Hamburg . War Hamburg als Gipfelstandort eine Fehlentscheidung? CDU und Grüne fordern Konsequenzen. Auch die Rote Flora äußert sich.

Die Schanze liegt in Trümmern, Geschäfte wurden geplündert, zahlreiche Verletzte werden in den Hamburger Krankenhäusern behandelt. Nach den Gewaltausbrüchen rund um den G20-Gipfel äußern sich Vertreter von Politik, Kirchen und auch Aktivisten zu den Vorgängen in der Nacht zum Sonnabend. Fast unisono verurteilen sie die Eskalation der Proteste, auch die Organisatoren der G20-Demos gehören zu den Kritikern der Ausschreitungen.

Nach der zweiten Nacht mit schweren Krawallen gerät zudem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) unter Druck. Hamburgs CDU-Oppositionschef André Trepoll warf Scholz am Sonnabend vor, bei der Einschätzung der Sicherheitslage rund um das Treffen versagt zu haben.

Schäuble verteidigt Gipfel-Standort

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigte die Entscheidung der Bundesregierung, den G20-Gipfel im Zentrum der Millionenstadt abzuhalten. Wenn man Teilnehmer und Medienvertreter zusammenrechne, sei man bei 10.000 Menschen, sagte der CDU-Politiker. „Die müssen untergebracht werden. Und das geht ja nur in einer großen Stadt, die die entsprechenden Kapazitäten hat.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Gewalt bereits am Freitag scharf kritisiert. SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz verurteilte die Krawalle als "Mordversuche". Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bezeichnete die Geschehnisse als "unfassbar und empörend". "Das sind keine Demonstranten, das sind Kriminelle".

Bürgermeister Scholz, der mit der Ausrichtung des G20-Gipfels eine ziemlich einsame Entscheidung getroffen hatte, vorbei an der Kritik der Grünen, verteidigte das harte Vorgehen der Polizei. Er sprach in der Nacht von einem "heldenhaften Einsatz" und bedankte sich bei den Kräften. „Ich appelliere an die Gewalttäter, mit ihrem Tun aufzuhören und sich zurückzuziehen und die Gewalttaten nicht mehr zu verüben, sondern ein friedliches Miteinander in dieser Stadt weiterhin möglich zu machen“, sagte er. „Ich bin sehr besorgt über die Zerstörungen, die stattgefunden haben. Ich bin bedrückt über das, was viele zu ertragen haben.“

CDU: Lage falsch bewertet

Oppositionschef Trepoll kritisierte, die Lagebewertung des rot-grünen Senats habe sich als völlig falsch erwiesen. „Wie kam es zu der Einschätzung, man könne den Gipfel mit dem Hafengeburtstag gleichsetzen?“ Scholz müsse sich dazu kommende Woche erklären. Scholz hatte im Juni gesagt: „Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus. Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist.“

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Katja Suding, Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion, griff Scholz ebenfalls scharf an: „Olaf Scholz hat Hamburg weltweit blamiert und in Verruf gebracht. Auf der ganzen Welt fragen sich die Menschen, wie es eine Stadtregierung in Deutschland zulassen kann, dass im Laufe eines weltweit beachteten Gipfels Quartiere verwüstet werden, Autos brennen und bürgerkriegsähnliche Zustände ausbrechen. Olaf Scholz muss für dieses Desaster die Verantwortung übernehmen.

„Die brennende Schanze markiert den traurigen Höhepunkt der Zerstörungswut krimineller Randalierer“, erklärten Anna Gallina, Landeschefin der Hamburger Grünen und der Vorsitzende der Bürgerschaftsfraktion, Anjes Tjarks. „Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Autos anzuzünden, Scheiben einzuwerfen und den Budni zu plündern.“

Ohne Rücksicht auf Leben

„Das hat nichts mit dem Ziel einer besseren Welt zu tun“, sagten die Vorsitzenden der Fraktion "Die Linke" in der Bürgerschaft, Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir zu den Ausschreitungen. "Wir sind entsetzt und fassungslos über die Ereignisse der letzten Nacht, über die zerstörerische Gewalt, die sich in unserer Stadt ausgetobt hat". Es hätten Kräfte die Proteste gegen den G20 okkupiert, "um sich auszutoben, um zu zerstören, ohne Rücksicht auf Gesundheit und Leben anderer. Die Polizei hatte einen schweren und gefährlichen Einsatz".

