Dank der sensationellen Entdeckung von Prof. Rainer-Maria Weiss und seinem Archäologenteam wissen wir, dass die Hammaburg auf dem Domplatz stand. Doch noch gibt es viele Rätsel um die Frühzeit Hamburgs.
Den Glauben verloren, die Heimat verloren, die Freiheit verloren – die Niederlage war total. 30 Jahre lang hatte der germanische Stamm der Sachsen erbitterten Widerstand gegen den Eroberungskrieg des Imperiums geleistet, Zehntausende waren in den Kämpfen gestorben. Die Stammesbrüder weiter südlich hatten schon lange aufgegeben, und jetzt, im Herbst des Jahres 804, mussten auch die letzten Kämpfer nördlich der Elbe einsehen, dass Widerstand gegen den Kaiser keinen Sinn mehr hat.
Aus der kleinen Hammaburg sind sie schon vertrieben worden, als Kaiser Karl ein Heer geschickt hatte, um diesen Krieg „im fernen Norden“ endgültig zu beenden. Und dazu hatte sich der christliche Herrscher sogar mit den heidnischen Slawen – den Abotriten – verbündet. Denen sollte nun alles Land von der Elbe bis zur Eider gehören. Die Sachsen aber sollten verschwinden, nach Süden. Christen und treue Untertanen mussten sie nun sein, und Steuern zahlen mussten sie natürlich auch. Die Lage war verzweifelt. Würde es noch eine Zukunft für sie geben?
Kaiser Karl wollte die Slawen als Puffer zu den Dänen nutzen
Die Lage in diesem Jahr 804 ist in der Tat ziemlich unübersichtlich. Für Karl den Großen, seit vier Jahren Kaiser und Herrscher über ein Reich, das von Nordspanien bis zur Elbe und vom Balkan bis zur französischen Atlantikküste reichte, gab es längst drängendere Probleme als diesen letzten, kleinen Aufstand im hohen Norden. Und was genau in den folgenden Jahren an der Elbe und in der Hammaburg passierte, bleibt ziemlich unklar. Dass die aufständischen Sachsen regelrecht deportiert wurden, wie es in manchen Quellen heißt, stößt bei vielen Historikern allerdings auf Zweifel. Klar ist, dass die abotritische Herrschaft nur kurz dauerte. Dieses slawische Volk, das entlang der Ostseeküste bis Ostholstein gezogen war, sollte im Aufrag Karls die Dänen in Schach halten. Doch sie wurden geschlagen und mussten Tribute entrichten, sodass Karls Plan schon nach wenigen Jahren gescheitert war.
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Sein Pakt mit den Slawen macht deutlich, dass es damals keineswegs um „ethnische“ Konflikte ging, auch so etwas wie Nationalismus war den Menschen völlig fremd. Karl ging es um Macht, und die Kirche (und damit der Glaube) war sein wichtigster Stützpfeiler. Deshalb kam es zu Zwangstaufen als Zeichen der Unterwerfung. Immerhin versuchten einige Kleriker, Karl zu überzeugen, dass die Mission „mit Flamme und Schwert“ kaum geeignet ist, die Menschen vom Christentum zu überzeugen. Und so wurde sein Vorgehen etwas moderater. Er gestattete den Sachsen, ihr altes Volksrecht weiter anzuwenden. Jedenfalls sofern es nicht dem Christentum widersprach.
Ab 812 jedenfalls lebten die Sachsen wieder in ihren angestammten Gebieten – ob sie nun zurückgekehrt oder gar nicht erst verschwunden waren. Der Kaiser ging zu Plan B über, indem er eigene Truppen schickte und Burgen bauen ließ. Die nördlichste hieß Eselsfeldt beim heutigen Itzehoe. Von dort aus sollte die Grenze gegen die Dänen gesichert und das heidnische Nordvolk bekehrt werden. Deshalb wurde mit Ebo von Reims auch ein Bischof entsandt. Irgendwann in diesen Jahren gewann auch die Hammaburg an Bedeutung, sie wurde jedenfalls von den neuen Herren vergrößert und neu befestigt. Und ein fränkischer Adliger kam als Burgherr und Markgraf – als Mark wird eine Grenzregion bezeichnet. Wann genau dies geschah, weiß man allerdings nicht.
Einen wichtigen Schub erhielt der Standort an Alster und Elbe durch Streitigkeiten in der kaiserlichen Herrscherfamilie. Nach Karls Tod 814 folgte sein Sohn Ludwig (Beiname: der Fromme) auf den Thron. Doch zwischen ihm und seinen Söhnen Ludwig, Lothar und Karl kam es wegen Erbstreitigkeiten bald zu erbitterten Auseinandersetzungen. Bischof Ebo stellte sich dabei gegen den Kaiser – und verlor seinen Einfluss und seine Stellung.
Stattdessen wird der Mönch Ansgar 832 nach Hamburg geschickt, das zum Sitz des neuen Erzbistums wird. Daraus schließen die Historiker, dass die Siedlung eine gewisse Größe und Bedeutung gehabt haben muss. Ziemlich sicher war sie bereits ein wichtiger Handelsplatz. Natürlich hat der neue Bischof eine Kirche bauen lassen. Doch während nach den neuen Entdeckungen des Hamburger Archäologen Rainer-Maria Weiss und seines Teams nun klar ist, wo die Hammaburg stand – nämlich auf dem heutigen Domplatz –, wurde diese erste Hamburger Kirche noch nicht gefunden. Ziemlich wahrscheinlich stand sie dort, wo heute die Petrikirche ist.
