechungen ist Neuwerk seitdem offizielles Hoheitsgebiet und bis heute die einzige bewohnte Insel Hamburgs.
Ob das aber auch in Zukunft noch so sein wird, erscheint zweifelhaft, wenn man mit den Insulanern spricht. „Bald ist die Lebensfähigkeit Neuwerks dahin“, sagt etwa Volker Griebel. Der 63-Jährige ist Inselwart, so etwas wie der Sprecher der nur noch 30 Insel-Bewohner, die im inneren Teil, dem so genannten Binnengroden, wohnen. Ein sieben Meter hoher Deich schützt dieses kleine Dorf, er ist zugleich die höchste Erhebung dort.
Jetzt ist eine Abordnung mit Andy Grote (SPD), dem Chef des Bezirksamts Mitte, per Schiff auf die Insel gekommen. Neuwerk ist Teil des Bezirks – obwohl es gut 100 Kilometer entfernt vom Rathaus liegt. Alle paar Jahre gibt es solche offiziellen Besuche, man spricht in einer der Gasthäuser über kleine und große Probleme, über marode Bänke etwa oder über die neue Fußwaschanlage für Wattwanderer. Heute geht es aber auch um Grundsätzliches: Vor nun 25 Jahren wurde der Hamburger Teil des Wattenmeeres zum Nationalpark erklärt. Mit der Insel und seinen Bewohnern mittendrin. Seitdem müssen sie mit einem Korsett aus Beschränkungen leben, wie sie sagen. „Es wird immer schlimmer“, sagt Griebel und seine Neuwerker grummeln zustimmend. Jetzt wollen sie nicht mehr, wollen raus aus dem Nationalpark. „Der Binnengroden muss aus dem Nationalpark genommen werden“, fordert Griebel.
Die Liste ist lang, die jetzt zur Sprache kommt. Pferdemist müsse man auf dem Festland entsorgen, weil er nicht so lange wie früher gelagert werden darf. „Schwachsinnig, da müssten wir dann mit dem Trecker übers Watt hin fahren, da sei ja wohl schädlicher für die Umwelt “, sagt einer aus der Runde. Eine neue Wiesen-Saat, um Unkräuter auf den Weiden zu verdrängen, sei ihnen nicht erlaubt worden von der Parkverwaltung.
Umbauten, Anbauten – alles müsse auch von der Nationalparkverwaltung genehmigt werden, für neue Häuser gebe es praktisch ein Bauverbot. Kürzlich habe es sogar die Diskussion an der Küste gegeben, ob die Pferde der Watt-Kutschen Kotbeutel tragen müssten, regelrechte Pferdewindeln also, um den „Nährstoffeintrag“ in den Park zu verhindern. „Das kennen unsere Pferde nicht, die gehen durch“, befürchten die Neuwerker.
Kommentar: Neuwerk-Insulaner haben das Recht, frei zu leben
Aber es sind nicht allein die Neuwerker, die sich hier regelmäßig mit dem staatlichen Naturschutz anlegen. Die Hafenverwaltung „Hamburg Port Authority“ (HPA) ist auf der Insel wie im übrigen Hamburg auch für den Küstenschutz zuständig. Kürzlich bauten die HPA-Männer eine 250 Meter lange Rinne, die Ausspülungen durch Wellenschlag verhindern soll. Ein Schutzbau vor der Kraft des blanken Hans, der ständig an der Insel nagt und die Menschen dort bedroht.
Eine „Blutrinne“ sei dies, beschwerten sich die Naturschützer der Umweltbehörde bei den Küstenschützern der Wirtschaftsbehörde. Seeschwalbenküken würden sich dort verirren und von Möwen gefressen. Derzeit stoppt der Weiterbau. Man habe aber einen Kompromiss gefunden, heißt es in der Umweltbehörde auf Nachfrage, die die Kritik der Neuwerker zurückweist. Die Regeln für Stallmist auf der Insel seien nicht anders als anderswo. Auch eine Forderung nach Kotbeutel gebe es nicht, jedenfalls nicht von Hamburg. Im Gegenteil: Man würde der Landwirtschaft helfen. Doch eine Entlassung aus dem Nationalpark sei nicht möglich, weil allein schon das EU-Naturschutzrecht eine „Verschlechterung“ des Naturschutzes nicht zulasse. „Deshalb ist hier keine Änderung für die Insel Neuwerk geplant“, sagt ein Behördensprecher. Und auch am Bauverbot will die Behörde nicht rütteln lassen.
