Die Wilhelmsburger Ganztagsschule Fährstraße und der Verein Interkulturelle Waldorfpädagogik arbeiten künftig in einem achtährigen Schulversuch zusammen. Schulsenator Ties Rabe stellte das Projekt vor.

Hamburg. Grundschüler in Wilhelmsburg sollen künftig mit „Herz, Hand und Verstand“ lernen. Die Schulbehörde will an der Schule Fährstraße wesentliche Elemente aus der Waldorf-Pädagogik in den Unterricht integrieren. Dazu kooperiert sie mit dem Verein Interkulturelle Waldorfpädagogik in Hamburg. Dieser stellt ab dem nächsten Schuljahr ausgebildete Waldorf-Pädagogen zur Verfügung, die die Lehrer an der Wilhelmsburger Grundschule unterstützen werden. Los geht es mit den ersten Klassen, dann soll das Angebot sukzessive aufgebaut werden. Senator Ties Rabe (SPD) stellte das Projekt, das zunächst als achtjähriger Schulversuch angelegt ist, gestern nach einer fast zweijährigen Planungsphase vor.

„Wir möchten ein attraktives Bildungsangebot für alle Kinder in Wilhelmsburg entwickeln, egal ob sie Migrationshintergrund, Startschwierigkeiten oder beste Leistungsvoraussetzungen haben“, so der Schulsenator. Wie die Schule künftig heißen wird, ist noch nicht entschieden. Auch ein konkretes Unterrichtskonzept muss noch ausgearbeitet werden. Fest stehen aber die als vorteilhaft geltenden Aspekte, die in die Unterrichtspraxis integriert werden sollen: das projekt- und handlungsorientierte, ganzheitliche Lernen, die vertiefte fächerübergreifende Themenbearbeitung, intensive musische, künstlerische und handwerkliche Lernangebote sowie eine Reduzierung des Leistungsdrucks. Bei der Notengebung wolle man „ein Stück weit die Zügel locker lassen“, so Rabe. Die Schule könne weitgehend alleine entscheiden, wie sie Leistungen beurteilen wolle.

Auch das Festlegen der Klassengröße bleibt Schule und Waldorf-Initiative überlassen. Momentan gilt für Wilhelmsburg eine maximale Klassengröße von 19 Schülern. Möglich ist, dass künftig zwei oder drei Schüler mehr eine Klasse besuchen, diese dafür aber von zwei Lehrkräften geleitet wird. Die Schule, die wegen ihrer benachteiligten Lage ohnehin zusätzliche Ressourcen bekäme, würde weiteren „Rückenwind“ erhalten, so Rabe. Seine Behörde unterstützt das Projekt mit einer zusätzlichen vollen Stelle und Teilzeitstellen für die ersten Klassen; außerdem wird die bislang dreizügige Grundschule vierzügig ausgebaut. Alle Pädagogen, die an der Schule unterrichten, seien „ordentliche Lehrkräfte“, betonte Rabe. Sie verfügten über das erste und zweite Staatsexamen, die Waldorf-Lehrer hätten zusätzlich eine ergänzende Schulung durchlaufen. Es werde keine „staatliche Waldorfschule“ entstehen, sondern eine staatliche Schule, an der Elemente der Waldorfpädagogik eingebunden würden.

Die Idee zu der Schule kam von dem Wilhelmsburger Waldorf-Verein, der im Stadtteil bereits zwei Kitas betreibt. Nachdem er 2009 plante, auch eine Schule im Stadtteil zu gründen, wandte sich die Schulbehörde mit der Bitte um Kooperation an die Initiative. „Wir wollten eine Separierung verhindern“, sagte Rabe. Seine Befürchtung: sogenannte bildungsnahe Wilhelmsburger Familien würden ihre Kinder aus den öffentlichen Schulen des Stadtteils nehmen, so dass für diese nur noch Kinder mit problematischem Hintergrund „übrig“ blieben.

„Wir wollen zeigen, dass eine Waldorf-Schule auch in bildungsfernen Stadtteilen funktioniert“, sagt Projektleiterin Christiane Leiste von der Waldorf-Initiative. Sie ist mit der bisherigen Zusammenarbeit mit dem Fährstraßen-Kollegium sehr zufrieden. „Wir haben viel voneinander gelernt“, so Leiste. Die Wilhelmsburger Lehrer wären erfahren im Umgang mit den Kindern aus dem Stadtteil, sie und ihre Kollegen in der waldorfpädagogischen Arbeit.

Ulrike Klatt, Leiterin der Schule Fährstraße, freut sich über die Zusammenarbeit. „Durch die Internationale Bauausstellung hat das Reiherstiegviertel viele neue Bewohner erhalten und ist jetzt sehr gemischt. Wir können künftig ein Bildungsangebot machen, dass allen gerecht wird.“ Jetzt gelte es, die Eltern mit einzubeziehen und deren Wünsche bei der Ausarbeitung des Konzepts mit einzubeziehen.

Doch nicht alle freuen sich über die Waldorfpädagogik in Wilhelmsburg. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) e. V. will das Projekt verhindern und hat 2200 Unterschriften bei Ties Rabe eingereicht. „Die waldorfpädagogische Schulform lässt zeitgemäße Pädagogik weitestgehend außer Acht“, so Mitglied André Sebastiani. Stattdessen fußten alle pädagogischen Konzepte auf der esoterischen Lehre der Anthroposophie von Rudolf Steiner.

Schulsenator Rabe wies die Bedenken der Gesellschaft als „obsolet“ von sich. „Wir wollen nicht die Lehre Steiners in die Schulen entsenden, sondern waldorfpädagogische Elemente verwenden, die mit den Bildungsplänen vereinbar sind.“ An der Albert-Schweizer-Schule in Klein Borstel funktioniere das seit mehr als 60 Jahren.

Ob sich die Waldorfpädagogik auch in Wilhelmsburg bewährt, soll wissenschaftlich vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung evaluiert werden. Darüber hinaus nimmt die Schule an allen Schülerleistungsstudien teil, ist aber von der Lernstandserhebung KERMIT in Jahrgang 2 befreit.