Hamburg. Straßenschlachten in Hamburg: 20 Autos an der Elbchaussee angezündet. Kleinere Gruppen stellen Polizei vor große Probleme.

Die Bühne des massenhaften Protests ist die ganze Stadt, und seine Hintergrundmusik ist das Knattern der Hubschrauber und das Lärmen der Sirenen. Praktisch überall – in Altona, in Eimsbüttel, in Othmarschen, der Neustadt, der Altstadt, in Horn, in Wilhelmsburg – jagt ein Polizei-Einsatz den nächsten. Wohin man blickt am Freitagmorgen, sieht man Wasserwerfer, Mannschaftswagen mit Blaulicht über die Straßen rasen und Sperrungen, immer wieder Sperrungen.

Man sieht Räumpanzer, Rettungswagen und kampfbereite Hundertschaften. Und auch sie sind unübersehbar: Gipfelgegner, die zu Dutzenden oder Hunderten durch die Stadt ziehen und die versuchen, durch Sitzblockaden die Straßen zu verstopfen, abgesehen haben sie es auf die Transferstrecken der Staats- und Regierungschefs. Es ist die erwartete „epochale Schlacht“ zwischen der Polizei und dem Protestvolk. Nachdem Linksextremisten überall im zentralen Bereich bis in die frühen Morgenstunden gewütet, Fenster eingeschlagen und Autos angezündet haben, befindet sich ganz Hamburg im Ausnahmezustand.

Mittendrin in einem schwarzen Block

Einer von denen, die den Gipfel durch Blockaden aktiv stören wollen ist Nico Berg, Sprecher der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften interventionistischen Linken und Teilnehmer der Aktion „Block G20 – colour the red zone“. Morgens um 6.30 Uhr haben sich Berg und Hunderte weiterer Blockierer an den Landungsbrücken versammelt.

Ihr Ziel ist die Blaue Zone, in einem 38 Quadratkilometer großen innerstädtischen Bereich darf nach einer Allgemeinverfügung der Polizei an beiden Gipfeltagen nicht demonstriert werden. In räumlich, farblich und thematisch voneinander getrennten Blöcken, sogenannten Fingern, wollen die Gipfelgegner die Blaue Zone stürmen – ohne Gewalt, sie wollen mit ihren Körpern „durch die Polizeiketten hindurchfließen“.

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Bergs Finger ist lila, deshalb tragen viele lila Overalls, das Gruppen-Motto: „Queer-feminist-Revolution“. Es gibt noch weitere Finger, einen grünen, einen blauen, einen roten und einen bunten. „Unser Ziel ist es, den Ablauf des Gipfels massiv zu stören“, sagt Berg, der sich selbst als Bummelstudent bezeichnet. Der Finger, in dem sich auch Berg befindet, hat das Motto „Queer-feminist-Revolution“, viele Teilnehmer tragen lila Overalls.

„Hauptsache wir legen diesen verdammten Gipfel lahm!“

Nach mehreren Konfrontationen mit der Polizei gleich nach dem Abmarsch an den Landungsbrücken und an der Jacobstraße – dabei sollen auch Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt worden sein – teilt sich der Aufzug auf. Ein Teil versammelt sich gegen 10 Uhr am Jungfernstieg im Bereich des Hotels Vier Jahreszeiten. Einige wirken erschöpft und dösen auf den nackten Steinen der Promenade an der Alster.

Doch als ein Konvoi vom Hotel losbraust, kommt Bewegung in die Gruppe. Ein Pulk versucht auf die Straße zu stürmen, um die Fahrzeuge zu stoppen. Mehrere Polizisten hindern sie daran. Als Berg auf die Straße hechtet, nimmt ihn ein Beamter in den Schwitzkasten - Berg lässt es mit gleichgültiger Miene über sich ergehen und geht zurück auf die Promenade. Nur ein Augenblick ist Ruhe, dann rennt die Gruppe plötzlich wieder los, diesmal Richtung Vier Jahreszeiten.

Dort, so heißt es, soll ein Protestler von der Polizei abgeführt worden sein. Das entpuppt sich zwar als Falschmeldung, zeigt aber wie angespannt die Stimmung auch bei den Blockierern ist. Ein junger Linker aus Frankfurt, der schon bei den Randalen in der Nacht zu Freitag mitgemischt hat, atmet durch und sagt: „Mal sehen, was als nächstes kommt. Hauptsache wir legen diesen verdammten Gipfel lahm!“

Bergs Finger, den auch Journalisten begleiten dürften, zählt noch zu den moderaten; bei Zusammenstößen zwischen der Polizei und anderen Fingern kommt es am Freitagmorgen jedoch zu Auseinandersetzungen, beispielsweise am Rondenbarg oder an der Schützenstraße, wo nach Polizeiangaben 350 Gipfelgegner eine Polizeikette durchbrechen wollten. Im Bereich Fruchtallee/Emilienstraße versammelten sich rund 500, zum Teil vermummte Linke.

