Hamburg. Von Wikingerinnen bis zur Frau Oberleutnant auf See: Das Internationale Maritime Museum erforscht die Rolle der Seefahrerinnen.
Ihren Master in Politikwissenschaften an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg hat sie problemlos gepackt. Eines Tages soll die Promotion folgen. Tabea Müllers große Leidenschaft jedoch geht weit darüber hinaus: Es ist das Meer.
Die 27 Jahre alte Rheinland-Pfälzerin, die auch das „Moin!“ perfekt beherrscht, kletterte als junge Kadettin in die Takelage der „Gorch Fock“ – sogar bei Windstärke elf. Sie fuhr an Bord der „Berlin“, einem Einsatzgruppenversorger der deutschen Marine, über die Ozeane. Stationen waren zum Beispiel Indien, der Oman, Ägypten, Marokko und Portugal. Derzeit absolviert Frau Oberleutnant zur See eine Hubschrauberausbildung an der Heeresfliegerwaffenschule in Bückeburg. Anschließend will sie ihren Traumberuf als Marinefliegerin ansteuern.
Trotz ihres Alters ist es schon jetzt eine besondere Lebensgeschichte mit einem ganz klaren Ziel. Ebenso wie für die gleichaltrige Hapag-Lloyd-Offizierin Silke Muschitz aus Lübeck, die für die Hamburger Linienreederei auf Containerschiffen arbeitet.
Das Internationale Maritime Museum in der HafenCity ist dabei, solche Werdegänge zusammenzustellen und demnächst wahrscheinlich in einer Ausstellung zu präsentieren. Motto: „Frauen an Bord – damals und heute“.
Initiator ist der ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete und parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion Wulf Brocke. Als freier Mitarbeiter und Rechercheur des Museums ist er auf gutem Wege, ein spannendes Kapitel der militärischen und zivilen Seefahrt darzustellen. Eine historische Einordnung gehört dazu.
Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Internationalen Maritimen Museums haben erstaunliche Fakten zusammengestellt. So ist überliefert, dass an der Entdeckung Amerikas durch die Wikinger vor rund 1000 Jahren mit Gudridur Thorbarndottir und Freydis Eriksdottir auch zwei Frauen beteiligt waren. In den Niederlanden und in Flandern waren Frauen schon im 16. Jahrhundert auf Binnenschiffen im Einsatz. Als berühmte Piratinnen verbreiteten 1710 Anne Boney und Mary Read Angst und Schrecken. Etwa ein Jahrhundert später kommandierte die Chinesin Zheng Yisao die Flottille eines großen Piratenbundes.
In Deutschland hielten männliche Seebären früher nichts von weiblichen Besatzungskräften. „Unnerröck an Bord, dat gifft Malheur“, hieß es traditionell. „Unterröcke an Bord bringen Unglück.“ Anders ausgedrückt: Frauensleut würden auf hoher See letztlich nur Scherereien bringen. Als Hauptargumente mussten angeblich mangelnde Kraft und Sorge um das männliche Wohlergehen herhalten. Die Männerwelt hatte unter sich zu bleiben.
Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs heuerten die Hamburg-Amerika-Linie sowie die Deutsche Levante-Linie dennoch Heizerinnen und Trimmerinnen an. Es mangelte an männlichem Personal. Und während des Weltkrieges rekrutierte die Wehrmacht auch Marinehelferinnen. Meist wurden sie in Stabsstellen an Land eingesetzt. Später halfen Frauen beim Transport von Flüchtlingen in den Westen. Auf der von der sowjetischen Marine im Januar 1945 versenkten „Wilhelm Gustloff“ mit mehr als 9000 Toten sollen 300 Marinehelferinnen im Einsatz gewesen sein.
Ausgerechnet Adolf Hitler machte den Weg frei für die erste deutsche Marineoffizierin. Eineinhalb Jahre vor der Kapitulation erteilte er der Hamburgerin Annaliese Teetz, geborene Sparbier, eine Sondergenehmigung: Im Dezember 1943 erhielt sie vom Direktor der Seefahrtschule in der Hansestadt das Steuermannpatent.
