Hamburg. Die Aufgabe ist groß, die Rückschläge oft zahlreich – trotzdem engagieren sich viele Freiwillige in der Stadt. Eine Bilanz.

Es fing bei so vielen mit einem einzigen Moment an. Mit dem Blick im Vorbeigehen auf die campierenden Menschen im Hauptbahnhof. Mit den Bildern von erschöpften Kindern und Tausenden Flüchtlingen zu Fuß in Karawanen. Dem Gefühl: Man muss doch etwas machen. Was das mit ihnen selbst machen würde, konnten die Ehrenamtlichen damals kaum absehen. 3100 Hamburger sind aktuell noch bei der städtischen Gesellschaft „Fördern & Wohnen“ als Freiwillige regis­triert, der Großteil als Flüchtlingshelfer – in Erstaufnahmen, Folgeunterkünften, als Pate, Deutschlehrer, Vormund oder Beistand. Es sind deutlich weniger als zu Beginn der Flüchtlingskrise vor drei Jahren. Aber das Engagement ist nicht verschwunden, sondern hat sich verändert.

Ungebrochene Leidenschaft

„Diejenigen, die regelmäßig aktiv sind, zeigen auch alle eine ungebrochene Leidenschaft“, sagt Jennifer Scheib, die für „Fördern & Wohnen“ die Freiwilligenarbeit im Bezirk Nord koordiniert. Was als erstaunlich professionelle Hilfe inmitten des völligen Chaos begann, ist zielgenauer und anspruchsvoller geworden. „Stadt und Freiwillige haben sich verbessert, die Strukturen sind glatter“, sagt Scheib. Ein wichtiger Schritt seien etwa klare Zuständigkeiten in jeder einzelnen Unterkunft. Trotzdem bleibe es eine tägliche Herausforderung, die Integrationsarbeit an der Basis zu koordinieren: „Dort prallen manchmal die sehr große Emotionalität der Freiwilligen und der eher trockene Charakter einer städtischen Struktur noch immer aufeinander, statt sich auszugleichen.“

Erfolge, Probleme und Frust

Es ist für die Helfer schwierig geworden, noch neue Hamburger für den regelmäßigen Einsatz zu begeistern. „Einige Freiwillige sind auch deshalb nicht mehr registriert, weil sie sich jetzt in privaten Wohnungen weiter um die Menschen kümmern, die sie vor zwei oder drei Jahren kennengelernt haben.“ Ideal wäre es, wenn auch jeder Flüchtling in den Unterkünften einen Paten hätte. Dort wohnen aber noch 35.000 Flüchtlinge – zehnmal so viele Menschen, wie es registrierte Helfer gibt. Drei Jahre nach der großen Krise mischen sich Erfolge mit Problemen und Frust. Zum heutigen Tag des Ehrenamtes sprechen fünf freiwillige Flüchtlingshelfer hier über ihre Erlebnisse. Christoph Heinemann

----------------------

Axel Limberg

„Sie brauchen einen Deutschen mit offenen Ohren“

Wenn es so etwas wie Schicksal gibt, ereilte es Axel Limberg bei einem Besuch in einem kleinen Flüchtlingsheim in Niendorf: Vor vier Jahren verweist ihn die Sozialbehörde dorthin, weil der Journalist sich um einen jungen Asylbewerber kümmern will. „Vor Ort stellte sich heraus, dass viele der jungen Bewohner Hilfe brauchten.“ Der Startpunkt seiner neuen Klienten: Oft wenig Schulbildung, kaum Deutschkenntnisse, keine Orientierung auf dem Arbeitsmarkt. Bald hat Axel Limberg ein gutes Dutzend Schützlinge gleichzeitig – im Ehrenamt.

Die Chefs großer DAX-Konzerne wie Mercedes haben da noch Vorstellungen, die Limberg heute als „Überaktionismus“ bezeichnet. Flüchtlinge sollen weitergebildet werden und den Fachkräftemangel lindern. Der Freiwillige merkt sehr schnell, dass es schnell nicht geht. „Es braucht einfach Zeit, die Sprache zu erlernen und die größten kulturellen Unterschiede zu verstehen.“ Er geht mit seinen Jugendlichen ins Fußballstadion, in die Oper oder ins Museum, hilft bei Behördengängen und besucht Elternabende. Das Wichtigste für seine Jungs sei „ein Deutscher mit viel Zeit und einem offenen Ohr“, sagt Limberg.

Der Aufschlag in der Realität des Arbeitsmarktes ist dennoch hart. Die Asylanträge stapeln sich unbearbeitet, aber Arbeitgeber wollen selten jemanden ausbilden, der keine Perspektive hat. Erst ein Jahr nach Beginn der großen Krise wird die sogenannte 3+2-Regelung mit sicherem Aufenthalt für fünf Jahre eingeführt. „Das war bei allen übrigen Hindernissen ein ganz großer Schritt“, sagt Limberg.

