Hamburg. Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie gefeiert: Geiger Nikolaj Znaider und Pianist Piotr Anderszewski.
Die Schönheit ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Als oberste Maxime des Musizierens hat sie ausgedient, manche Revoluzzer der Geige erklären sie gar zum Kitsch. Was die Originalklangbewegung einst erkämpft hat – Artikulationsschärfe, Lebendigkeit, Rauheit –, ist mittlerweile Gemeingut.
Und dann nehmen der Geiger Nikolaj Znaider und der Pianist Piotr Anderszewski es sich heraus, ihrem Publikum im Kleinen Saal der Elbphilharmonie einen traditionellen Sonatenabend vorzusetzen. Noch dazu mit einem alles andere als leichtgängigem Programm, das sich in vorelbphilharmonischen Zeiten wohl erheblich weniger Leute angetan hätten als an diesem – natürlich ausverkauften – Abend.
Großzügiges Vibrato
Znaider, Jahrgang 1975, ist ein leibhaftiges Déjà-vu. Nicht nur seine Gesichtszüge erinnern an den Jahrhundertgeiger David Oistrach in den 30er-Jahren, als der noch jung war, sondern auch sein erlesener Geigenton und sein Musizierstil. Technische Schwierigkeiten scheint er nicht zu kennen. Die Finger bewegen sich mit kleinstmöglichem Aufwand, der Bogen schnurrt so satt über die Saiten wie ein Zwölfzylinder über die Autobahn, mit dem Vibrato geht er großzügig bis verschwenderisch um.
Dennoch braucht er einen Moment, bis seine Guarneri „Kreisler“ ganz frei klingt. Das mag auch an der Kompositionsweise von Leos Janáceks liegen. Wie bei einer Collage montierte der Tscheche in seiner Violinsonate Passagen, die nach gesprochener Rede klingen oder gar nach Streit, gegen Melodien von böhmisch angehauchter Melancholie. Doch während Anderszewskis Klangspektrum vom Poltern herunterfallender Steine bis zum zärtlichsten Sternenflimmern reicht, klingt Znaider zunächst, als scheute er vor ruppigen Klängen zurück.
Jeder Hauch mit Bedeutung aufgeladen
Spätestens bei Schumanns Violinsonate d-Moll ist auch er angekommen. Mit Anderszewski, der seine innige Beziehung zu Schumann schon auf seiner jüngst erschienenen CD „Fantaisies“ dokumentiert hat, lotet er tief in die Abgründe der Sonate. Selten hat ein Spieler das Thema für sich allein, es ist ein ständiges Hervortreten und Sicheinordnen. Drama, Drive, alles da. Zwischenapplaus quittiert Znaider nonchalant: „Wir hören noch nicht auf!“ Gelächter – und weiterer Zwischenapplaus.
Schade, dass Anton Weberns Vier Stücke für Violine und Klavier erst nach der Pause folgen, wo sie doch – zusammen gerade mal fünf Minuten kurz – wie ein Konzentrat der Schumann-Sonate wirken. Mit jedem einzelnen Ton begeben sich die beiden Musiker tiefer in eine Welt, in der jeder Hauch mit Bedeutung aufgeladen ist. Nachdem die Hörer die stillen Momente mit Husten und Bonbonrascheln angereichert haben, lassen die Künstler die „Frühlingssonate“ (sicherheitshalber?) attacca folgen. Kein Birkenblättchen passt zwischen die beiden, wenn sie sich die Zeit nehmen, eine Phrase ausschwingen zu lassen. Das Werk entwickelt einen Sog, der seinem Beinamen alle Ehre macht. Mehr als die überbrachten Gestaltungsmittel braucht es dafür nicht. Manchmal geht es eben auch ohne Revolution.