Hamburg. Der Discounter kämpft um einen neuen Standort in den Elbvororten – und ist zu ungewöhnlichen Maßnahmen bereit.
„Wirklich Aldi kann nur Aldi“ lautet der schlichte Slogan, mit dem der Discounter in Kinos wirbt. Bei dem skurrilen Videoclip setzt Aldi im Kampf um Kunden auf göttliche Hilfe. Dafür geht Zeus in goldfarbener Unterhose bei Aldi einkaufen, um die rauschenden Partys im Olymp finanzieren zu können. Hilfe von „oben“ braucht der Discounter auch bei einem umstrittenen Projekt in den Elbvororten.
Denn an der Rissener Landstraße 252 hat sich Aldi ein Grundstück gesichert, auf dem ein neuer Markt entstehen soll. Bislang befindet sich dort ein Bürogebäude, das von der Firma Berendsohn genutzt wurde. Das Unternehmen kehrt dem Stadtteil den Rücken. Die Lücken möchte Aldi füllen. Das Problem: Eine Einzelhandelsfläche von mehr als 1000 Quadratmetern ist hier außerhalb des Ortszentrums nicht vorgesehen. Damit es mit der Genehmigung trotzdem klappt, zeigt sich der Lebensmittelgigant extrem flexibel.
Markt soll um zwei Geschosse ergänzt werden
Im Kampf um den anscheinend lukrativen Standort ist Aldi sogar bereit, ins Wohnungsbaugeschäft einzusteigen und Hamburg bei der Schaffung des dringend benötigten Wohnraums zu helfen. Dafür bricht man auch mit der typischen Bauweise. Wie die nicht öffentlichen Pläne zeigen, die dem Abendblatt vorliegen, soll der Markt um zwei Geschosse ergänzt werden. 14 Wohnungen würden so entstehen. In alten Plänen war sogar von 34 Wohnungen die Rede. Vier sind für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr gedacht, deren Wache angrenzt.
„In Ballungsräumen wie Hamburg muss man Kompromisse eingehen, um in Zukunft etwas zu erreichen“, erklärt Maurice Witt, Leiter Immobilien und Expansion bei Aldi und zuständig für das Projekt Rissen. Das Unternehmen sei daher gern bereit, das Stadtbild in Abstimmung mit den Behörden weiterzuentwickeln. Deshalb ist der Discounter beispielsweise schon Vermieter von 30 Wohnungen über dem Markt in der Holstenstraße 156 und von 28 Wohnungen über dem neuen Ottensener Geschäft in der Bahrenfelder Straße 188. „Das Kerngeschäft bleiben aber die Lebensmittel“, betont Witt.
Bauausschuss sprach sich für das Vorhaben aus
Wohnungen sind laut Bebauungsplan auf dem Areal in Rissen zwar nicht vorgesehen, aber sie sind durch eine Befreiung vom Bezirk möglich. Insgesamt sind laut nicht öffentlicher Unterlagen sogar acht Befreiungen für das ungewöhnliche Projekt nötig. Während die Bezirksverwaltung dazu rät, das Bauvorhaben vor allem aufgrund des großflächigen Einzelhandels abzulehnen, sieht das die Politik, die den Bau von Wohnungen im Bezirk vorantreiben muss, anders. Zumindest der Altonaer Bauausschuss sprach sich mehrheitlich dafür aus, Aldi eine Genehmigung in Aussicht zu stellen. Das letzte Wort hat der Hauptausschuss, der das Thema vertagte.
Denn in Rissen rumort es kräftig. Betroffene Anwohner wehren sich vehement gegen die Aussicht auf eine Lärmschutzwand und einen dahinter liegenden Aldi-Parkplatz samt Kundenverkehr. Dazu gehört beispielsweise Anwohnerin Silvia Runge. Von den Bauplänen erfuhr sie zufällig beim Schlachter. Seither kämpft sie um Informationen und gegen das Projekt. Insgesamt 16 Anwohner haben Einwände erhoben. „Das Vorgehen ist vollkommen inakzeptabel“, sagt Runge. Das Projekt sei nicht in Einklang zu bringen mit dem gültigen Planrecht. „Mein Haus als Teil des alten Dorfkerns gehört zum Erhaltungsbereich. Das heißt, ich muss mir jede Dachpfanne genehmigen lassen“, ärgert sie sich. Ein paar Meter weiter sei dann aber plötzlich alles möglich?
Kritik kommt von Rissener Kaufleuten
Kritik hagelt es zudem von den Rissener Kaufleuten. „Wir befürchten eine Schwächung der verkehrsberuhigten dörflichen Einkaufsstraße“, sagt Apotheker Stefan Moog als Vorsitzender der Kaufleute-Gemeinschaft. „Zudem wird mit einem deutlichen Mehr an Verkehrsbelastung im Osten von Rissen zu rechnen sein.“ Diese Befürchtungen sorgen auch beim Rissener Bürgerverein für Unmut. „Gerade nach den Vorkommnissen des letzten Jahres in Zusammenhang mit dem Bau eines Flüchtlingsheims kann ich nicht nachvollziehen, warum man die Rissener nicht einbezieht“, kritisiert der Vorsitzende Claus Scheide. Er fürchtet den Verlust von Kunden.
Darauf hat der Discounter eine Antwort parat – und zwar in Form eines eigenen Gutachtens. Das erbringt laut Maurice Witt den Nachweis, dass der neue Aldi-Markt vor den Toren des Ortes das Zentrum nicht schädigen würde. Ganz im Gegenteil würden sich Einkäufe aus Wedel nach Rissen verlagern. „Das Rissener Zentrum leidet Not. Die Aldi-Ansiedlung ist eine Chance für den Stadtteil“, argumentiert Witt. Ob der Discounter damit Politiker und Anwohner überzeugt? Klar ist, dass der Bürgerverein für mehr Transparenz sorgen will und Anfang März eine Veranstaltung zu Bauprojekten in Rissen plant.