Hamburg. Fünf gefeierte Konzerte mit neun Sinfonien in der Elbphilharmonie, doch die künstlerische Bilanz von Gustavo Dudamel ist zwiespältig.

Kann man alles richtig gemacht, fünf ausverkaufte, begeistert gefeierte Konzerte organisiert und gleichzeitig nicht fehlerfrei ­gehandelt haben? Dieses programmatische Kunst-Stück gelang dem Elbphilharmonie-Generalintendanten Christoph Lieben-Seutter mit seiner Einladung an den ­venezolanischen Star-Dirigenten Gustavo Dudamel, ihm den ersten Beethoven-Zyklus in der ersten echten Elbphilharmonie-Spielzeit ins frisch eröffnete Haus zu liefern.

Vor gut sieben Jahren hatte Dudamel, damals noch als Chef mit den ­Göteborger Symphonikern, das Format der „Elbphilharmonie-Konzerte“ in der Laeisz­halle eröffnet, unter anderem mit Beethovens Erster – aber auch da mit einer Interpretation, die eher mittel statt schon prächtig war. Der Pultstar als Publikumsmagnet war offenbar verlockend genug für eine zweite, ungleich größere Beethoven-Chance; das Charisma, die Begeisterung, die der ­damals noch jüngere Dudamel oft zu schüren versteht, sorgten dafür.

Viel mehr Glamour geht nicht

Der Name, die Intensität der musikalischen Auseinandersetzung mit dafür passendem Repertoire, die Show im Rampenlicht – all das macht es bei ihm nach wie vor aus. Inzwischen ist Dudamel immer noch unter 40 und spielt als erfolgreich etablierter Chef vom Los Angeles Philharmonic, dem derzeit faszinierendsten US-Top-Orchester, in der A-Liga. Seine Heimat ist die spektakuläre Walt Disney Concert Hall von Frank Gehry, für die der Elbphilharmonie-Akustiker Yasuhisa Toyota den brillanten Saal-Klang feinpoliert hat. Viel mehr Glamour geht nicht. Eigentlich.

Doch schon unter normaleren ­Umständen als denen der ersten Elbphilharmonie-Konzertwochen müsste ein Beethoven-Zyklus – der erste dort! – deutlich mehr sein als lediglich die Aufführung von neun Sinfonien in wenigen ­Tagen. Gerade er müsste Maßarbeit sein und Maßstäbe setzen sollen und wollen, weit in die das Hamburger Geschehen argwöhnisch beobachtende Musikwelt ­hinein.

Statement zu Dudamel als Sympath

Er müsste mit einem Orchester passieren oder mit einem Konzept, das mehr schafft als funktionieren, so angenehm und lehrreich es auch sein mag, die neun Meisterwerke als Druckbetankung erleben zu können. Solch ein Zyklus, in einer Prestige-Adresse wie der am Kaiserkai, sollte nichts sein, was woanders zu erleben wäre (Dudamel dirigierte ihn vor Hamburg in Barcelona und wird ihn im Wiener Musikverein wiederholen). Nicht, um ihn schneller auszuverkaufen, das ist in der Elbphilharmonie keine Kunst (s. rechts). Er sollte überzeugendes Statement zu Beethoven sein, interpretatorisch so ­revolutionär wie diese Musik. Der letzte Querdirigent, dem das gelang, war Paavo Järvi, 2009, mit der kleinen Kammerphilharmonie Bremen bei den großen Salzburger Festspielen.

Dudamels Beethoven-Zyklus hingegen war vor allem: ein Statement zu Dudamel als Sympath. Denn das vor ­beglücktem Publikum ausführende ­Orchester, die vielen jungen Damen und Herren vom Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela, Aushänge-Ensemble des staatlichen, erfolgreichen, nicht unumstrittenen Musikprojekts „El Sistema“, haben es vor allem gut ­gemeint. Und über mehrere Abende hinweg wurde ihr Leit-Star Dudamel vor ­allem durch die eigene Routine ­gerettet.

Prall üppige Bläserbesetzung

Viel mehr als den einen, letzten, ­besonders begeistert gefeierten Abend mit der Neunten hätte es prinzipiell nicht gebraucht, um zu erleben, wie ­Dudamel die Musik Beethovens im Ex­tremfall dieser Sinfonie versteht und sieht: als Spektakelmaterial. Mit einer prall üppigen Bläserbesetzung, die den strukturellen und musikphilosophischen Abstand zu den anderen acht Sinfonien schon optisch verdeutlichte.

Das Solistenquartett, insbesondere die mitunter scharf auf die nächsthöhere Tonart zielende Sopranistin Julianna Di Giacomo, agierte unterhalb von außerordentlich. Stars dieser Aufführungen waren einerseits Dudamel, der hier, auf der Zielgeraden, so agil, energisch, temperamentvoll und markant agierte, wie man es sich seit Sonntag öfter gewünscht hätte. Der andere, größere Haupt-Darsteller war, kaum überraschend: der Große Saal der Elbphilharmonie. Wie elegant er auf dem Silbertablett ausbreitete, wenn Pauken und Trompeten loslegten, wie atemberaubend leise er den tiefen Streichern beim ersten Einsatz des Freudenmotivs Frei-Raum gab und Fast-Stille ermöglichte – vor allem das war die eigentliche Sensation dieses Zyklus-Finales. Doch das hätte man dort so oder ähnlich gut auch von anderen Orchestern hören können.