Hamburg . Der Opernsänger Klaus Florian Vogt spricht über Schubert, Gesang – und die Stärken und Schwächen des Großen Saals.
10. Stock, Elbphilharmonie. Die Sonne scheint weißgleißend ins Künstlerzimmer des Kleinen Saals, der Heldentenor bügelt. Zwischen Probe und Fototermin ist noch Zeit, das Hemd zu richten. Am Morgen ist Klaus Florian Vogt, einer der meistbeschäftigten Wagner-Tenöre, aus München angeflogen, ab Dienstag probt er die „Meistersinger“ in Salzburg, dazwischen singt er in Hamburg mit Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters die Uraufführung von Schuberts Liedzyklus „Die schöne Müllerin“. Na ja, beinahe jedenfalls: Es ist die Uraufführung der Bearbeitung von Andreas N. Tarkmann. Der hat das Klavier in Vogts Auftrag durch Streichquartett, Kontrabass, Klarinette, Fagott und Horn ersetzt. Vogt, am Bügelbrett, ist ganz auf das Gespräch konzentriert. Gelegentlich rückt er den Haarreif zurecht, den er wegen der langen Haare trägt, und hält kurz inne, um nach dem treffendsten Ausdruck zu suchen.
Hamburger Abendblatt: Hat Ihnen die „Müllerin“ mit Klavier nicht ausgereicht?
Klaus Florian Vogt: Doch, natürlich! Aber ich mag diesen Kammermusik-Sound. Als ich noch Hornist beim Philharmonischen Staatsorchester war, haben wir Schubert-Oktett und Beethoven-Septett gespielt. Diese gemischten Besetzungen liebe ich. Und als ich hier im Kleinen Saal mit den früheren Kollegen einmal Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ gemacht habe, da war die Zugabe eine Bearbeitung von „Ungeduld“ aus der „Müllerin“. Die hat mir so gut gefallen, dass ich den ganzen Zyklus machen wollte.
Was fesselt Sie an Schubert?
Klaus Florian Vogt: Ich habe seine Sinfonien schon im Jugendorchester kennengelernt. Und „Die schöne Müllerin“ war mein erster Liedzyklus. Schubert hat etwas sehr Natürliches und Spielerisches. Das passt zu dem Stoff, zu dem jungen Müllerburschen. Die Musik hat Tiefe, aber in der Tiefe eine Leichtigkeit. Das zu verbinden, das ist Schubert.
Wie macht er das?
Klaus Florian Vogt: „Mit dem grünen Lautenbande“ ist sehr schlicht und volksliedhaft. Gleich danach kommt „Der Jäger“. Die ganze Dramatik entsteht aus dem Wechsel: Da fällt einer von einer Stimmung in die andere.
Wie ist das eigentlich für Sie, von Heldentenor auf Lied umzuschalten?
Klaus Florian Vogt: Schön!
Und wie machen Sie das stimmlich?
Klaus Florian Vogt: Ein großer Ton muss immer auch einen kleinen Kern haben. Einen Strahl, in dem sich der Klang konzentriert. Den brauche ich immer, ob ich gerade Lohengrin oder ein Schubert-Lied singe. Ich muss mich gar nicht umstellen, sondern nur andere Farben oder Formen der Stimme benutzen. Bei lauten Tönen ist das Lyrische immer dabei. Umgekehrt kann man auch bei der „Müllerin“ wütend und laut werden und das Große benutzen.
Sie treten ja sowieso nicht gerade als Brecher auf, wenn Sie Lohengrin singen.
Klaus Florian Vogt: Bei Lohengrin passt das auch nicht. Ich finde generell, schreien passt nicht. Musik lebt vom Mischklang. Wenn alle laut spielen oder singen, kann sich aber nichts mischen. In der Kammermusik und im Orchester wird einem das von klein auf eingebimst, auszugleichen und auch mal in den Hintergrund zu treten. Mir macht das heute noch großen Spaß, wenn wir Ensembles singen, das Quintett in den „Meistersingern“ zum Beispiel.
