Nienstedten. Anwohner gründen eine Initiative, um sich gegen den Bau von Mehrfamilienhäusern und Grundstücksspekulationen zu wehren.

In den Elbvororten brodelt es. Der anhaltende Bauboom und die hinter verschlossenen Türen genehmigten Ausnahmeregelungen sind vielen Bewohnern ein Dorn im Auge. Nun hat sich eine Anwohnerinitiative gegründet. Sie setzt sich für den Erhalt der gewachsenen Wohnkultur in den Elbvororten ein und hat bereits 380 Unterschriften gesammelt. Derzeit prüft die Initiative rechtliche Schritte. Zudem schließen die Initiatoren ein Bürgerbegehren nicht aus.

Darum geht es: Gleich an zahlreichen Ecken rollen die Bagger, oder es sind Projekte geplant. Kleinere Häuser auf großen Grundstücken machen Platz für eine deutlich massivere Bebauung. So verschwinden zusehends die prägenden Ein- und Zweifamilienhäuser mit ihren großen Gärten. Dafür werden Mehrfamilienhäuser, auch Stadtvillen genannt, gebaut und genehmigt.

Ausnahmeregelungen machen Bebauung möglich

In Hamburg ist das nichts Neues. Aber in den Elbvororten liegt der Fall etwas anders. Viele der hier geltenden Bebauungspläne lassen diese Bauwerke gar nicht zu. Zum Schutz des Quartiers sind beispielsweise nur zwei Wohnungen pro Grundstück zugelassen. Allerdings stammen diese Bebauungspläne aus alten Zeiten. Sie sind bis zu 50 Jahre und älter. Geändert und angepasst werden sie aber nicht. Großzügige Ausnahmeregelungen machen die Neubauten trotzdem möglich. Die werden im Bauausschuss des Bezirks Altona ausschließlich in nicht öffentlicher Sitzung diskutiert und oft durchgewinkt.

Die Anwohnerinitiative aus Nienstedten zusammen mit Frank Neubauer ( li )
Die Anwohnerinitiative aus Nienstedten zusammen mit Frank Neubauer ( li ) © HA / Klaus Bodig | Klaus Bodig

Für Frank Neubauer ist das ein Unding. Der Jurist und Mitinitiator des Protests kritisiert die Altonaer Genehmigungspraxis massiv. „Es wird nicht nach Recht und Gesetz, sondern politisch entschieden“, sagt er. Es gebe einen geltenden Bebauungsplan, der sei Gesetz, an den müsse man sich halten. Oder man ändere eben den Plan in einem ordnungsgemäßen Verfahren. Das hätte eine Beteiligung aller Betroffenen zur Folge, so wie es das Baugesetzbuch vorsieht.

„Wir sind nicht gegen Veränderung und nicht gegen eine Nachverdichtung“, betont Neubauer im Namen seiner Mitstreiter. Es sei allen durchaus bewusst, dass in den Elbvororten Wohnraum entstehen müsse. Das stelle kein Problem dar, solange das in Maßen und vor allem in geregelten Bahnen ablaufe.

Beides könne Neubauer derzeit nicht erkennen. „Es ist überhaupt nicht die Aufgabe des Bauausschusses oder der Bauaufsichtsbehörde, Einzelfall­entscheidungen zu treffen“, kritisiert Neubauer. Man schrecke davor zurück, die Bebauungspläne zu ändern, weil das zeit- und arbeitsaufwendig sei.

Anwohner sehen Gefahr für Charakter des Viertels

Beim Bezirksamt Altona sieht man das ganz anders. Die Vorwürfe Neubauers, sich nicht an Gesetze zu halten, weist man zurück. „Die bestehenden Bebauungspläne bieten nach unserer Auffassung einen guten planrechtlichen Schutz für die bestehende bauliche Struktur und ermöglichen zugleich deren Fortentwicklung“, sagt Sprecher Martin Roehl.

