Hamburg. Susi Petzold: „Der beste Job meines Lebens“. Die Erfahrungen ihrer Schützlinge hat die Journalistin in einem Buch protokolliert.
Nachdem vom Sommer 2015 an riesige Flüchtlingsströme nach Europa gekommen waren, stellten sich etliche Hamburger als ehrenamtliche Helfer zur Verfügung. Eine von ihnen war und ist Susi Petzold. Die ausgebildete Journalistin, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, meldete sich damals im „Camp“, dem ehemaligen Max-Bahr-Baumarkt am Rugenbarg in Osdorf zum Einsatz. Bemerkenswert daran sind vor allem zwei Dinge: Heute, mehr als drei Jahre später, betreut die Blankeneserin immer noch 25 Geflüchtete – intensiv und mit beachtlichem Erfolg. Und: Petzold hat jetzt ein Buch veröffentlicht, das sie „Protokoll“ nennt. Es handele, wie sie schreibt, von der Lust junger Flüchtlinge, „ihr altes Leben in ein neues zu verwandeln“.
Das Buch „Manchmal vergesse ich, dass ich ein Flüchtling bin“ ist einfach aufgebaut – und dadurch besonders wirkmächtig. Statt weitschweifiger „feuilletonistischer“ Betrachtungen oder moralinsaurer Botschaften bietet Petzold protokollierte Gespräche mit vier Geflüchteten aus Afghanistan und dem Iran: die jungen Frauen Raziye und Kobra und die Männer Belal und Victor. Auf verblüffende Weise bringt die Autorin – ihr Mann ist Ex-„Stern“-Chefredakteur Andreas Petzold – die vier und ihre Kulturen den Lesern so nahe, wie man das nur selten erlebt hat.
Offen und pragmatisch
Treffen in der Autowerkstatt Kalinna in Sülldorf. Susi Petzold, eine aparte, zierliche Frau, die viel Wärme und Energie ausstrahlt, besucht Belal, der hier zum Kfz-Mechatroniker ausgebildet wird. Die Stelle hat sie ihm verschafft – wie so vieles andere. Der 21-Jährige ist vor drei Jahren gemeinsam mit einem Bruder aus Afghanistan geflüchtet, die Eltern blieben in der östlichen Türkei hängen. Belal, der schon gut Deutsch spricht, bezeichnet Petzold als „Vertraute“. Ebenfalls durch ihre Hilfe hat er eine kleine Wohnung in Wandsbek bekommen, fährt täglich rund 40 Minuten zur Arbeit. In Hamburg fühlt er sich „gut“, die Ausbildung macht ihm Spaß.
Werkstattbesitzer Sven Kalinna ist ein leutseliger Typ, der das Thema Flüchtlinge offen und pragmatisch angeht. Wie viele Neuarbeitgeber muss er immer wieder versuchen, die jeweiligen Mentalitäten aufeinander abzustimmen. Pünktlichkeit sei immer ein Thema, ganz grundsätzlich die Verbindlichkeit von Absprachen. „Jungs wie Belal lernen das aber schnell“, so Kalinna, „die sagen, wenn das hier so ist, dann mache ich das auch so .‘“
Jüngere passen sich schneller an
Neben Belal beschäftigt er noch einen älteren Syrer namens Samma, der in seiner Heimat selbst zwei Werkstätten betrieb. Das Miteinander klappe gut, sagt Kalinna gelassen: „Bei uns gibt’s keine getrennte Personalführung.“ Wahr sei aber auch, dass sich die jüngeren Geflüchteten schneller und nachhaltiger auf die neuen Lebensumstände einstellen können als ältere. Abends beim Putzen der Küche mit anpacken – das machen junge Männer viel bereitwilliger, bei anderen „beißt man auf Granit“.
Das sei doch Frauensache, habe Kalinna von Älteren oft gehört, das gehe „nicht raus aus den Köpfen“. Dasselbe gelte für die Sprache. „Jemand wie Belal lernt jeden Tag Neue Wörter hinzu“, berichtet Kalinna – „fast „im Vorbeigehen“. Ältere hätten es da schwerer, aber letztlich sei das auch Willenssache.
Klare Botschaften, verblüffend deutlich ausgesprochene Wahrheiten kann man in Petzolds Buch auf jeder Seite nachlesen. Einmal wendet sich Raziye direkt an Petzold, die ihr eine Mathelehrerin organisiert hatte: „In den ersten Wochen der Fastenzeit bestanden meine Eltern darauf, wegen des Ramadan dort nicht hinzugehen. Du warst richtig sauer deswegen. Es war dann das erste und letzte Mal, dass ich hier in Deutschland wegen des Ramadan etwas verpasst oder anders gemacht habe. Es ist okay für mich, dass der Ramadan hier nicht akzeptiert wird. Ich halte mich strikt daran und besuche trotzdem die Schule.“
Intensive Kontakte
Petzold, Jahrgang 1962, ist keine Sozialromantikerin und keine unterbeschäftigte Hausfrau, die sich ohne die Flüchtlingsarbeit langweilen würde. Solche Unterstellungen kennt sie natürlich und reagiert gelassen. „Den besten Job in meinem Leben“ nennt sie ihre ehrenamtliche Tätigkeit, die sie nicht nur stark geprägt, sondern vor allem viel über die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Menschen aus dem Mittleren Osten gelehrt habe. „Sehr viele von ihnen werden hier bleiben und die Gesellschaft von morgen mitprägen“, sagt sie, „das ist völlig klar.“ Und auch: „Der Staat kann diese vielen Aufgaben nicht alleine bewältigen.“
Im Grunde geht es darum, dass engagierte Deutsche durch intensive Kontakte vor allem zu jungen Geflüchteten Zugang zu diesen bekommen, bevor ihn andere erlangen. Nämlich zum Beispiel falsche Propheten. Wie das aussieht, wird an einer zentralen Stelle des Buches deutlich. Kobra spricht über Geflüchtete, die „nichts auf die Reihe kriegen“ und keine Unterstützung haben. „Also machen sie halt in der Moschee oder bei irgendwelchen Leuten, die sie beruhigen können. Dass sie aber bloß ausgenutzt werden, um etwas Schlechtes zu machen, merken sie nicht.“
Klartext auch beim Thema Scharia. „Ich glaube, die deutsche Regierung müsste mit dem Thema Religionsfreiheit strenger sein“, findet Raziye. Was ihnen in Deutschland nicht gefalle, fragt Susi Petzold im Buch. Die Antwort von Belal: „In der Schule haben einige überhaupt keinen Respekt vor ihren Lehrern. Und es gibt hier Leute, die haben keine Lust zu arbeiten und bekommen dann auch noch Geld vom Staat. Das geht überhaupt nicht!“
„Es geht um so viel, um alles“, schreibt Susi Petzold im Vorwort, „den Erhalt unserer Gesellschaft, unserer Gemeinschaft, der Demokratie – um Deutschland, um Europa.“ Ihr Buch kann dazu beitragen, dass dieses Bewusstsein bei einigen vertieft und bei anderen erst geweckt wird.