Bei Classic Cycles am Rande des Karolinenviertels haben Designliebhaber die Wahl zwischen Peugeot, Hercules oder Gazelle. Warum die Klassiker aus den vergangenen Jahrzehnten so beliebt sind.
Hamburg. Auf den Landstraßen ruckeln Pferdefuhrwerke über das Kopfsteinpflaster, Zeppeline verbinden im Liniendienst Deutschland und Brasilien, und in Hamburg rollt ein Herrenrad durch die Gassen, dunkelgrün, mit schwarzen Reifen. Fast 100 Jahre alt ist diese Szenerie, Kutschen und Luftschiffe haben sich schon lange auf Nimmerwiedersehen aus dem Verkehr verabschiedet. Räder dagegen sind auch aus dem modernen Alltag nicht mehr wegzudenken. Und das elegante Hollandrad, das schon in den 30er Jahren in der Hansestadt unterwegs war, wird bald wieder über den Asphalt rollen: Für gut 600 Euro steht das Gazelle-Modell von 1937, ein wenig verstaubt, aber fahrbereit, gedrängt zwischen anderen Fahrradpersönlichkeiten im Laden Classic Cycles zum Verkauf. Inhaber Stefan Jansa zeigt mit einer ausholenden Armbewegung über seine gut 80 Schätze: „Die sind alle überholt und verkehrstüchtig“, sagt der Inhaber des Geschäfts für Rad-Oldtimer. Ob der Royal Hunter von 1967 für 340 Euro, das französische Rennrad im Orange der 70er Jahre oder das sportliche Modell von Hercules mit der derzeit angesagten Doppelstange, die Auswahl bei Classic Cycles ist groß und bezahlbar. Der sympathische Händler hat mit dem Laden am Rande des Karolinenviertels seine Liebe zu alten Dingen zum Beruf gemacht – und dennoch ein Problem: „Ich kann die große Nachfrage einfach nicht decken“, sagt Jansa.
Egal, ob die Rentnerin aus der Nachbarschaft oder Feiervolk aus St. Pauli, sie alle sorgen dafür, dass kaum ein Exemplar länger als 14 Tage bei ihm bleibt. Dabei beantworten die Räder zu Preisen von 120 bis gut 600 Euro nicht nur die Mobilitätsfrage der Käufer, sondern dienen auch als Statement: „Ein schönes, altes Rennrad schieben Studentinnen durch die Schanze wie sie eine Handtasche tragen – als Accessoire“, sagt Jansa. Das Rad wird zum Modeartikel. „Und der Retro-Look ist ja schließlich auch in der Modebranche gefragt“, sagt Stephan Schreyer vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV). Der Marktkenner beobachtet besonders im urbanen Gebiet, in Berlin, Hamburg oder Zürich eine große Nachfrage nach den Klassikern. Ob Peugeot, Bianchi oder Raleigh, die renommierten Namen der Branche findet man heute in den Szenevierteln an jeder Ecke wieder. Bei vielen dieser Liebhaberstücke bedeutet Schönheit, dass man das Fahrrad auf das Wesentliche reduziert. Weder Schutzbleche noch Beleuchtung „stören“ an den Stil-Ikonen, die vor den Werbeagenturen in der Speicherstadt lehnen oder am Geländer neben dem Beachclub.
„Wer in der Großstadt wohnt, will oft nicht so viel Geld ausgeben, weil die Räder häufig gestohlen werden“, nennt Jansa ein weiteres Kaufargument für die alten Schätze. Zugleich vertrauten viele Kunden eher einem betagten Modell als einem neuen Produkt aus dem Baumarkt, wenn es um günstige Räder geht. „Noch echte Hercules-Qualität made in Nürnberg“, wirbt ein Verkäufer im Internet für ein Damenrad aus den 70er Jahren. Auch der größte Produzent der Niederlande, Gazelle, stellt seine Stahlrahmen nicht mehr selber her. „Die alten Modelle aus den 80ern rosten sehr viel weniger und sind häufig besser verarbeitet“, argumentiert Jansa. Heute rechneten selbst die in Manufaktur-Qualität herstellenden Marken bei vielen Teilen intern mit einer Lebensdauer von nur drei Jahren.