Eine Erfordernis für neue Bebauungsplanverfahren würde man daher nicht sehen. Befreiungen seien im Einzelfall durchaus möglich und würden zudem den politischen Vertretern zur Entscheidung vorgelegt. Durch die gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen bestehe zwar die Möglichkeit, dass sich das Stadtbild ändere, es werde aber nicht gezielt verfolgt.

Allein von der FDP gibt es Unterstützung für die Anwohnerinitiative. Die Liberalen sind ebenfalls der Meinung, dass die derzeitige Genehmigungspraxis suboptimal ist, und setzen sich ebenfalls für den Erhalt der Wohnkultur in den Elbvororten ein.

Neubauer hat so seine Erfahrungen mit Sachen, die in der Stadt nicht rundlaufen. Er war mehr als 30 Jahre Vorsitzender des Hamburger Steuerzahlerbunds. Auslöser für sein Engagement ist diesmal ein Bauprojekt vor seiner Haustür. Neubauer wohnt in der Stauffenbergstraße in Nienstedten. Zufällig erfuhr er davon, dass hier ein Bauunternehmen den Abriss eines Hauses und den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit mehr als acht Wohneinheiten plant. Der Bebauungsplan sieht maximal bis zu zwei Wohnungen vor. In der Straße regte sich Widerstand.

Baumbestand muss Bauprojekten weichen

Freistehende Stadtvillen – hier eine Aufnahme von der  Jürgensallee 1914 – prägen das städtebauliche Bild der Elbvororte
Freistehende Stadtvillen – hier eine Aufnahme von der Jürgensallee 1914 – prägen das städtebauliche Bild der Elbvororte © Bildarchiv Hamburg | Bildarchiv Hamburg

Schnell bekam die Gruppe Zulauf und viel Zuspruch aus anderen Ecken der Elbvororte. Ob in der Jürgensallee, dem Christian-August-Weg, Up de Schanz, Gätgensstraße, Ole Hoop, Witts Allee, Lüdemann­straße und Müllenhoffweg – überall gibt es ähnliche Fälle.

„Die zunehmende Betonierung der Grundstücke ist für die Gartenlandschaft der Elbvororte tödlich“, sagt Mitstreiter Christoph Krautheim. Er denkt dabei auch an die jeweiligen Tiefgaragen der Mehrfamilienhäuser. Sie machten es zusätzlich schwer, dass Bäume angepflanzt werden. Gleichzeitig würde viel alter Baumbestand bei den Bauprojekten verschwinden.

Wie beispielsweise im Flottbeker Hesten. Hier ist ein Neubau mit 18 Wohneinheiten geplant. Auch hier gab es eine umfangreiche Befreiung für die Gebäudegröße. Eine etwa 180 Jahre alte Rotbuche und eine 170 Jahre alte ortsprägende Eiche sind trotz vehementen Protests des Nabu bereits weg.

„Durch die ständigen Ausnahmen wird der Bebauungsplan schleichend ausgehöhlt und der Charakter des gesamten Quartiers verändert“, warnt Neubauer. Die politisch gewollte Schaffung von preiswertem Wohnraum gelinge nicht. Denn durch die bisherige Befreiungspraxis würden Grundstücksspekulationen extrem gefördert. Zur Gefahr von Grundstücksspekulationen sagt Sprecher Roehl: „Dem Bezirksamt Altona ist bewusst, dass eine positive Befreiungsentscheidung dazu geeignet sein kann, die Differenz zwischen Verkehrswert und Marktwert eines Grundstücks wesentlich zu erhöhen.“

Das sei fast grotesk, sagt Neubauer. „Als Jurist ist man fassungslos.“ Die Initiative hat die Rechts- und Fachaufsichtsbehörde um eine Stellungnahme gebeten. Anschließend will Neubauer eine Versammlung für die zahlreichen Unterstützer einberufen und das weitere Vorgehen abstimmen.