Da sind Flüchtlinge wie Edris, die Limbergs Engagement heute zur Erfolgsgeschichte machen: Der 19-Jährige kam ohne jede Schulbildung aus Afghanistan nach Hamburg und wird inzwischen bei Eurogate zum Industrie­mechaniker ausgebildet. Ein weiterer Schützling begann erst im August seine Ausbildung in einem anderen Großunternehmen und wurde prompt zum „Azubi des Monats“ gekürt. „Mein Engagement ist gleichbleibend hoch“, sagt Limberg, meist 20 bis 25 Stunden in der Woche neben dem Job.

Kürzerzutreten, kann sich Limberg auch nicht erlauben. „Es gibt noch viele Fälle, in denen gut integrierte Menschen abgeschoben werden sollen.“ Einer davon ist El-Sayed (18), Bäckereiazubi, beliebt bei Freunden und im Betrieb. Er soll Deutschland verlassen, sagt die Ausländerbehörde. „Sie könnten ihn jede Nacht holen“, sagt Limberg. „Wir versuchen alles dagegen.“

----------------------

Pastor Sieghard Wilm

„Es gibt immer noch massenhaft Missverständnisse“

Vor dem Gespräch schickt Pastor Sieghard Wilm ein Foto per E-Mail: Eine junge Helferin, die mit erhobenen Armen nahe der Messehallen mit einem Flüchtling tanzt, daneben nur lachende Gesichter von anderen Asylbewerbern und Freiwilligen. Der Höhepunkt der Willkommenskultur! „Was für eine Stimmung damals herrschte“, sagt Wilm. „Heute macht mich dieses Bild sehr nachdenklich.“

Von Anfang an gab es schlechte Vorzeichen, sagt Wilm, etwa beim Thema Nähe und Distanz. „Auf der Seite der Helfer hat man viele junge Frauen, auf der Seite der Geflüchteten viele junge Männer. Und auch manchmal die Annahme, dass man nach dem dritten gemeinsamen Tanz dann zusammen sei.“ Bei der Unterschiedlichkeit der Flüchtlinge allgemeine Aussagen zu treffen verbiete sich. Aber Ehrenamtliche wie Flüchtlinge hätten erst später gemerkt, wie groß die kulturellen Unterschiede seien. „Es gibt die Missverständnisse massenhaft, weil auch die Strukturen der Stadt nicht passgenau sind.“

Pastor Sieghard Wilm aus St. Pauli setzte sich bereits vor der großen Krise für Flüchtlinge ein. Er sieht sich nach den vergangenen drei Jahren ernüchtert – die kulturellen Unterscheide seien teilweise sehr groß.
Pastor Sieghard Wilm aus St. Pauli setzte sich bereits vor der großen Krise für Flüchtlinge ein. Er sieht sich nach den vergangenen drei Jahren ernüchtert – die kulturellen Unterscheide seien teilweise sehr groß. © dpa

Pastor Wilm nahm etwa selbst einen jungen Iraner auf, der vorher erst in einer Unterkunft für Minderjährige war, ehe er plötzlich in eine große Erstaufnahme verlegt wurde. Vier Tage vor seiner schriftlichen Prüfung für den Realschulabschluss. „Erst investiert die Stadt sehr viel Geld, um sich dann selbst zu widersprechen. Das ist verrückt.“

Es gebe nach drei Jahren Fortschritte, viele Geflüchtete können wesentlich besser Deutsch sprechen, fanden Arbeit. „Zu einer ehrlichen Bilanz gehört aber auch, dass es Menschen gibt, bei denen sich die Dinge viel schlechter entwickelt haben.“ Wilm hat Kontakte zu vielen Afghanen geknüpft, die oft keine sichere Bleibeperspektive haben – und damit eher Gefahr laufen, in die Illegalität oder zu Drogen und Alkohol abzudriften.

Ob er selbst manchmal müde von der Flüchtlingshilfe sei? „Es ist Teil der christlichen Nächstenliebe, deshalb werde ich jeden Tag helfen, wo ich kann.“ Der Gegenwind blase nun aber schon lange scharf – seit den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht 2015/2016. „Seitdem sind diejenigen, die helfen, in der Verteidigungshaltung gegenüber der politischen Grundstimmung“, sagt Wilm. Die Lichtblicke bleiben. Sein iranischer „Mitbewohner“ steht kurz davor, das Abitur zu bestehen.

----------------------

Ute Schepers

„Patin zu sein, kann einen manchmal verzweifelt machen“

Als Ute Schepers knapp 62 Jahre alt war, wurde sie Mutter eines Sohnes. Die Ingenieurin sah die Bilder der Flüchtlingskrise im Fernsehen, fuhr aus Berne zur Freiwilligenarbeit in einer Kleiderkammer nach Jenfeld. Sie lernte den Syrer Omar (Name geändert) kennen. Ein eher schüchterner, aber stolzer Junge. Er brauchte Hilfe. Sie war nun Rentnerin, hatte aber immer noch Freude daran, Probleme mit Hartnäckigkeit zu lösen.