Ansgar hatte den Auftrag, die Dänen und die Slawen zu missionieren. Man geht davon aus, dass er fast nie in Hamburg, sondern ständig auf Reisen war. In Haithabu, das in diesen Jahren als Handelsplatz an Bedeutung gewann, war er ebenso wie in Rerik an der Ostsee und in Ribe an der Nordsee, der damals wichtigsten Stadt auf dem dänischen Festland. Nachhaltigen Erfolg hatte er jedoch nicht: Die Christianisierung der Dänen setzt erst mehr als 100 Jahre später ein. Und auch dann wird es noch sehr lange dauern, bis sich der neue Glaube bei den Skandinaviern wirklich durchsetzt.
Doch für Ansgar (und Hamburg) kam es viel schlimmer: 845 schickten die Dänen eine kleine Flotte die Elbe hinauf, überfielen die Hammaburg und zerstörten sie. Markgraf Bernhard war (warum, ist unklar) nicht in seiner Burg; von Ansgar heißt es in den Quellen, er sei mit knapper Not entkommen. Wie viele der vielleicht 200 Bewohner der Hammaburg dem Angriff zum Opfer fielen, ist völlig unklar. Sicherlich konnten einige fliehen und kehrten auch rasch wieder zurück. Für Ansgar galt das nicht: Er ließ sich in Bremen nieder, wo das Erzbistum von nun an seinen Sitz hatte.
Was im folgenden halben Jahrhundert in Hamburg geschah, darüber ist nur sehr wenig bekannt. Eine neue Befestigungsanlage wurde offenbar nicht gebaut, jedenfalls haben die Archäologen keinerlei Spuren finden können. Bewohnt war die Siedlung aber gewiss; zumindest im ausgehenden 9.Jahrhundert muss der Handelsplatz floriert haben. Denn um das Jahr 900 wurde eine neue, viel größere und stärkere Befestigung errichtet als es bei der alten Hammaburg der Fall war. Dieser kreisförmige Schutzwall hatte mit rund 150 Metern einen doppelt so großen Durchmesser wie die Hammaburg knapp 100 Jahre zuvor.
Im 10.Jahrhundert kann man von einer rasanten Entwicklung sprechen – und von einer echten Stadt, die Hamburg nun wurde. Es ist eine Zeit großer Umbrüche: politisch und wirtschaftlich. Das karolingische Reich war zusammengebrochen, schon Mitte des 9. Jahrhunderts hatten sich die zerstrittenen Erben des Kaisers auf eine Teilung des Reiches geeinigt. Nach vielen Wirren kristallisierten sich schließlich drei Teile heraus: das Westfrankenreich, das nach Kaiser Lothar benannte Lothringen in der Mitte und das Ostfrankenreich, zu dem Hamburg gehörte.
Von einem „Reich“ mit straffer zentraler Führung konnte allerdings kaum die Rede sein, es war eher ein ziemlich lockerer Verbund von Herzogtümern, vor allem der Bayern im Süden, der Schwaben im Südwesten und der Sachsen im Norden. Das änderte sich, als es der Sachsenherzog Heinrich 919 schaffte, sich zum König wählen zu lassen und nach einigen Jahren auch allgemein anerkannt wurde. Jetzt begann sich das „Deutsche Reich“ zu entwickeln, auch wenn dieser Name erst viel später verwendet wurde. Heinrichs Sohn Otto wurde 962 in Rom sogar zum Kaiser gekrönt und war der mächtigste Herrscher in Europa – eineinhalb Jahrhunderte, nachdem die Sachsen keine Zukunft mehr zu haben schienen.
Im 10. Jahrhundert gibt es eine Art Wirtschaftswunder im Ostseeraum
In Hamburg dürfte die Bevölkerung zu dieser Zeit längst ziemlich gemischt gewesen sein: Slawen und Friesen werden ebenso in die Stadt gekommen sein wie Franken und Dänen. Die Stadt „boomte“ jedenfalls, was sich auch in der Bautätigkeit zeigte. Der erste Mariendom, noch aus Holz, wird gebaut. Und Funde wie eine arabische Waage zeugen davon, dass es sogar mit dem islamischen Kalifat von Bagdad Handel gegeben hat. Der Warenaustausch zwischen Orient und Nordeuropa hatte gewaltige Dimensionen: Es gibt Hunderttausende Funde von arabischem Silber in Skandinavien und im Ostseeraum, der im 10. Jahrhundert voll erschlossen wurde. Die Araber kauften vor allem Pelze, Honig, Wachs und Bernstein, Haithabu erlebte seine Blütezeit, und auch Hamburg profitierte nachhaltig.
Dazu beigetragen hat auch das Klima, das im 10. Jahrhundert sehr viel milder wurde als in der Phase zuvor. Es gab kürzere Frostperioden, bessere Ernten und damit ein stärkeres Bevölkerungswachstum. Und auch die Gefahr von außen wurde kleiner, seit die Ungarn 955 vernichtend geschlagen waren und die Wikinger immer weniger plünderten und immer mehr handelten. Ganz friedlich waren die Zeiten allerdings nicht; so gab es noch im Jahr 983 einen Überfall von aufständischen Slawen auf Hamburg. Das Fundament aber, auf dem schließlich eine Millionenstadt entstehen sollte, konnte nicht mehr erschüttert werden.
Ab dem 11. Jahrhundert weiß man immer mehr über die Stadtgeschichte, große Lücken in der Historie gibt es nicht. Für die Zeit davor bestehen noch viele Fragezeichen. Das größte Rätsel aber ist gelöst. Die Hammaburg, die Keimzelle Hamburgs, ist gefunden. Der Ort, an dem alles begann, ist auf dem Domplatz.