Es erscheint eben schwer, hier die unterschiedlichen Vorstellungen zu harmonisieren. Auf der einen Seite steht die Aufgabe, den Nationalpark in einem „vom Menschen nicht oder wenig beeinflussten Zustand zu entwickeln“, wie es in den Vorgaben des Bundesamts für Naturschutz für die 16 deutschen Nationalparks heißt. Und dann sind da die Bewohner, die wie in den Generationen zuvor dort leben, bauen und arbeiten wollen.
Was für die eine Seite ein Erfolg ist, sieht die andere da manchmal als Bedrohung: Das zeigt das Beispiel der Gänse. Vor einigen Jahren rasteten im Frühsommer noch etwa 3500 der einst gefährdeten Tiere auf Neuwerk, heute sind es 15.000. „Und die fressen alles kahl auf den Weiden und scheißen sie zu“, sagt Inselwart Griebel. Die erste Maht sei nicht mehr als Futter zu gebrauchen, enorme Schäden hätten die Betriebe auf der Insel. Doch nicht nur das: Der Gänsekot würde auch immer mehr den schützenden Deich schädigen, heißt es bei der Hafenverwaltung. Unter der dicken Kotschicht wachse das sichernde Gras einfach nicht mehr.
Dabei gäbe es mit dem Tourismus auch eine gemeinsame Klammer, mit der man die Ansprüche an Naturraum und Siedlungsraum versöhnen könnte: Bis zu 100.000 Besucher zählt die Insel im Jahr, in den Hotels und Pensionen gibt 120 Gästebetten. Längst ist der Tourismus Haupterwerb auf der Insel. Wer kommt, der schätzt das Inselfeeling, die Stille, die Weite und die reine Luft. Regelmäßig werden sensible Rennpferde nach Neuwerk zu einer Art Luftkur gebracht, Bienenköniginen werden hier gezüchtet, weil die Umweltbedingen so ideal sind.
Ein Paradies auch für Kinder, sagt Imme Flegel. Die 36-Jährige und ihr Mann leben auf der Insel, sie ist Biologin und arbeitet im Nationalparkhaus. Er betreibt eine einen kleinen Kreativladen, in dem T-shirts oder Kapuzenpulli mit Neuwerkmotiven verkauft werden. Beide haben zwei kleine Kinder und sind so etwas wie ein Symbol für die Überlebensfähigkeit der Insel. 2013 wurde die Inselschule geschlossen, weil kein Grundschulkind mehr nachkam, die älteren gehen auf ein Internat. In der arbeitsreichen Saison kümmert sich nun eine Kinderbetreuerin um die beiden einzigen Kleinkinder der Insel. Eine Mini-Kita, die durch den Rechtsanspruch auf Betreuung in Hamburg möglich geworden ist.
Heidrun Dietrich, die Betreuerin, ist eine pensionierte Lehrerin aus Stuttgart, eine Freundin hatte sie auf den ungewöhnlichen Sommer-Job aufmerksam gemacht. „Ich wollte sowie lang und weit verreisen – das hier ist irgendwie genauso“, sagt sie. Viel Aufwand für zwei Kinder, so erscheint diese Konstellation auf den ersten Blick. Doch es ruht darauf viel Hoffnung, weil es dann wieder weiter gehen könnte mit der Inselschule und dem alten Leben auf Neuwerk. Doch derzeit gibt es für Heidrun Dietrich keine Wohnung mehr auf der Insel, weil die alte Lehrerwohnung umgebaut wird. Ein Problem, das die Insulaner schon lange drückt. Wegen der strengen Auflagen können sie keine neuen Häuser bauen, sagen sie. Schwierig sei es deshalb, Mitarbeiter für die Hotels und Gaststätten zu bekommen. Aber ohne Wohnungen gebe es auch keine neuen Familien – obwohl Arbeit vorhanden wäre. Da müsse sich endlich etwas ändern, sagt auch Lehrerin Dietrich. Letztlich müsse sich Hamburg entscheiden, sagt sie: „Sollen hier bald nur noch Vögel leben – oder weiter auch Menschen?“