Heute sagt Ute Schepers, sie hätte „weniger naiv“ sein müssen. Sicher, es funktionierte vieles: Sie half Omar aus der Enge der Unterkünfte in eine eigene Wohnung in Barmbek und beschwerte sich erfolgreich über einen Lehrer im Sprachkurs. „Man lernt ja auch viel über die syrische Kultur und Kleinigkeiten“, sagt Schepers. Etwa, dass es unter Arabern ein Kompliment sei, einen Geliebten „mein Kamel“ zu nennen oder einer Frau zu sagen, sie tanze wie eine Ente.

Aber ihr neuer Sohn hat auch seinen eigenen Kopf, der manchmal mehr in Syrien als in Deutschland steckt. Die Familie ist noch im Heimatland, muss rastlos umherziehen. Manchmal scheint er gar keine Pläne zu haben oder Schepers wegzustoßen, vielleicht aus Scham für die viele Hilfe ohne echte Gegenleistung. „Die Menschen aus dieser Region haben sehr viel Stolz. Das ist sehr oft beeindruckend und edel. Manchmal versteht man ihr Handeln aber auch deshalb einfach nicht richtig“, sagt Ute Schepers.

Ute Schepers kümmert sich um einen 25-jährigen Syrer.
Ute Schepers kümmert sich um einen 25-jährigen Syrer. © HA | Klaus Bodig

Es gibt Momente, da „mache es einen ganz und gar verzweifelt“, Pate für einen Neu-Hamburger zu sein, sagt Ute Schepers. Weil sich Probleme eben nicht immer zielgerichtet lösen lassen wie im Ingenieurwesen. „Ich merke aber auch immer wieder, was für ein besonderer Mensch er ist“, sagt Schepers. Wenn sie etwa ein Eis essen gehen und sie schon nur eine Kugel bestellt, weil sie weiß, dass Omar darauf besteht, die Rechnung zu bezahlen. „Das ist ein Verhalten, dass man bei anderen Flüchtlingen nicht oft sieht. Aber auch bei Deutschen nicht.“

Es gab eine Zeit mit wenig Kontakt, nun sind sie wieder „ein Team“, wie Ute Schepers sagt. Er will studieren und Ingenieur werden, wie sie früher und sein Bruder in Doha heute.

„Ich finde, dass eine Lehre vielleicht besser wäre“, sagt Ute Schepers. Wie das so ist mit Söhnen, wird sie noch immer manchmal müde über den kleinen Kämpfen. Aber das Rentnerdasein, ein wenig töpfern und entspannen, das reicht ihr nicht ganz. Sie sucht nach 450-Euro-Jobs für Omar, damit er sein Studium finanzieren kann.

----------------------

Christiane Frohne und Ulf Andresen

„Helfen, damit die Stimmung im Viertel nicht kippt“

Die Nachricht ist mit Wucht in ihre Nachbarschaft auf der Uhlenhorst geplatzt. Ein Flüchtlingsheim mit rund 300 Plätzen, um die Ecke an der Averhoffstraße. Die AfD ließ schon verlauten, es würden „Luxuswohnungen“ mit Parkettboden für die Flüchtlinge errichtet. Die Kreativdirektorin Christiane Frohne entschloss sich dagegen schnell, sich bei „Fördern & Wohnen“ als Ehrenamtliche registrieren zu lassen und zu helfen. „Auch, weil ich verhindern wollte, dass die Stimmung im Viertel kippt.“

Christiane Frohne
Christiane Frohne © privat

Schnell bildete sich im Umkreis der Unterkunft ein Stamm von etwa 40 Freiwilligen, die nun regelmäßig vor Ort sind. Wie es von „Fördern & Wohnen“ heißt, gebe es seit einiger Zeit einen neuen Zulauf von Menschen wie Christiane Frohne, die besorgt über die bundesweiten Debatten um Abschiebungen und Kriminalität durch Flüchtlinge sind – in Kooperation mit der Gruppe „Gertrud Hilft“. „Es ist nicht einfach, aber entscheidend, dass das Zusammenspiel von Freiwilligen und der Stadt funktioniert“, sagt Ulf Andresen, der ehrenamtlich im Koordinierungsteam sitzt.

Ulf Andresen
Ulf Andresen © "Gertrud hilft"

Die alltäglichen Interessenskonflikte sind dieselben wie in anderen Unterkünften: Die Bewohner fordern teils energisch Hilfe ein, „Fördern & Wohnen“ hat ein Regelwerk, das längst nicht alle Ideen der Ehrenamtlichen zulässt. „An der Averhoffstraße funktioniert es, weil wir uns früh darüber klar wurden, dass es eine vernünftige Vertrauensbasis braucht“, sagt Ulf Andresen. Christiane Frohne sagt, sie habe das Gefühl, dass sich kein Gefühl der Angst im Umkreis der Unterkunft ausbreiten konnte. Von „Fördern & Wohnen“ heißt es, man habe Respekt dafür, wie die Freiwilligen auch gegen Widerstände oder Anfeindungen arbeiten. „Wir klammern die politische Diskussion ausdrücklich aus“, sagt Ulf Andresen. „Sonst könnten wir unsere Arbeit nicht machen.“