Hamburg. Ende April wird die Haustechnik über dem Großen Saal fertiggestellt – Die Konstruktion unter dem Dach ist atemberaubend.

Denkwürdige Vorgänge hat der acht Jahre andauernde Bau der Elbphilharmonie schon viele produziert. Aber einige davon genießen mittlerweile Legendenstatus. Der 28. Januar 2010 war so ein Tag. Zum ersten und bis heute einzigen Mal ging der Baukonzern Hochtief von sich aus an die Öffentlichkeit, was ihm unter Androhung von Strafe seitens der Stadt als Auftraggeberin verboten war.

Doch an diesem Tag war dem damaligen Leiter der Niederlassung Hamburg, Thomas Möller, und seinen Kollegen der Kragen geplatzt. Mehr als tausendmal hätten die Architekten während des laufenden Baus die Pläne geändert, und er sehe es jetzt nicht mehr ein, dass Hochtief die Schuld bekomme, wenn sich der Bau dadurch verzögere und teurer werde. Zur Untermauerung seiner These präsentierte Möller zwei Metallkästen: einen Lüftungskasten aus dünnem Blech, wie er bis dahin geplant war (Möller: „Marke Kanalbauart“) und einen, wie die Architekten ihn sich neuerdings wünschten: wuchtig, gedämmt und vor allem viermal so schwer. Hunderte Tonnen Gewicht kämen dadurch hinzu, die ganze Statik des Gebäudes müsse neu berechnet werden, Kosten und Zeitablauf natürlich auch.

Wegen der Haustechnik stand die Elbphilharmonie 2010 vor dem Scheitern

Naturgemäß teilte die Stadt diese Sichtweise nicht, Regierungsvertreter beschimpften Hochtief als „bösartige Heuschrecke“, und der Bau der Elbphilharmonie stand am Rande des Scheiterns. Gut fünf Jahre und eine komplette Neuordnung des Projekts später nimmt diese Geschichte nun ein gutes Ende. Denn am 30. April endet die Frist für die Fertigstellung besagter Haustechnik über dem Großen Konzertsaal, und dieser Termin wird eingehalten: „Wir werden die Technik über dem Großen Saal pünktlich übergeben“, sagt Hochtief-Bauleiter Klaus Müller. Auch aus der Kulturbehörde heißt es, man sei „sehr optimistisch“, dass es keine Probleme mehr geben wird. Damit wäre auch der vorletzte Zwischentermin abgehakt. Vor der Eröffnung am 12. Januar 2017 folgt dann nur noch die Abnahme der Weißen Haut Ende Januar 2016.

Es ist ein kleines Wunder. Denn das, was Planer, Ingenieure und Handwerker da in die 18. bis 23. Etage zwischen drei Dachschichten gequetscht haben, ist schlicht atemberaubend. Auf einer Länge von 2,7 Kilometern winden sich gigantische Kanäle mit Durchmessern von bis zu drei Metern und einem Gesamtgewicht von 900 Tonnen durch das Dachgewölbe. Die gesamte Haustechnik über dem Großen Saal, inklusive Lüftungsmaschinen und Schalldämpfern so groß wie eine Auto-Garage, bringt es auf 8000 Tonnen. Das Ganze dient einem einzigen profanen Zweck: der Be- und Entlüftung des Großen Saals mit seinen 2150 Plätzen sowie im Ernstfall der Entrauchung.

Drei Faktoren haben die Aufgabe enorm erschwert: Zwischen dem untersten und dem obersten Sitzplatz auf den enorm steilen Rängen in der Elbphilharmonie liegen 18 Meter Höhenunterschied. Damit die Zuhörer in den oberen Rängen nicht wegen Sauerstoffarmut kollabieren, muss die Luft im Saal permanent umgewälzt werden. 130.000 Kubikmeter Luft müssen pro Stunde bewegt werden – 65.000 verbrauchte raus und 65.000 frische rein, wobei sie auch gekühlt oder erwärmt, getrocknet oder befeuchtet wird, je nach Bedarf. Im Brandfall schaufelt die Entrauchungsanlage mit ihren fünf Ventilatoren sogar 650.000 Kubikmeter Luft aus dem Saal. Das entspricht etwa der Leistung von 11.000 Badezimmer-Entlüftern. Die Musikliebhaber werden von all dem nichts mitbekommen. Unter jedem Sitz befindet sich zwar ein Luftauslass, 20 Zentimeter im Durchmesser. Aber jemand wird je erahnen, was sich dahinter verbirgt.