Cord Wöhlke, Mitinhaber der völlig zerstörten Drogerie-Filiale Budnikowsky, sprach von „blankem Entsetzen“. Den Schaden in dem Geschäft am Schulterblatt bezifferte der Unternehmer auf 300.000 bis 400.000 Euro. Zu den Ausschreitungen Autonomer sagte Wöhlke: „Das ist auch eine Tragödie für Hamburg.“ Diese Bilder würden am Ende von G20 übrig bleiben und alles andere verdrängen.

Er plädierte nach einer Besichtigung der Verwüstungen dafür, die für Sonnabendmittag geplante Demonstration „Hamburg zeigt Haltung“ abzusagen. „Unter den Aspekten, was hier abgelaufen ist, kann man nicht demonstrieren.“ Hinter „Hamburg zeigt Haltung“ steht ein breites Bündnis von Kirchen und Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, SPD, Grünen und Künstlern.

Fegebank: Gipfel passt nicht nach Hamburg

Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) wurde in einem Facebook-Eintrag deutlich: "Meine Kollegen Jens Kerstan, Till Steffen und ich meinen: Der G20-Gipfel ist so groß, dass er selbst in eine Großstadt wie Hamburg nicht mehr passt. Das bewahrheitet sich jetzt, und wir verstehen, wie viele Hamburgerinnen und Hamburger genervt, wütend und auch erschrocken von den Ereignissen sind", schreibt Fegebank.

"Wir halten es deshalb schlicht für folgerichtig, dass der Einsatz detailliert aufgearbeitet werden muss. Dazu muss auch die Frage der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes gehören", teilten Gallina und Tjarks mit.

Trepoll forderte Konsequenzen aus den Vorfällen: „Wer in Hamburg Steine schmeißt, Autos anzündet und Menschenleben gefährdet, demonstriert nicht für den Weltfrieden. Verschwindet aus unserer Stadt, ihr habt hier nichts zu suchen! Die Welt ist über die Bilder aus Hamburg entsetzt". Es sei "bitter, dass die markige Sicherheitsgarantie des Bürgermeisters offensichtlich nichts wert war und die Lageeinschätzung des rot-grünen Senats bereits am ersten Tag des Gipfels widerlegt wird. Wie es dazu kommen konnte, wird er den Hamburgerinnen und Hamburgern erklären müssen". Es müsse eine politische Aufarbeitung geben, sagte Trepoll.

Kritik an Justiz

Das Vorgehen der Justiz kritisierte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. „Die Justiz muss sich fragen lassen, ob angesichts der schon im Vorfeld klar erkennbaren Gewaltneigung nicht stärker von Versammlungsauflagen und -verboten hätte Gebrauch gemacht werden müssen“, sagte Schuster in Hamburg. Er verlangte ein konsequentes Vorgehen gegen die Randalierer: „Ich hoffe auf sehr harte Strafen und Haftung der Festgenommenen, ohne dass die morgen wieder auf freiem Fuß sind.“

Niels Annen, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, befürchtet, dass der G20-Gipfel auch durch die unglaubliche Gewaltentwicklung in Erinnerung bleiben wird. "Ich wohne selbst im Schanzenviertel und habe hier schon schlimme Nächte erlebt, aber so etwas habe ich mein ganzes Leben lang noch nicht mitbekommen müssen. Ich mache seit vielen Jahren Außenpolitik, ich bin in Afghanistan und anderen Krisenregionen gewesen. Eine solche Explosion der Gewalt ist wirklich abstoßend und ich bin immer noch ziemlich schockiert", sagte er im Phoenix-Interview am Rande des Gipfels.

Treffen nur noch in Diktaturen?