Kleingruppen stellen Polizei vor ihre Grenzen

Als Bergs Blockadetrupp weiter in Richtung Stephansplatz zieht, sieht man über die Binnenalster hinweg, wie eine riesige Polizeikolonne durch den Ballindamm fährt, vier Wasserwerfer bringen sich an der Kreuzung Jungfernstieg in Position, zwei biegen in Richtung Mönckebergstraße ab. Die Libelle hängt in der Luft, ständig kreisen Hubschrauber über irgendeinem Einsatz in der Stadt und machen Flap, Flap, Flap, während die Polizeifahrzeuge teils mit einem Affenzahn und tatütata über die Straßen jagen.

Was ist hier bloß los? Anruf bei der Pressestelle: „Es gibt eine Vielzahl an Einsätzen“, sagt ein Sprecher. Hervorheben wolle und könne man keinen. Die Lage ist also unübersichtlich – und das ist noch beschönigend beschrieben. Später heißt es dann: Es seien Kleingruppen unterwegs, die Polizei reagiere mit einem massiven Aufgebot an Raumschutzkräften.

Bilder des Tages:

Während der Einsatz am Jungfernstieg läuft, kämpft die Polizei an etlichen, weiteren Fronten, die Ereignisse überschlagen sich: Es gibt illegale Versammlungen am Stephansplatz, am Schwanenwik (also in der Nähe des Gästehauses des Senats, wo Trump übernachten soll), vor dem Springer-Gebäude an der Caffamacherreihe, am Schlump. Auch am Speersort, vor dem Verlagsgebäude der ZEIT, versammeln sich Gipfelgegner, sie wollen eine Protokollstrecke blockieren. Eine Hundertschaft kesselt sie ein, erst sollen 150 in Gewahrsam genommen werden, auf Intervention von Christiane Schneider, Bürgerschaftsabgeordnete und „parlamentarische Beobachterin“ der Linken während des G20-Gipfels, dürfen sie dann in Fünfer-Gruppen den Kessel wieder verlassen.

Schneider lobt zwar das besonnene Verhalten der Beamten in dieser Aktion, kritisiert aber scharf das Vorgehen der Polizei während der „Welcome to hell“-Demo am Vorabend. „Die Polizei“, so Schneider, „hat unverhältnismäßig und überhart agiert.“ Die Polizei weist den Vorwurf energisch zurück. Ihr Vorgehen sei angesichts einer drohenden unbeherrschbaren Gefahrensituation durch rund 3500 Extremisten „alternativlos“ gewesen, sagt Polizeisprecher Timo Zill.

Leuchtrakete beschießt Hubschrauber

Nach noch nicht einmal 24 Stunden ist die Bilanz erschütternd, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll: An der Elbchaussee sind mindestens 20 Autos angezündet worden; Randalierer des Schwarzen Blocks sind randalierend über die Große Bergstraße gezogen, haben Schaufenster- und Autoscheiben eingeschlagen und das Altonaer Rathaus attackiert; zwei Hubschrauberpiloten sind mit Lasern geblendet und verletzt worden: ein Hubschrauber ist zudem mit einer Leuchtrakete beschossen worden – das Geschoss hat den Helikopter knapp verfehlt.

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Auf der Roten Flora brannten in der Nacht Barrikaden, Mülltonnen und Autos. Reifen an geparkten Autos der kanadischen Delegation wurden zerstochen, Trummen aus Straßen entfernt. An der Osterstraße und der Waitzstraße wurden die Scheiben von Banken und Geschäften eingeschlagen. Die Polizeiwache in Horn wurde angegriffen.

Am Morgen gingen 60 Vermummte auf Bundespolizisten am Bahnhof Altona los, sie attackierten drei Dienstfahrzeuge mit Steinen und einem Hammer. Auf einen Wagen warfen sie, wie die Bundespolizei berichtet, einen Molotowcocktail, allerdings zündete der Brandsatz nicht. Vor dem Park Hyatt Hotel, wo Putin nächtigt, attackierten Linksextreme Sicherheitsleute.

160 Polizisten verletzt

Bisher, Stand 20 Uhr am Freitag, sind 175 Beamte verletzt worden, es gab 29 Festnahmen und 15 Ingewahrsamnahmen. Die Zahl der verletzten Demonstranten wird derzeit auf etwa 60 beziffert.

Am Freitagmittag gönnten sich die Gewalttäter eine kurze Ruhepause. Am Nachmittag versuchten sie die Protokollstrecken zur Elbphilharmonie zu blockieren, wodurch es zu einem größeren Polizeieinsatz an den Landungsbrücken kam. Am Abend haben Linksextremisten eine weitere Demonstration angemeldet, Motto: „G20 entern – Kapitalismus versenken.“