Elbphilharmonie kostet 789 Millionen Euro

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    Für das Einhalten des Termins 30. April bekommt Hochtief 40 Millionen Euro

    Die Kosten nur für diese Konstruktion können zwar nicht genau abgegrenzt werden, aber eine Zahl gibt einen Eindruck: Wenn Hochtief die Gebäudetechnik und das 250-Zimmer-Hotel am 30. April fertiggestellt hat, erhält der Konzern laut Vertrag 40 Millionen Euro. Insgesamt lässt sich die Stadt den Bau der Elbphilharmonie 865 Millionen Euro kosten, davon stehen 575 Millionen Hochtief zu.

    Die zweite Herausforderung bei der Haustechnik war die Architektur: „Die Geometrie des Gebäudes ist absolut ungewöhnlich“, sagt Torsten Steiner, der bei Hochtief das Projekt Elbphilharmonie leitet. „Die gesamte Technikzentrale musste um die Zipfelmütze herum realisiert werden.“ So nennen die Ingenieure das spitz zulaufende Dach über dem runden Saal. „Wir konnten kaum einen Kanal gerade montieren“, erklärt Müller. Mal schief, mal geneigt, mal gebogen, manchmal auch alles – für fast jedes Element mussten die Ingenieure eine individuelle Lösung finden. Hinzu kam, dass die Teile nicht einfach mit dem Kran ins Gebäude gehievt werden konnten. „Weil das Dach bereits geschlossen war und wegen der beengten Räumlichkeiten haben die Arbeiter die meisten Materialien mit reiner Muskelkraft hier nach oben gebracht“, sagt Müller.

    Die dritte Herausforderung hat ausnahmsweise mit Musik zu tun: Damit keinerlei Geräusche von außen in den Saal dringen – und auch nicht von dort in die anliegenden Wohnungen und das Hotel – ist der Große Saal vollkommen schallentkoppelt wie ein Kokon an Federn im Gebäude aufgehängt. „Wenn alle Zuhörer Platz genommen haben, senkt sich der Saal um sechs Millimeter ab“, berichtet Steiner. Konstruktionsbedingt gibt es daher außer der Betonschale des Saals darüber noch zwei weitere Dächer, und zwischen diesen Dachschichten, die mal zehn Meter und mal nur wenige Zentimeter übereinander liegen, spielt sich die ganze Haustechnik ab.

    Der japanische Star-Akustiker ­Yasuhisa Toyota, der für den Weltklasse-Klang im Saal verantwortlich ist, hat konsequenterweise eine weitere Vorgabe gemacht: „Alle Lüftungskanäle sind ausschließlich an der Außenschale befestigt“, betont Müller. „Nicht ein Kanal, nicht eine Schraube berührt die Saal-Schale.“ In den Kanälen sorgen zusätzlich Schalldämpfer aus Mineralwolle dafür, dass sich die Geräusche „verlaufen“. Zudem ruhen fast alle Bauteile, die nicht aufgehängt sind, auf Federn oder „Schwingungsdämpfern“, wie die Experten sagen.

    Die Sorge um störende Geräusche war auch ein Grund für den Zwist Anfang 2010. Seinerzeit hatte Toyota die Vorgabe gemacht, dass die Kanäle der Lüftungsanlage stabiler und besser gedämmt sein müssen. „Der Akustiker hat Masse verlangt, um die Schwingungen zu dämpfen“, erklärt Müller und nennt auch gleich den Grund: „Wenn draußen die Queen Mary vorbeifährt und ins Horn bläst, darf man das im Saal nicht hören.“ Dass dem so ist, davon haben sich die Experten von Toyotas Firma Nagata Acoustics schon persönlich überzeugt. Sie sind durch die Kanäle gekrabbelt, haben mit dem Gummihammer Geräusche simuliert und gelauscht, was nach außen dringt. Ergebnis: Alles gut.