Neben Classic Cycles agieren noch eine Handvoll weitere Fahrradhändler in der Hansestadt im Gebraucht-Markt. Einige Anbieter haben sich mit einem günstigen Sortiment am Grindel in der Nähe der Uni angesiedelt, mit Superfiets in Eppendorf hat sich aber auch ein Edel-Shop für Rennrad-Klassiker in die Nische gewagt. Im Internet setzen ebay, aber auch Spezialisten wie bikesale.de auf Vintage-Stücke.
Der Handel mit Neufahrrädern sieht den Trend mit gemischten Gefühlen. Zwar profitiert die Branche davon, dass Radfahren auch Dank der ausgefallenen Oldtimer zum angesagten, urbanen Lebensgefühl gehört wie Sushi essen oder Carsharing. Aber wenn sich ein Kunde für ein gebrauchtes Motobecane entscheidet, anstatt zum neuen Kalkhoff zu greifen, geht der Industrie ein Käufer verloren. Hier sehen die Händler auch die Hersteller in der Pflicht: „Dass sich im Design in den letzten Jahre nicht wirklich viel getan hat, ist mit Sicherheit auch ein Grund für den Trend“, heißt es beim Verband des Deutschen Zweiradhandels (VDZ). Die Hersteller müssten künftig noch schneller auf Änderungen im Geschmack der Kunden reagieren.
Derweil bieten etliche Marken auch einfach neue Modelle im alten Design an: „Wir sehen eine steigende Nachfrage zu Rädern, die zwar einen Retrolook haben, aber mit moderner Technik ausgestattet sind“, sagt Arne Sudhoff, Sprecher von der Derby Cycle Holding, die Marken wie Kalkhoff oder Focus vertreiben. Als Grund sieht Sudhoff zum einen den Wunsch vieler Endkunden, ein „besonderes“ Fahrrad zu fahren, das sich von den anderen abhebt. Dazu komme, dass die alten Fahrradgeometrien, etwa mit gemufften Rahmen, im Zusammenspiel mit einer reduzierten, sehr klaren Farbsprache heute schon als Designklassiker gelten. „Sie sprechen damit Kunden an, denen neben der Technik auch das Design ihres Rads sehr wichtig ist. Das ist der gleiche Trend, der sich beispielsweise auch im Bereich von Möbeln, etwa bei Vitra, stark wiederfindet“, sagte der Sprecher.
Für Stefan Jansa von Classic Cycle zählen Design, Langlebigkeit und die Geschichten, die seine Räder erzählen. Er kauft die Stücke auf Flohmärkten, hat einen Pensionär in Holland, der ihm die Klassiker aus Garagen und Kellern in der Region um Enschede liefert und fährt zu Inserenten von Kleinanzeigen. Mit dem Gebrauchthandel möchte er aber auch beitragen zu einem nachhaltigen Konsum. Der Sozialpädagoge, der sich nach ersten Erfahrungen in der Arbeit mit Behinderten mit dem Laden einen alten Traum erfüllt hat, gehört zu den Kritikern der Wegwerfgesellschaft und lebt auch nach dieser Überzeugung. Vor seinem Geschäft parkt sein VW-Bus aus den Achtzigern, meistens fährt er aber mit dem Fahrrad: „Ich habe mir ein altes deutsches „Stricker“ fertig gemacht, ein total charmantes Teil“, sagt der 41-Jährige, der mit seinen Lieblingsrädern allerdings immer wieder ein Problem hat, sagt der Wilhelmsburger lachend: „Ständig kommt jemand, der sie mir abkaufen will“.