Hamburg . Was macht Hamburgs früherer Handwerkskammer-Präsident? Er steht weiter am Ofen, aber übergibt nun die Geschäfte.

Eigentlich wollte er gar kein Bäcker werden. Obwohl sein Vater eine eigene Backstube hatte, das Feld also bereitet war: Doch als junger Mann hatte Peter Becker andere Pläne. Zunächst faszinierte ihn der Beruf des Sozialarbeiters. Dann probierte er sich beruflich aus – und der Bildungshunger packte ihn: Start einer Karriere als Verwaltungsangestellter, Fachhochschulreife, Studium der Betriebswirtschaft, Direktionsassistent und Abteilungsleiter bei einem Maschinenbauer. Aber plötzlich – im Jahr 1974 – wurde sein Vater krank. „Damals hieß es: Verkaufen oder mithelfen?“, erinnert er sich. Die Bäckerlehre hatte er zuvor bei seinem Vater quasi nebenbei absolviert. Fachlich stand dem Eintritt in den elterlichen Betrieb also nichts im Weg. Am Ende war es eine Mischung aus Pflichtbewusstsein, Verantwortungsgefühl und Neugier, die ihn mit 28 Jahren in die 120 Quadratmeter Backstube am Ernst-Bergeest-Weg in Marmstorf trieb. Hier steht er noch heute am Backofen, mit knapp 70 Jahren – jeden Tag von 8.00 bis 12.30 Uhr.

Peter Becker ist wohl Hamburgs bekanntester Bäcker. Denn er hat sich nicht nur mit seinen Brötchen, Broten, Croissants und Kuchen einen Namen – vor allem im Süden der Stadt – erarbeitet. Sein Tätigkeitsfeld ging weit über die Backstube hinaus. Zehn Jahre lang war er Präsident der Hamburger Handwerkskammer, 15 Jahre lang stand er an der Spitze des bundesweiten Zentralverbands des deutschen Bäckerhandwerks, sogar Weltbäckerpräsident durfte er sich bis zum vergangenen Jahr nennen. Rund um den Globus warb er für handwerklich hergestellte Backwaren. Mehr als 400.000 Meilen ist er allein 2015 beruflich im Flugzeug unterwegs gewesen – Bäcker Becker aus Marmstorf. Der Repräsentant des guten Brötchens.

Jetzt kehrt er zurück an den Ofen. Halbtags. „Weil mir die Arbeit in der Backstube immer noch viel zu viel Spaß macht“, sagt er. Das mit der Fliegerei im Auftrag aller Bäcker ist Geschichte. Vielleicht steigt er dann und wann noch mal in ein Flugzeug, um etwas zu machen, was in den vergangenen Jahrzehnten viel zu kurz gekommen ist: Städtereisen mit seiner Ehefrau. Und wie wäre es mit Sonne tanken im Süden über mehrere Monate, jetzt im Rentenalter? Vielleicht überwintern auf Fuerteventura? Leisten könnte er sich das ohne Probleme. „Hören Sie mir auf“, sagt er. „Länger als 14 Tage halte ich so etwas nicht aus.“ Da spricht der Unternehmer, der Macher, der Umtriebige. Dann redet er über Bio-Backwaren, mögliche Expansionen, das „richtige“ Brötchen.

Aber trotz seines unbändigen Elans hat er eine Entscheidung getroffen. Er wird sein Unternehmen in den kommenden Monaten an seine 38-jährige Tochter Wiebke übergeben, die schon lange mitarbeitet, bereits eine eigene Bäcker-Becker-Filiale im Harburger Phoenix-Center lenkt. Denn aus der Backstube in Marmstorf ist längst ein Back-Unternehmen mit sechs Geschäften, 70 Mitarbeitern und einem Umsatz im einstelligen Millionenbereich geworden. Und zwei weitere Filialen von Konkurrenten in Maschen und Meckelfeld sollen demnächst ebenfalls auf Bäcker Becker umgeflaggt werden.

Diese Erweiterung ist kein Zufall, sondern die Folge des Wandels in der Branche. Jedes Jahr müssen knapp 500 vor allem mittelständische Bäckereien schließen. Die Konkurrenz durch Supermärkte und Discount-Bäckerketten ist zu stark. Deshalb gilt das Motto: fressen oder gefressen werden. Peter Becker hat sich für die erstere Variante entschieden und wächst. Alle seine Filialen beliefert er vom Ernst-Bergeest-Weg aus. Von 1.00 Uhr morgens an wird hier gebacken. „Handwerklich und traditionell“, wie der Noch-Eigentümer immer wieder betont.

Denn für aufgebackene, industriell gefertigte Ware hat er nur wenig übrig. Gewandelt hat sich sein Unternehmen in den vergangenen Jahren allerdings auch. In den Filialen gibt es nun Stehtische und Sitzmöglichkeiten. „Denn ohne Snack-Bereich geht heute kaum noch etwas“, sagt er. Das erst im Jahr 1996 erlaubte Sonntagsbacken ist für ihn ebenfalls ein lukratives, notwendiges Zusatzgeschäft geworden, welches allerdings nicht gerade dazu beigetragen hat, Nachwuchs für den Beruf des Bäckers zu begeistern. Immer weniger junge Menschen wollen sich an die heutigen Hightech-Öfen stellen, Vor allem die nächtlichen Arbeitszeiten schrecken ab – und dann auch noch sonntags!

Bei der Personalsuche setzt Bäcker Becker auch auf Flüchtlinge

Dabei verdient ein ausgebildeter Bäcker mit rund fünf Jahren Berufspraxis recht ordentlich: zwischen 2700 und 3000 Euro brutto inklusive Zulagen. Aber die Auswahl an Auszubildenden ist dennoch dürftig. „Uns fehlen gut qualifizierte Bewerber“, sagt Peter Becker. Qualität und Motivation seien meist mäßig. Er selbst setzt große Hoffnungen auf die Flüchtlinge, die nach Hamburg kommen. Mit Aussiedlern aus Russland habe er bereits in früheren Zeiten gute Erfahrungen gemacht – und auch mit zwei jungen Afghanen, die bei ihm jüngst ein Praktikum absolviert haben.

Trotz der Personalprobleme ist ihm um die Zukunft seines eigenen kleinen Backreichs nicht bange. Nicht nur, dass er von den Fähigkeiten und dem Engagement seiner Tochter überzeugt ist. Ihm spielt auch in die Karten, dass die Kundschaft immer mehr Wert auf eine gesunde Ernährung legt. Top-Qualität, möglichst ohne Zusatzstoffe gepaart mit einem besonders guten Service – das ist für ihn das Erfolgsrezept von Bäcker Becker. Auch unter der Führung seiner Tochter will er seinen Teil dazu ja noch ein paar Jahre beitragen. Halbtags in der Backtube. „Wenn meine Tochter nichts dagegen hat“, sagt er und lächelt.