Hamburg. Der Blankeneser Hans Schuldt fuhr wie seine Vorfahren zur See – unter anderem auf der MS „Bleichen“.
Für viele war es ein großer Moment, als Hamburgs neues Museumsschiff vor Kurzem seine erste Fahrt nach der aufwendigen elfjährigen Restaurierung auf der Elbe absolvierte. Besonders gefeiert wurde dieser Augenblick in Blankenese. Als die MS „Bleichen“ in Sicht kam, wurden in einem Garten mitten im Treppenviertel weiße Tücher gezückt und gewinkt. Hans Schuldt (90) ließ es sich nicht nehmen, zu Ehren des Schiffes am Fahnenmast seines Hauses die Flagge der Reederei Gehrkens zu hissen. Schuldt und das Schiff der Reederei Gehrkens verbindet eine gemeinsame Geschichte. Denn Schuldt steuerte das Schiff zwei Jahre lang als Kapitän auf See, damals als beide – Schuldt und die MS „Bleichen“ – noch im aktiven Dienst waren.
Der 1958 auf der Nobiskrug-Werft in Rendsburg gebaute Stückgutfrachter verkehrte anfangs auf der Ostsee, später im Mittelmeer und vor Westafrika. Nach mehreren Verkäufen erstand 2006 die Stiftung Hamburg Maritim das mittlerweile umbenannte Schiff. Der Frachter erhielt dank drei Millionen Euro Fördergeldern, zahlreichen Spenden und viel ehrenamtlichem Engagement eine aufwendige Restaurierung und seinen alten Namen zurück. Ganz nahe dem Standort des neuen Hafenmuseums hat die MS „Bleichen“ nun ihren neuen Heimathafen gefunden. Hier kann sie besichtigt werden, von hier aus bricht sie auch zu den Fahrten auf der Elbe auf, so wie am 10. Mai als Teil der Einlaufparade zum Hafengeburtstag.
„Es war eine schöne Zeit“
Für den einstigen Kapitän Schuldt ist es eine wundervolle Aussicht, dass er von seinem Haus am Strandweg aus gelegentlich sein altes, im neuen Glanz strahlendes Schiff vorbeifahren sehen kann. „Es war eine schöne Zeit“, erinnert er sich. „Aber ob ich heute jemanden dazu raten kann, zur See zu fahren, weiß ich nicht.“ Dabei liegt es Schuldt im Blut. Viele seiner Vorfahren und Verwandten sind in irgendeiner Form mit der Schifffahrt verbunden. So finden sich Reeder, Kapitäne, Lotsen, Fährmann, Bootsbauer, Segelmacher oder Fischer unter seinen Ahnen. Schuldt lebt in einem alten Fischerhaus mitten im Treppenviertel. Seit nachweislich 1565 ist seine Familie in diesem Haus ansässig. Überhaupt gibt es zahlreiche Verwandte, die in Blankenese zu Hause waren und sind.
Schuldt hat an seiner Haustür neben Namen den Zusatz „Bokensteker“ stehen. Eingeweihte wissen damit, um welchen Familienarm es sich handelt. Denn drei Generationen seiner Vorfahren verdienten ihr Geld als Bokensteker, das steht für Baakenstecker oder Tonnenleger. Sprich: Sie waren für die Seewassermarkierungen im Hamburger Hafen verantwortlich. Mit dem Tod des letzten schuldtschen Bokenstekers, Jürgen Albert Schuldt, auf der Elbe endete diese Tradition, die Stadt übernahm die Aufgabe. Doch der Beiname ist geblieben.
Einmarsch der Russen
Geblieben sind Hans Schuldt außer dem Stammhaus seiner Familie in Blankenese auch viele Erinnerungen an seine Seefahrerfamilie und Geschichten über sie. So berichtet er beispielsweise von seinem Urgroßvater Jessen, der seine Frau mit auf seine Südamerikafahrten nahm. War sie schwanger, wurde sie rechtzeitig in einem sicheren Hafen abgesetzt. Nur einmal klappte das nicht, so wurde Schuldts Großvater auf hoher See kurz vor Kap Hoorn geboren. Geburtshelfer war der Steuermann, und statt einer Wiege legte man das Baby in eine offene Schublade in der Kapitänskajüte, was bei Wellengang die sicherste Variante war.
Schuldt selbst, dem die Seefahrt offensichtlich in die Wiege gelegt wurde, verdingte sich anfangs auf einem Fischkutter, während des Zweiten Weltkrieges war er auf der „Gorch Fock“. Mit dem Einmarsch der Russen floh Schuldt wie viele gen Westen. Wie lange er zu Fuß nach Hamburg brauchte, weiß er nicht mehr – nur so viel: „Diesen Flüchtlingsmarsch zu sehen, war schlimm. So etwas vergisst man nie.“
Er forscht seit Jahrzehnten
Doch noch mehr bewegt ihn die Schifffahrt und die damit verbundene Familiengeschichte. Seit Jahrzehnten forscht er in diesem Bereich. Vor einigen Jahren schloss er sein 300-seitiges Buch über Blankeneser Schifffahrtsgeschichte ab. Es fußt auf dem Werk von Jürgen Meyer über Blankeneser Schifffahrt von 1785 bis 1935. Schuldt reichte das nicht.
Besonders wichtig war ihm, genau zu benennen, welcher Familienzweig der Breckwoldts, Schuldts und Stehrs auf welchem Schiff fuhr. Vielleicht gibt es bald ein weiteres Kapitel in der Familiengeschichte. Hans Schuldt hegt die Hoffnung, dass vielleicht seine Enkelin die lange Tradition fortführt. „Sie segelt viel und hat Interesse an meinem Beruf“, berichtet er stolz.
Die Fahrt anlässlich der Auslaufparade kostet 99 Euro inkl. Verpflegung. Boarding ist um 16 Uhr. Der Liegeplatz befindet sich an den 50er Schuppen, Hansahafen. Weitere Infos und Buchung unter https://www.stiftung-hamburg-maritim.de/schiffe/bleichen.html