Hamburg. Wie reagiert Architektur auf hohe Mieten und viele Singlehaushalte? André Poitiers fordert Immobilien, deren Zuschnitte bei Bedarf kleiner oder größer werden können

Wenn sich die Lebenswirklichkeiten wandeln, dann tut es über kurz oder lang auch die Architektur einer Stadt. Wie berichtet, ist zuletzt die Nachfrage nach kleineren Wohnungen und kompakteren Schnitten stark angestiegen. Steigende Mieten und die Zunahme von Einpersonenhaushalten sind die Hauptgründe dafür. Wie sich die Architektur in den kommenden Jahren verändern könnte und wo die Herausforderungen liegen, erläutert der Hamburger Architekt André Poitiers.

Die Immobilienbranche reagiert derzeit auf die erhöhte Nachfrage nach kompakterem Wohnraum. Befindet sich die Architektur gerade in einem Prozess des Wandels?

André Poitiers: Architektur befindet sich immer im Wandel, sie ist Avantgarde und Abbild des Zeitgeists zugleich. Sie reagiert auf gesellschaftliche Wirklichkeit und gestaltet sie mit. Besonders in Großstädten, wo schneller auf Veränderungen reagiert wird. Selbstverständlich ist die Architektur auch geprägt von der individuellen Handschrift eines Architekten. Gleichzeitig unterliegt sie auch Moden, denn ein Architekt muss sich im Markt behaupten und auch Wünschen seines Auftraggebers nachkommen. Einer der größten Faktoren im Wandel ist der Mangel an Wohnraum in den Metropolen, der zur Verdichtung führt, da die Flächen für Neubauten begrenzt sind. Zudem verändern sich die Lebensmodelle der Menschen, was Auswirkungen darauf hat, wie ihr Wohnraum gestaltet sein sollte.

Was sind die aktuellen Herausforderungen beim Wohnungsbau?

Gerade in den von Wohnraummangel geprägten Städten muss die Architektur intelligente Lösungen finden, denn für lockere Reihen von Einzelhäusern gibt es keinen Platz mehr in der Nähe der Zentren. Und die Vororte ausufern zu lassen, ist weder vom Flächenverbrauch her noch von den ökologischen Folgen her, Stichwort Mobilität, eine Option. Das kleine Haus am Stadtrand ist für viele junge Familie heute kein Traum mehr, sondern finanzielle Notwendigkeit, weil die Verbindung von Wohnen und Grünfläche in den Zentren einer privilegierten Schicht vorbehalten ist. Doch sobald die Kinder aus dem Haus sind, wollen viele wieder zurück in die Stadt.

Was heißt das in der Folge?

Wenn die Menschen in der Stadt leben möchten, dann sollte die Architektur ihren Teil dazu beitragen, dass dies möglich ist: durch Verdichtung, durch Aufstockung und durch den Abriss von Gebäuden, die den heutigen Lebensmodellen nicht mehr entsprechen. Immer mehr Menschen möchten nämlich nicht ihr Leben in einer Wohnung oder einem Haus verbringen, das nicht in einem starken sozialen Zusammenhang zu der Nachbarschaft steht. Das liegt daran, dass mit der Auflösung der Großfamilien, mit hohen Scheidungsraten und Mobilität neue Netzwerke gesucht werden, die ein Wir-Gefühl vermitteln. Eine solche Gemeinschaft möchten die Menschen gerade in späteren Lebensphasen nicht aufgeben. Das heißt: Wenn die Kinder aus dem Haus sind, möchten sie zwar eine kleinere und den neuen Bedürfnissen angepasste Wohnung, aber sie möchten nicht umziehen. Hier muss die Architektur Lösungen für flexiblen Wohnraum anbieten. Wie groß das Bedürfnis nach diesen neuen und bezahlbaren Lebensformen ist, können Sie an langen Wartelisten der Baugemeinschaften in Hamburg ablesen. Von denen könnte Hamburg noch viel mehr gebrauchen. Man sollte sich gut überlegen, ob man wirklich städtische Grundstücke vergibt an Investoren, die darauf Wohnungen zu Kaufpreisen im siebenstelligen Bereich errichten – meist in einer längst nicht mehr zeitgemäßen Relation von Quadratmetern pro Bewohner.

Sie sprechen davon, dass die Architektur „Social Designs“ bieten muss. Was meinen Sie damit?

Konkret heißt das: Wenn eine Gemeinschaft entstehen soll, dann ist es die Aufgabe der Architektur, dafür zu sorgen, dass Orte für gemeinsames Leben gebaut werden. Die Architektur muss die Bedürfnisse der Menschen erfassen und in konkrete Entwürfe umsetzen: ob es nun gemeinsam genutzte Innenhöfe sind, Dachterrassen, Werk- und Gemeinschaftsräume oder auch Gemeinschaftshäuser in Parkanlagen.

Weiter fordern Sie mehr „mitwachsende Wohnungen“ – was steckt dahinter?

Es gibt sehr viele Ideen dafür, etwa Modulbauten mit schnell veränderbaren Wänden, oder große Wohnungen, in denen schon die Anschlüsse liegen für die Aufteilung in zwei kleinere. So etwas vorauszudenken und zu installieren, ist schon heute kein Problem mehr. Solche Modelle gibt es schon für Eigentumswohnungen in der HafenCity, diese sollte man auch auf den Mietwohnungsbau erweitern.

Kritik äußern Sie an großen Einheiten wie beispielsweise Hunderte Studentenwohnungen auf einem Areal – was ist daran so schlecht?

Großstrukturen mit 300 bis 500 Einzimmerwohnungen, wie sie zur Zeit in Hamburg geplant werden, halte ich für kon­traproduktiv. Das ist ja dann ein Leben im Schuhkarton. Viel besser wäre es doch, für eine Vielfalt zu sorgen aus jüngeren und älteren Menschen, aus Familien und Singles, aus Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, und dann Räume der Begegnung zu schaffen. So entsteht ein lebendiges Miteinander, so entstehen Gemeinsamkeit und die damit verbundene gegenseitige Unterstützung. Das stärkt unsere Gesellschaft insgesamt, denn die Separierung sozialer Gruppen führt zu Abgrenzungen und Entfremdungen. Architektonische Monokulturen führen automatisch zu sozialen Monokulturen. Das ist für mich ein Modell von gestern.