Lärm, Unrat, Kriminalität – die zunehmende Kritik an den Zuständen am Jungfernstieg und in St. Georg beschäftigt jetzt auch die Bürgerschaft. CDU will Bezirklichen Ordnungsdienst zurück.
Hamburg. Der Jungfernstieg mutiert von der Pracht- zur Partymeile. Abends betrinken sich dort Jugendliche, immer wieder muss die Polizei einschreiten, weil sich die Halbstarken prügeln. Aufgemotzte Autos rasen lärmend über den Jungfernstieg, gefährden den Verkehr, nerven Passanten und Geschäftsleute. Die Pflastersteine, erst 2005 angeschafft, starren vor Dreck. Auch in St. Georg regt sich ziviler Widerstand – weil ein ganzer Stadtteil verwahrlost, beklagen Anwohner.
Lärm, Unrat, Kriminalität – die zunehmende Kritik an den Zuständen am Jungfernstieg und in St. Georg beschäftigt jetzt auch die Bürgerschaft. Karl-Heinz Warnholz (CDU) prangerte die Situation am Mittwoch in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft an. Er sprach davon, dass „an vielen Orten der Stadt sich Gauner, Gangster und Dealer“ breitmachen würden. Der Senat handele halbherzig, um diese Missstände abzuschalten, die SPD befinde sich im „innenpolitischen Blindflug“, so Warnholz. „Am Jungfernstieg hat sich eine Partyszene etabliert. Es wird gefeiert, gepinkelt und gerast, ohne dass es eine Radarmessung gibt.“ Zwar habe jeder das Recht, sich auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten, aber nicht jeder habe das Recht, alles zu tun. Warnholz forderte, dass die „Verwahrlosung verhindert werden“ müsse. „Die Abschaffung des Bezirklichen Ordnungsdienstes war ein schwerer Fehler. Er muss korrigiert werden.“ Dessen Abschaffung habe hamburgweit zu einem Anstieg der Verwahrlosungstendenzen in den Stadtteilen geführt. In St. Georg sei die Videoüberwachung gestoppt, die Polizeipräsenz zurückgefahren und die Durchsetzung der Kontaktverbotsverordnung zur Straßenprostitution nicht mehr umgesetzt worden. Dabei seien das erfolgreiche und effektive Maßnahmen zum Schutz der Anwohner gewesen.
Susanne Kilgast (SPD) warf der CDU-Fraktion im Gegenzug vor, „Angst vor der AfD“ zu haben. Sie gab zu, dass es „Probleme in St. Georg“ gebe. „Aber diese werden angegangen.“ Allerdings handele es sich bei St. Georg nicht um einen Stadtteil wie Alstertal. Farid Müller von den Grünen kritisierte, dass das Hausrecht am Bahnhofsvorplatz der Deutschen Bahn übertragen worden ist. „Damit ist die Trinkerszene aber nicht verschwunden, sondern nur verdrängt worden.“ Nun sei diese am Hansaplatz zu treffen. „Auch das Freierverbot hat nichts gebracht“, so Müller weiter. Die Praxis habe gezeigt, dass die Prostituierten und nicht die Freier bei Verstößen die Strafen zahlen müssten. „Und dieses Geld müssen die Prostituierten dann auch wieder erwirtschaften.“ Für die Probleme rund um den Hansaplatz forderte Müller einen runden Tisch. „Diese Probleme können nicht mit den Mitteln der Polizei gelöst werden.“
In einer Sache aber pflichtete er Warnholz bei. So hält Müller Tempo 30 am Jungfernstieg für richtig. Auch eine entsprechende Überwachung durch die Polizei. „Auf einem Boulevard wie dem Jungfernstieg muss man nicht rasen“, sagte Müller. Heike Sudmann kritisierte ebenfalls den Auftritt von Warnholz. „Diese Rede hätten Sie 2001 auch halten können.“ Heute gebe es aber in St. Georg keine vergleichbare dramatische Entwicklung, „aber Kritikpunkte, die angegangen werden müssen“.
Was die Anwohner in Harnisch bringt, lässt sich am Mittag am Hansaplatz in St. Georg nachvollziehen. Bereits um zwölf Uhr sitzen Männer einzeln oder in Gruppen mit einem Bier in der Hand am zentralen Brunnen. Auch an den Pfeilern am Rand des Platzes lungern Menschen mit Schnapsflaschen herum, Drogendealer warten auf Kundschaft. Rund um den Spielplatz in der Rostocker Straße liegt Müll auf dem Boden, ein Stromkasten ist zerstört, hier und da prangen Graffiti, es riecht nach Urin. Ein Stück weiter im Hauseingang eines leer stehenden Geschäfts in der Stralsunder Straße schläft ein Obdachloser, Glasscherben und Unrat verschmutzen die Fahrbahn.
„St. Pauli ist dagegen ein Kindergarten, denn dort gibt es viel mehr Kontrolle“, sagt Bistrobesitzer Eckard Kühn. Die größten Probleme seien die Trinker, die für Unruhe sorgten, aber auch Kriminalität und Drogen. Prostitution sei gang und gäbe, aber damit müsse man in Bahnhofsnähe rechnen, so Kühn. Den Gastronom, der seit vier Monaten das „Traumzeit“ am Hansaplatz betreibt, ärgert besonders, dass die Polizei nicht konsequent durchgreife. Mehrmals habe er die Erfahrung gemacht, dass Betrunkene sich an seine Außentische setzten, die Gäste belästigten und ihnen sogar in das Essen griffen. „Die Polizei bringt die Leute zwar weg, lässt sie aber gleich wieder gehen. Dann sind sie fünf Minuten später wieder hier“, sagt er. Kühn wünscht sich ein Platzverbot für die Störenfriede. Damit ist er nicht alleine: Zahlreiche Anwohner hatten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in einem offenen Brief aufgefordert, gegen die Verwahrlosung vorzugehen. „Die Zustände sind einfach nicht haltbar“, hieß es darin unter anderem.
Am Jungfernstieg tat sich gestern etwas: Am Nachmittag rückte die niederländische Spezialfirma Jadon an, um den Straßenbelag zu reinigen. Das sei aber Routine, die zweimal im Jahr anstehe, versicherte Reinhard Fiedler, Sprecher der Stadtreinigung. Etwa drei Wochen lang säubern die Niederländer immer nachts von 20 bis 5 Uhr die hellen Steine. Diese sind nicht unumstritten, da sie sehr empfindlich für Verschmutzungen und besonders die dunklen Kaugummiflecken gut sichtbar sind. Die Spezialmaschine entfernt die Vergrauung des Bodens effektiv mit einem Verfahren, das auf Hochdruck, heißem Wasser und Dampf basiert. Die Kaugummis müssen jedoch per Hand entfernt werden. Noch bis Anfang Oktober soll die Reinigung der 18.000 Quadratmeter großen Fläche dauern.