Hamburg. Der junge Franzose kam zur G20-Demo, um ein Mädchen wieder zu finden. Jetzt stand er vor Gericht, weil er Polizisten attackiert hatte.
Als das Urteil verkündet ist, faltet Simon D. die Hände und flüstert „Danke“ in Richtung des Richters, der Staatsanwältin und seines Verteidigers. Dann fällt er weinend seiner Mutter in die Arme, die für diesen Tag aus dem französischen Nancy in das Amtsgericht Altona geeilt ist.
Der 21-Jährige hatte am Freitag allen Grund, erleichtert zu sein. Im ersten G20-Verfahren war ein junger Niederländer zu zwei Jahren und sieben Monaten wegen Werfens von zwei Flaschen gegen Beamte verurteilt worden – ohne Bewährung. Der Franzose erhielt jetzt ein viel milderes Urteil, obwohl er laut Anklage sogar sechs Flaschen warf.
Zu verdanken hatte Simon D. die Bewährung seinem umfassenden Geständnis, seiner Reue („Das war eine Riesendummheit“) und seiner Erklärung für seine Anreise nach Hamburg, die zunächst in etwa so glaubwürdig klang wie ein öffentliches Gewaltverzicht-Bekenntnis des Schwarzen Blocks.
G20-Gegner trug T-Shirt mit dem Aufdruck "Ich will Naomi finden"
Der schmächtige junge Mann beteuerte, er habe in Hamburg ein Mädchen wiederfinden wollen, in das er sich zuvor in Portugal bei einem Musikfestival verliebt habe. Leider habe er es versäumt, ihre Handynummer zu notieren, er habe nur noch gewusst, dass sie als Greenpeace-Aktivistin gegen G20 habe demonstrieren wollen: „Nur deshalb bin ich nach Hamburg gekommen.“
Der Richter schüttelte ungläubig den Kopf: „Wie wollten Sie denn das Mädchen in diesen Menschenmassen finden?“ Simon D. antwortete: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“ Kurioserweise konnte sein Verteidiger diese Version ausgerechnet mit Fotos und Videos der Randale stützen, die sich sonst eher strafverschärfend auswirken. Denn auf den Bildern ist in der Tat der junge Franzose in einem T-Shirt zu sehen, auf das er in Englisch „Ich will Naomi finden“ gepinselt hat. Zudem trägt er ein Plüschtier und eine bunte Handtasche. „Sie sind kein herumreisender Chaot“, sagte der Richter und bescheinigte dem Täter eine große Portion Naivität.
Und so steht der Fall Simon D. wohl exemplarisch für die Spezies Randalierer, die sich binnen Sekunden von Schaulustigen zu Gewalttätern wandelt – ein Massenphänomen bei den schweren Krawallen rund um G20. „Ich habe gesehen, wie Polizisten auf Demonstranten eingeschlagen haben“, sagte Simon D., daraufhin sei er so wütend geworden, dass er Flaschen gegen die Polizisten geworfen habe. In der zweimonatigen Untersuchungshaft sei ihm aber klar geworden, dass auch Beamte Menschen seien, mit denen man so nicht umgehen dürfe. Die U-Haft sei für ihn „die Hölle“ gewesen.
Simon D. muss Geldbuße von 500 Euro zahlen
Sowohl die Staatsanwältin als auch der Richter redeten dem Franzosen ins Gewissen. Es sei pures Glück gewesen, dass kein Polizist verletzt wurde. Denn trotz Helm und Schutzanzug könnten Flaschenwürfe gesundheitliche Schäden verursachen – etwa schwere Gehirnerschütterungen. „Stellen Sie sich nur vor, ein Polizist hätte genau in diesem Moment sein Visier aufgeklappt“, mahnte der Richter. Gewalt sei nicht zu tolerieren.
Die Sympathisanten der linken Szene, auch in Altona wie bei jedem G20-Verfahren im Zuschauerraum, quittierten dies mit abfälligem Murmeln. Als der Richter Simon D. noch eine Geldbuße von 500 Euro aufbrummte, zu zahlen an die Witwen- und Waisenkasse der Polizei, gab es aus diesen Reihen höhnisches Gelächter. „Ihre Reaktion war mir klar“, sagte der Richter.
Mit seinem Urteil blieb er nur knapp unter dem Antrag der Staatsanwältin, die für eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten plädiert hatte. Der Verteidiger verzichtete auf eine präzise Strafmaßforderung, hielt aber eine Strafe von unter einem Jahr für völlig ausreichend – ähnlich wie im zweiten Verfahren gegen einen 24-jährigen Polen, das mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung endete. Auch dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der Täter will jetzt Gemüsebauer werden
Simon D. war am Ende alles egal. Er durfte als freier Mann den Gerichtssaal verlassen, will zunächst wieder zu seiner Mutter ziehen. Der gelernte Hotelfachmann möchte jetzt Gemüsebauer werden, mit alternativen Anbauweisen. Den Fotografen erlaubte er ausdrücklich, ihn bei den Bildern nicht wie sonst in Prozessen üblich unkenntlich zu machen. „Vielleicht finde ich auf diese Weise meine Naomi“, meinte er.