Zuvor fuhr sie heimlich – als Junge verkleidet – auf Fischdampfern mit. Die Seefrau aus Blankenese musste weitere Hindernisse umschiffen, bevor sie ihr Ziel erreichte: 1955 erhielt sie das Große Patent. Damit war Annaliese Teetz die erste Kapitänin Deutschlands.
Ihre einmalige Laufbahn schildert der „Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 23. April 1949 – Überschrift: „Der unbändige Trieb“. Auch im von Maike und Ronald Holst veröffentlichten Buch „Blankeneser Frauen“ mit 60 Frauenschicksalen aus zwei Jahrhunderten wird die Geschichte einer mutigen, selbstbewussten Hanseatin erzählt – bis zu ihrem Ende. Im Alter von 81 Jahren kenterte die Kapitänin im Ruhestand am 5. April 1992 auf der Elbe zwischen Blankenese und Schweinesand mit ihrem Ruderboot und ertrank.
Die Reederei wurde für dieses „Wagnis“ mit einem guten Klima an Bord belohnt
Das 1958 vom Bundestag verabschiedete Gleichheitsgesetz machte es Nachfolgerinnen leichter – theoretisch. Denn in der Praxis wurde es Frauen nach wie vor schwer gemacht, in der Männerwelt Fuß zu fassen. 2009 waren hierzulande nur fünf Kapitäninnen registriert. Als die angehende Politik-Doktorin und Marinefliegerin Tabea Müller am 1. Juli 2007 in die Marineschule Flensburg-Mürwik einrückte, waren immerhin schon rund 20 Prozent der Offiziersanwärter weiblich.
Zu den Pionierinnen zählen weitere Frauen, deren Werdegang Wulf Brocke im Auftrag des Maritimen Museums recherchiert hat. So war Heidemarie Schlott 1962 wohl die erste deutsche Seefunkerin. Ihr folgte in diesem Beruf 1975 Helga Ferchau aus dem Dorf Breiholz am Nordostseekanal. Die Männerbastion in der zivilen Seefahrt fürchtete sie nicht. Nach ihrer Funkausbildung in Lübeck heuerte sie auf dem Frachtschiff „Carola Reith“ an – 35 Männer und eine Frau.
Die Hamburger Reederei wurde für dieses „Wagnis“ mit einem etwas anderen, guten Klima an Bord belohnt. Drei Jahre später erlebte Helga Ferchau auf der „Columbus Noumea“ ihre Äquatortaufe. Die Urkunde hat das Maritime Museum in der HafenCity archiviert. Dort liegen auch Unterlagen der norddeutschen Schiffsfunkerin Cornelia Wulf, die sich zwischen der männlichen Mehrheit stark machte.
Längst sind Frauen in der zivilen und militärischen Schifffahrt keine Ausnahmen mehr. Stark präsent jedoch sind sie nach wie vor nicht. Laut Knappschaft Bahn See waren nur elf der 1167 Schiffsführer in der deutschen Seefahrt Frauen. Bei den nautischen Offizieren beträgt der Anteil 88 von 1598, bei den technischen Offizieren zwölf von 1607. Ausnahmen bestätigen also die – männlich dominierte – Regel.
Besser ist der Trend bei der Bundeswehr, bei Luftwaffe und Marine mehr als beim Heer. Seit 2001 stehen Frauen dort sämtliche Laufbahnen offen. Die angehende Marinefliegerin Tabea Müller berichtet von zwei Kolleginnen, die es in diesem Metier bereits geschafft haben. Und im vergangenen Jahr übergab die Marine das Kommando zweier ihrer Schiffe in Frauenhände.
In der Marine liegt der Anteil der Frauen schon bei gut zwölf Prozent. Davon konnten Pionierinnen wie Annaliese Teetz früher nur träumen.