Hamburg . Theater der Welt mit sehr politischen Reden an drei Hauptspielorten eröffnet. Es ging um Mut, Optimismus – und das Ende der Menschheit.

Wenn Superlative angebracht sind, sollte man sie auch benennen. Es sei „das größte Festival internationaler Art, das es in Hamburg je gegeben hat“, erklärte Joachim Lux, Festivalleiter des gestern mit entsprechendem Pomp eröffneten „Theater der Welt“. „Drei Wochen Überforderung“, weshalb – ganz unbescheiden – auch gleich dreimal Eröffnung gefeiert wurde, eine für jeden der drei Hauptspiel­orte Thalia, Kampnagel und Baakenhöft. Zwei Bürgermeisterreden, eine vom Kultursenator. Die vier Festivalkuratoren Amelie Deuflhard, Sandra Küpper, Joachim Lux und András Siebold haben vorsorglich eine Art Sorgentelefon eingerichtet: An dem geben sie persönliche Empfehlungen aus für all jene, die sich trotz aller Vermittlungsversuche im vielseitigen, umfangreichen und vielleicht trotzdem nicht immer sofort einleuchtenden Programm verlaufen.

Im Thalia wurde das Festival
Im Thalia wurde das Festival "Theater der Welt" eröffnet © dpa | Daniel Bockwoldt

Dabei ist das durchaus Teil des Konzepts: „Theater der Welt“ bedeutet auch, sich auf Unbekanntes einzulassen. Künstlerisch, intellektuell, sogar gastronomisch. Auf dem „Haven“ getauften ­Festivalgelände am Afrikaterminal im Hafen kann man ugandisches Fingerfood probieren.

Festival kehrt an Ort der Entstehung zurück

Mit seiner 15. Ausgabe kehrt „Theater der Welt“ an den Ort seiner Entstehung zurück. 1979 war das Festival vom damaligen Schauspielhaus-Intendanten Ivan Nagel als „Theater der Nationen“ erfunden worden. Bereits zum dritten Mal findet das Festival des Internationalen Theaterinstituts (ITI) nun in Hamburg statt, 45 Produktionen aus fünf Kontinenten, eine Art kleines Olympia der darstellenden Künste.

Und es soll ein „optimistisches Festival“ werden, bekräftigte Joachim Lux in seinem ersten Grußwort, eines, das zwar streitbar sei, sich aber klar „gegen Angst und Zweifel“ positioniere. „Wir wollen hoffen dürfen!“, rief der Thalia-Intendant seinem voll besetzten Haus nicht ohne Pathos entgegen – und wo, wenn nicht im Theater, muss solch ein Pathos erlaubt sein? Ein Mut-mach-Festival, dessen Schirmherr nicht zufällig der amtierende Außenminister Sigmar Gabriel ist. Denn es geht um den Blick nach außen, um das Vernetzen miteinander, das Einander-Zuhören.

Allerhand Erst- und Uraufführungen

Das Programm aus 330 Veranstaltungen, darunter allein 27 Erst- und Uraufführungen, stehe „für ein Theater, das uns etwas angeht und die relevanten Fragen der Zeit in ein neues Licht setzt“, erklärte Olaf Scholz in seiner ersten Eröffnungsrede am Vormittag. Hamburg sei, so Scholz unzweideutig, „eine Ankunftsstadt“. Und er versteht das Theater dabei als eine gesellschaftlich verändernde Kraft und erwarte, Schiller zitierend, einen „herrlichen Zuwachs an Mut und Erfahrung“ sowie „ein Fest der Sinne und eine Aufforderung zum Denken“.

Festival-Guide: Was soll ich mir anschauen?

Das sehen auch die Festivalmacher so und luden den Kameruner Philosophen und Historiker Achille Mbembe zur Eröffnungsrede, der – zwar anhand eines Manuskripts, aber beeindruckend frei – über den „globalen Moment“ referierte und die Abkapselung und Abschottung vor allem westlicher Gesellschaften in den Fokus nahm. Die Demokratie aus afrikanischer Sicht – eine Perspektive, die man in der Tat nicht alle Tage zu hören bekommt. Was einen ja schon mal ganz grundsätzlich ins Grübeln bringe sollte.

Erinnerung an Boko Haram

Der kamerunische Historiker und Philosoph Achille Mbembe bei seiner Rede im Thalia
Der kamerunische Historiker und Philosoph Achille Mbembe bei seiner Rede im Thalia © dpa | Daniel Bockwoldt

Eine der entscheidenden Fragen sei die nach dem Miteinander: „Was tun wir mit Menschen, die wir für ungewollt und überflüssig halten?“ fragte Mbembe und mochte sich im Verlauf seiner Rede nicht ganz an das optimistische Festivalmotto halten, das Lux zuvor ausgegeben hatte. Er erinnerte an die Grausamkeiten der afrikanisch-islamistischen Boko Haram und an den Anschlag von Manchester, es könne „wirklich hässlich da draußen“ werden. Die Zeiten ermöglichten „alle Arten der Eskalation“. Wer ernsthaft noch an die Demokratie glaube, dem müsse genau dies bewusst sein.

Gehe man nach Kalifornien ins vermeintlich so zukunftsverliebte Silicon Valley, so Mbembe, wäre man erstaunt, „wie viele dort glauben, dass wir uns auf einen Endzeitzustand zubewegen“. Hoffen dürfen? Mut machen? „Unsere Geschichte wird enden“, glaubt Mbembe vielmehr, „unsere Geschichte auf diesem Planeten ist nur eine ganz kurze.“

"Richtige Bühne, um diese Fragen zu stellen"

Das lasse sich auch am technologischen Fortschritt ablesen, der weit mehr als nur das sei, führte der Politikwissenschaftler aus, der an Universitäten in Paris, den USA und Afrika arbeitete. „Bis vor Kurzem glaubte man, dass der Mensch keine Sache war. Kein Tier, keine Maschine. Der Mensch basierte auf dieser Unterscheidung. Heute sind Maschinen Verlängerungen unserer selbst.“ Dieses Verschmelzen mit der Technologie sei jedoch eine Gefahr für eine Demokratie, in der Wissen immer mehr als „Wissen für den Markt“ definiert werde. „Wissen als Weisheit“ gelte immer weniger. Die Demokratie aber habe keine Zukunft in einer Welt ohne Fakten. „Schafft es die menschliche Zivilisation also, einem politischen Leben wieder echtes Leben einzuhauchen?“ fragt Achille Mbembe. Anlässe wie „Theater der Welt“ hält er für die „richtige Bühne, um diese Fragen zu stellen“.

Es sind also, kurz vor dem G20-Gipfel der politischen Entscheider, die Künstler, die in den kommenden Tagen und Wochen einen Dialog mit dem Pu­­blikum und miteinander eingehen. Künstler aus China, Argentinien, Ägypten, Frankreich, Kolumbien, Australien, aus Burkina Faso, den USA, Spanien und nicht zuletzt natürlich: aus Hamburg.

„Es ist gut, dass das Festival ein Zeichen für Toleranz und Humanität setzt“, findet Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. „Das Theater der Welt 2017 ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“