Hamburg. Generalintendant Christoph Lieben-Seutter präsentierte das Programm für die Saison 2017/18, die erste reguläre Spielzeit.

Schon seit etlichen Jahren hat Generalintendant Christoph Lieben-Seutter Elbphilharmonie-Probleme. Die meisten neuen sind mittlerweile allerdings Luxus-Probleme, um die ihn der Rest der Klassik-Branche ­beneidet. Die Karten? Alle immer weg, restlos, sofort, ein Ende ist nicht in Sicht. Die Stars? Alle wollen kommen.

Die Plaza, das ­öffentlich begehbare, aber im Winter ungeheizte Vorzimmer seiner Säle? Populär ist kein Ausdruck. Die Sponsoren-Anfragen? Stapeln sich ­offenbar. Die Mitarbeiter nach den ersten Monaten Spielbetrieb? Auf dem Zahnfleisch. Die Akustik im Großen Saal? Kein Fall für Nachbesserungen, eher eine Herausforderung, an der manche Künstler wachsen können (und andere, schlimmstenfalls, verzweifeln).

Bescherung im Großen Saal

Die hektischen Wochen seit Januar und der Rest der komprimierten Rumpf-Saison sind ein Sonderfall. Von September an, nach einer durch Sommersausen verkürzten Pause, soll tatsächlich so etwas wie Routine in den Ausnahmezustand kommen, hoffte Kultursenator Carsten Brosda bei seiner ersten Erfolgsbilanz, ­obwohl Routine und Kreativität ja eigentlich Todfeinde sind. Für diese erste reguläre Spielzeit, die nach einem Sommer-Sortiment im August im September mit einem Bach/Ballett-Abend im Großen Saal beginnt, hat Lieben-Seutter für seine beiden örtlichen Konzerthäuser einen sehr großen, sehr bunten Teller angerichtet.

Kommentar: Ein richtiges Karten-Zeichen

Am Montag war Bescherung im Großen Saal, als Abschluss der Programmvorschauen anderer Anbieter. Rund 600 Konzerte sind in dem prallen Spielplan zusammengekommen, rund eine Million Besucher könnten es wohl werden. Die Basis-Zutaten sind geblieben wie in Lieben-Seutters letzten Dienstjahren, jetzt nur eben ­inklusive Musikstadt-Wahrzeichen und globaler Aufmerksamkeit: Stars, Orchester, Festivals, Schwerpunkte, ­Residenzkünstler, kleinere und größere Extravaganzen. Neue Abo-Reihen fächern das Sortiment zielgruppengerecht auf. Viel Kunst-Handwerk also, eine engere inhaltliche Verknüpfung von Laeiszhalle und Elbphilharmonie durch Sowohl-als-auch-Konzerte sind eher kein Thema.

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Bei den Orchestern sind viele prominente Adressen zu finden: Philadelphia und Cleveland, das Concertgebouw aus Amsterdam, das Gewandhaus aus Leipzig, Philharmonia und das LSO aus London, Birmingham als Aufstiegskandidat. Ein besonderer Klangkörper-Fokus allerdings liegt auf München, dem südlichen Gegenpol zur frisch aufblühenden ­Musikstadt Hamburg, wo seit Jahren halbgare Konzertsaal-Konzepte gestrickt und verworfen werden und die perspektivischen Blicke an die Elbe nicht immer neidfrei sind: Die drei großen Münchner Orchester kommen (der BR dreimal) zur Ortsbesichtigung, mit ihren Chefs Jansons, ­Petrenko und Gergiev sowie Haitink als BR-Bonus.

Auf der Solistenliste stehen u. a. der landauf, landab gut ­gebuchte Pianist ­Daniil Trifonov oder Bariton Matthias Goerne. Den Lebende-Komponisten-Schwerpunkt bestreitet Peter Eötvös. Eine „Winterreise“-Reihe ­beleuchtet Schuberts „schauerliche Lieder“ aus unterschiedlichsten Stilrichtungen.

Erste große Stockhausen-Würdigung

Da der Große Saal klangcharakterlich der Moderne nahesteht, ist es nur konsequent, großdimensionierte Unikate des 20. Jahrhunderts dort aufzuführen – Avantgarde-Besonderheiten wie Cerhas „Spiegel“-Zyklus, Griseys „Les espaces acoustiques“, Berios „Sinfonia“ und, durch die Flüchtlingskrisen wieder tragisch aktuell geworden, Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“, dramaturgisch ergänzt durch eine Lesung von Jelineks „Schutzbefohlenen“ mit Peter Stein. Karlheinz Stockhausen, ein weiterer großer und unbequemer Deutscher, soll im Mittelpunkt des „Utopie“-Musikfests stehen, das von 2018 nicht mehr als Biennale, sondern im jährlichen Rhythmus geboten wird.

Es ist die erste große Stockhausen-Würdigung in Hamburg nach dem Skandal wegen dessen Äußerungen zu den 9/11-Anschlägen, für die er 2001 aus dem damaligen Musikfest geworfen wurde. Als konzertante Oper ist neben einem „Don Giovanni“ mit Christian Gerhaher und Tschaikowskys „Jolan­the“ mit Gergiev auch Berlioz’ „Faust“ geplant, für den der Bariton Bryn Terfel in jenen Saal ­zurückkehrt, bei dessen Eröffnung er in Beethovens Neunter unter Wert auftrat.

Noch in dieser Saison gastiert Woody Allen mit seiner New Orleans Jazz Band in der Elbphilharmonie. Der Jazz ist eine große Leidenschaft des Regisseurs, der in diesem Fall als Klarinettist wirkt. Der Kartenverkauf für das Konzert am 11. Juli beginnt am 12. Mai um 9 Uhr.

Weltmusikalisch geht es in den Kaukasus

Weltmusikalisch geht es in der neuen Spielzeit, nach Syrien vor einigen Wochen, in den Kaukasus. Ein weiterer Abstecher ist das „Czech it out!“-Festival im Kleinen Saal, das sich dort tschechischer Kammer­musik widmet. Hinter dem Titel „Deflektor“ verbirgt sich ein neues Freistil-Format: Künstler bekommen Programmfreifahrtscheine, sie können tun, lassen, einladen, was und wen sie wollen. Zum Auftakt toben sich Bryce Dessner, als Gitarrist von The National und Komponist aktiv, und der Pianist Yaron Herman aus. Der nächste Dramaturgie-Schritt könnte ein Angebot für klassischere Interpreten sein.

Historisches Lokalkolorit muss sein als Klangfarbe für ein Konzerthaus, das so sehr die örtliche Vielschichtigkeit betont und behauptet. Brosda nannte diesen Aspekt „Probe- und Tiefenbohrungen in die kulturelle Tradition“. Ein überfälliges Telemann-Festival zum 250. Todesjahr ist eine Facette. Zwei weitere sind die „Unterdeck“-Termine im Kaistudio 1, wo das Ensemble Reflektor sehr neue Musik spielen wird. Dazu kommen „Made in Hamburg“-Konzerte im Kleinen Saal, die der Forderung entsprechen, Bands aus den Clubs in die Prestigeadresse am Platz der deutschen Einheit zu bringen. Musikpädagogische Angebote werden ausgeweitet. Brosdas Meinung zu all dem: „Diese Euphorie kann einen glücklich machen.“