Rissen . Hamburger Botaniker haben einen ganz besonderen Wanderführer geschrieben. 95 Touren mit vielen Überraschungen sind darin zu finden.

Vom Parkplatz Wittenbergen sind es nur wenige Schritte in die „grüne Hölle“. Das Dickicht wirkt auf Unwissende nicht gerade einladend. Nur ein kleiner Trampelpfad führt hier entlang. Die meisten Besucher nehmen eben den direkten Weg zum viel besuchten Elbstrand. Nicht so Gisela Bertram und Barbara Engelschall. „Botaniker gehen andere Wege, und sie gehen langsamer“, erklärt Engelschall.

Buch enthält Karten mit Stationen und Einkehrtipps

Sie hat zusammen mit ihrer Kollegin Bertram und Hans-Helmut Popendieck den neuen Wanderführer des Botanischen Vereins für Hamburg und Umgebung erarbeitet und herausgegeben. 95 Touren samt kleiner Karte, Einkehrtipps und Pflanzenliste für den Wegesrand sind darin aufgeführt – und das für jeden Bezirk und umliegende Regionen Hamburgs aufgeführt.

Eine dieser Touren erstreckt sich von Blankenese die Elbe entlang bis zum Leuchtturm in Wittenberge und lässt sich natürlich auch umgekehrt erwandern. „Die Vielzahl an Lebensräumen auf engstem Raum machen diesen Abschnitt des Elbufers zu einem der artenreichsten Gebiete Hamburgs“ heißt es in dem Buch. Diesen vielfältigen Lebensraum wollen die beiden an diesem Tag zeigen.

Nur zwei Schritte vom Parkplatz entfernt – von Besuchern missachtet – können die zwei Botanikerinnen bis zu 30 verschiedene Pflanzenarten ausmachen. Was auf andere wie ein Hundeklo oder wie ein Berg an Unkraut wirkt, ist für sie eine spannende Pflanzenansammlung. Aus dem Grün extrahieren sie Hopfen, der sich um Erzengelwurz windet. Zwischen wuchernden Disteln und Brennnesseln entdecken sie versteckt Baldrian. Die Pflanze, die Spaziergängern am Trampelpfad bereits über den Kopf wächst, enttarnen sie als Knolligen Kälberkropf.

Das Buch soll den Blick schärfen

Bertram lenkt den Blick auf den Boden. „Das ist Pestwurz“, sagt sie. „Daraus habe ich mir früher als Kind einen Sonnenhut gebastelt.“ Die auffällig großen Blättern der Heilpflanze erreichen einen Durchmesser von bis zu 60 Zentimeter. Im asiatischen Raum wird die junge Pestwurz, die einen leicht bitteren Geschmack hat, zum Kochen verwendet. In der späteren Jahreszeit entwickelt die Pflanze einen herben Geruch, wenn man die Blätter zwischen den Fingern zerreibt.

„Unser Ziel ist es, ein bisschen den Blick zu schärfen und Entdeckungen zu fördern“, erläutert Bertram, die, wenn sie nicht gerade an Büchern sitzt, als Geschäftsführerin für die Stiftung Ausgleich Altenwerder tätig ist. Engelschalls Arbeitsgebiet ist auf der anderen Seite der Stadt. Sie ist Geschäftsführerin des Regionalsparks Wedeler Au, dessen Gebiet sich von Rissen über Sülldorf bis weit in den Kreis Pinneberg erstreckt. Für Engelschall sind gerade die Elbspaziergänge faszinierend. „Es ist ein anderes Erlebnis, wenn man hier vom typischen Weg abweicht“, sagt sie. Sich ins Gebüsch zu schlagen, anstatt die Gewässerkante entlangzulaufen, wie es viele Hamburger üblicherweise tun, würde einem einen anderen Einblick vermitteln.

Bertram hat derweil eine „Hamburger Spezialität“ ausgemacht. „Diese Pflanze kommt auf der Welt nur hier vor“, sagt die Botanikerin einleitend und hält auf die steinige Uferbefestigung am Strand zu. Wie mag solch eine seltene Art wohl aussehen, die fast nur an der Elbe in Hamburg und Umgebung vorkommt? Bertram geht in die Hocke und zeigt auf Gras. Gras – im Ernst jetzt? Die Biologin muss über das ungläubige Staunen lachen. „Die Wibels-Schmiele ist eine seltene Süßgrasart und kommt wie der Schierlings-Wasserfenchel nur im Tidebereich der Unterelbe vor“, berichtet sie. Allerdings habe sich die Schmiele im Unterschied zum spätestens seit dem Elbvertiefungsdebakel bekannten Schierlings-Wasserfenchel besser an die Umgebung angepasst. Die Art sei daher nicht so gefährdet.

Zwischen den Dünen wächst die Nähmaschine Gottes

Während das „Gras“ zwischen der Uferbefestigung nie mehr einfach nur Gras sein wird, geht es weiter in Richtung Blankenese, weg von den Pflanzen, die es feucht mögen, hin zu denen, die in den trockenen Dünen überleben müssen. Es ist eine ganz andere Pflanzenwelt. Hier, wo der Scharfe Mauerpfeffer wächst, wo man auch mal auf nackte Sonnenanbeter trifft, hier ist die „grüne Hölle“ fern. Die Vegetation ist überschaubarer und die Namen himmlischer. So verdankt die Sand-Segge ihrer Wuchsart den umgangssprachlichen Namen „Nähmaschine Gottes“. Denn durch ihre linienförmigen Ausläufer, schließt sie Vegetationslücken und näht so quasi die Düne zu.

Wer neugierig geworden ist, kann den Wanderführer – erschienen im Dölling und Galitz Verlag – für 19,90 Euro erstehen oder eine der geführten Exkursionen des Botanischen Vereins mitmachen.