Über die Frage, ob Hamburg die richtige Wahl für den Gipfel gewesen sei, müsse man nun debattieren. "Wenn man das mit diesen Kräften in einer Stadt wie Hamburg nicht durchführen kann, dann wird das in anderen demokratisch regierten Ländern auch nicht möglich sein. Können wir zulassen, dass ein so wichtiges Treffen nur noch in Diktaturen stattfinden kann? Ich neige nicht dazu, zu sagen, wir können das nur noch in China oder in Russland organisieren. Wir müssen als Demokratie in der Lage sein, ein wichtiges Treffen zu organisieren und vorzubereiten", so Annen weiter.

Andreas Blechschmidt vom linksautonomen Kulturzentrum „Rote Flora“ distanzierte sich von den Gewaltexzessen. „Wir haben den Eindruck gehabt, dass sich hier etwas verselbstständigt hat, dass hier eine Form von Militanz auf die Straße getragen wurde, die sich so ein bisschen an sich selbst berauscht hat – und das finden wir politisch und inhaltlich falsch“.

Auch die globalisierungskritische Organisation Attac hat sich von den gewaltsamen G20-Protesten distanziert. „Attac hat mit den sinnlosen Zerstörungen der vergangenen Nacht in Hamburg nichts zu tun und lehnt sie ab“, teilte Attac mit. In dem Netzwerk bestehe Einigkeit darüber, dass von eigenen Aktivitäten keine Gewalt ausgehe.

Der Anwalt Andreas Beuth, Versammlungsleiter der Demonstration „Welcome to Hell“, sagte im NDR: „Wir als Autonome haben gewisse Sympathien für solche Aktionen, aber bitte doch nicht im eigenen Viertel. Warum nicht in Pöseldorf oder Blankenese? Da gibt’s auch bei uns großes Unverständnis, dass man im Schanzenviertel die eigenen Geschäfte zerlegt. Die Geschäfte, wo wir selbst, weil wir da wohnen, auch einkaufen.“

Keine Verurteilung der Ausschreitungen

Hingegen lehnten die Organisatoren der Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ eine Distanzierung von den Gewaltexzessen im Schanzenviertel ab.

Der Sprecher der Aktion „Block G20“, Nico Berg von der Interventionistischen Linken, sagte zu den Ausschreitungen nur, ihre Aktion sei um 18.00 Uhr beendet gewesen. „Die weiteren Geschehnisse der Nacht waren nicht Block G20.“

Unionsfraktionschef Volker Kauder wiederum warf Linkspartei und Grünen vor, die Gewalt zu relativieren. Deren Kritik an der Polizei könne er „nur schäbig“ nennen. Wer solche massiven Rechtsbrüche wie in Hamburg relativiere, untergrabe den Rechtsstaat, sagte der CDU-Politiker dem Berliner „Tagesspiegel“. Diese Relativierung habe dazu beigetragen, dass Gewalt oft nicht konsequent verfolgt werde, und dazu geführt, dass die linksautonome Szene so stark geblieben sei. „Es darf keine falsche Toleranz gegenüber Straftätern mehr geben – schon gar nicht, wenn sie vermeintlich aus politischen Motiven handeln“, verlangte der Bundestagsfraktionschef. Sie seien „Feinde der Demokratie“.

Pragmatisch reagieren zahlreiche Hamburger Bürger auf die Ereignisse der vergangenen Nacht. Sie wollen ihre Stadt nach den Krawallen wieder auf Vordermann bringen. „Zieht euch was Weißes an und räumt auf, was der schwarze Block angerichtet hat“, schrieb ein Mann im Internet unter dem Twitter-Hashtag „#Hamburg räumt auf“. Treffpunkt ist Sonntag um 13 Uhr am Bahnhof Sternschanze. Viele äußerten sich im Internet begeistert über die Aktion. Bei Facebook hatten am Sonnabendvormittag bereits 4000 Menschen zugesagt, sich zu beteiligen.

Trump zufrieden

Eine ganz eigene Meinung zum bisherigen Verlauf des Gipfels hat sich am Sonnabendmorgen auch US-Präsident Donald Trump gebildet. „Es war wirklich unglaublich, wie die Dinge hier angegangen wurden. Nichts davon war einfach. Aber so professionell. Und ohne große Störung, abgesehen von einer ganzen Menge Leute.“