Sich selbst zugunsten des Ensembles zurückzunehmen ist unter Opernsängern aber keine Selbstverständlichkeit, fürchte ich.
Klaus Florian Vogt: Es geht doch darum, gemeinsam etwas zu schaffen. Wenn ich mit Orchester singe, ist das genauso. Es hat keinen Sinn, gegen 100 Leute anzusingen, da habe ich keine Chance. Ich muss in dem Gebilde meinen Platz finden.
Wie viele Lohengrine haben Sie eigentlich schon gesungen?
Klaus Florian Vogt: Weiß ich nicht. Ich zähle nicht mit.
Wenn die Figur Sie seit Jahren begleitet, verselbstständigt die sich manchmal? Erscheint er Ihnen im Traum?
Klaus Florian Vogt: Nein. Das ist noch nicht vorgekommen, dass ich meiner Frau gesagt hätte, heute Nacht war Lohengrin zu Besuch. Aber er ist mir sehr gegenwärtig. Ich entdecke immer Neues. Diese Vielschichtigkeit ist das Tolle bei Wagner. Bei seinen Partien hat man unendlich viele Möglichkeiten, zu interpretieren.
Können Sie sich denn immer auf neue Lesarten einlassen?
Klaus Florian Vogt: Ich versuche, das Alte zu vergessen. Sonst wäre es ja langweilig. Das entspräche nicht meiner Auffassung von künstlerischer Arbeit.
Fällt es Ihnen mit der Zahl der Inszenierungen leichter oder schwerer, sich die Regieanweisungen zu merken?
Klaus Florian Vogt: Leichter. Weil ich ein größeres Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten habe. Ich nehme die gesammelten Erfahrungen als eine Requisitenkiste, aus der ich unterschiedliche Dinge herausnehmen kann. Und wenn es nur eine Farbe ist.
Sie singen in den großen Konzertsälen der westlichen Welt. Wie eignen Sie sich einen Saal an, den Sie noch nicht kennen?
Klaus Florian Vogt: Mir sind Anspielproben sehr wichtig. Ich muss vor der Aufführung die Möglichkeit haben, einmal auf der Bühne zu stehen und in den Saal zu singen. Sonst wird’s ein Blindflug. Jeder Saal ist anders.
Was macht der Dirigent bei diesem Prozess?
Klaus Florian Vogt: Er entscheidet etwa über die Aufstellung. Als ich beim Eröffnungsfestival der Elbphilharmonie die Missa solemnis von Beethoven gesungen habe, haben wir probiert, die Solisten vor das Orchester zu stellen. Das funktionierte überhaupt nicht. Ich stehe nicht gern vorne an der Bühnenkante, da hat man wenig Tiefe, der Klang kann sich nicht gut entwickeln.
Außerdem haben Sie in der Elbphilharmonie zwei Drittel der Zuschauer im Rücken ...
Klaus Florian Vogt: Man hat als Sänger eine Richtung, in die man singt. Für alle, die nicht dort sitzen, wird es schwierig mit dem Hören. Es ist für das Verstehen auch wichtig, die Augen eines Sängers zu sehen.
Nach dem Kaufmann-Skandal war vielfach zu lesen, die Elbphilharmonie sei für Sänger halt ungeeignet. Sehen Sie das auch so?
Klaus Florian Vogt: Nee! Ich finde den Saal fantastisch. Er hat eine unglaubliche Atmosphäre. Was die Akustik betrifft: Man muss ihn zu bespielen wissen. Er klingt nicht von allein. Man muss etwas investieren. Aber dann klingt es toll.
Was haben Sie investiert?
Klaus Florian Vogt: Ich merke, was ich machen muss, damit ich bis zum letzten Platz vordringe. Man darf nicht für sich singen. Ab einem bestimmten Punkt, wenn man bestimmte Frequenzen nutzt, bekommt man etwas zurück. Dann macht der Saal mit. Ich spiele mit Farben oder mit der Dynamik. Eins funktioniert nicht: aus der Aktivität wieder herauszugehen. In der Laeiszhalle geht das, die schwingt von allein. Die Elbphilharmonie nicht. Man kriegt nichts geschenkt!