Serie, Teil 4: Ohne die Initiative der Projektentwickler gäbe es die Elbphilharmonie nicht. Wie sie darauf kamen.
Der Eröffnungsintendant heißt Christoph Lieben-Seutter; der erste Bürgermeister, der mit der Weichenstellung dieses Themas zu tun gehabt hat, war Ole von Beust. Der letzte: Olaf Scholz. Doch ohne die Namen von Jana Marko und Alexander Gérard wäre die historische Entstehungsgeschichte der Elbphilharmonie nicht nur unvollständig, sie wäre undenkbar. Der Projektentwickler und die Kunsthistorikerin waren die Initiatoren des Projekts, die geistigen Eltern. Sie hatten die ersten Ideen, sie organisierten die ersten Bilder, sie arbeiteten jahrelang erst hinter und dann vor den Kulissen daran, dass das neue Konzerthaus in der HafenCity Wirklichkeit wurde.
Als der ganz große Ärger begann, waren sie nicht mehr dabei, weil für sie kein Platz mehr unter den städtischen Machern sein sollte. Der Schmerz war groß, und er saß tief. Doch aus den Augen oder gar aus dem Sinn verloren haben die beiden ihre Herzensangelegenheit nie. In ihrem Archiv hat das erste Modell der Elbphilharmonie einen Ehrenplatz, es ist und bleibt unverkäuflich, egal wie viele Angebote noch kommen.
Anfang September durften Sie bei der ersten „technischen Probe“ des NDR-Orchesters im Großen Saal dabei sein. Ohne etwas über den Klang verraten zu dürfen – wie war dieser erste Eindruck?
Jana Marko: Wir durften vorher einige Male schnuppern, um das Fortschreiten der Fertigstellung zu besichtigen. Aber die erste Probe? Wir sind dem Akustiker Yasuhisa Toyota und dem NDR wirklich unendlich dankbar, dass sie uns das geschenkt haben. Es ist nämlich ein sehr, sehr großes Geschenk geworden. Etwas, das wir nie vergessen werden. Es war wirklich bewegend, für alle, die dabei waren.
Nur wegen der Qualität oder weil damit eine schier ewig lange Geschichte endete?
Marko: Beides. Es ist natürlich auch eine Form des Abschieds. Das wäre auch eine Art symbolischer Schlüsselübergabe gewesen an die, die die Zukunft gestalten. Und die Qualität, soweit wir das beurteilen können, hat uns sehr beeindruckt. Mehr können wir wegen einer Schweigepflicht aber nicht sagen. Ich glaube, dass etwas gelungen ist: Dieser Saal wird sicher dafür sorgen, dass sich etwas ändert. Auch die Musiker haben wahrscheinlich verstanden, welche Möglichkeiten es dort gibt und welche Herausforderungen.
Im Video: Rundgang auf der Elbphilharmonie-Plaza:
Wie fühlte es sich nach 15 Jahren Projektgeschichte an, dort hineinzugehen? Es gäbe ja mehrere Gefühle zur Auswahl: Stolz, Glück, Überwältigung ...
Alexander Gérard: Da schwingt all das mit. Wir sind sehr froh, dass aus der ersten Idee auf Papier Wirklichkeit wurde. Das ist ja nicht selbstverständlich gewesen – und ist sehr gut gelungen. Obwohl es auch Punkte gibt, zu denen man sagen muss: Schade, dass es so gelaufen ist. Dazu gehört sicherlich die vollkommen unnötige Verschwendung erheblicher Steuergelder und dass man das Projekt flächenmäßig so aufgebläht hat und es nötig wurde, den Altbau zu entkernen. Unser Projekt, das wir komplett durchgerechnet hatten, wäre sehr viel karger geworden.
Marko: Ein dritter Aspekt, der uns sehr wichtig war: An der Kaispeicher-A-Westseite sollte nach den ursprünglichen Plänen des Architekten Werner Kallmorgen hoch im Gebäude eine Hafenarbeiter-Kantine liegen. Dazu kam es aber nie. Wir hatten uns damals überlegt, dort für die Stadt Hamburg und das, was das Gebäude sein soll, etwas sehr Verbindendes zu bauen – eine Art geistige Hafenarbeiter-Kantine. Oben im Gebäude die Hochkultur und im Bauch ein Ort für die Off-Szene, damit sie nicht für jede Kleinigkeit irgendwo betteln muss. Die Einnahmen der Film- und Fotorechte, die in eine Stiftung gehen sollten, wären für diese Location gedacht gewesen. Das hätten wir uns als Bindeglied zwischen all diesen seltsamen Formen und Disziplinen gewünscht.
Verdammt lang her schon, das alles.
Marko: Die letzten zwölf Jahre sind aber auch ein Abschied auf Raten gewesen. Irgendwann im Laufe dieser Jahre ist das Gefühl gekippt, und aus dem Abschied ist ein Willkommen geworden. Wir freuen uns jetzt einfach, dass dieses überwältigende Gebäude jetzt da ist. Jemand Berufeneres als wir hat einmal gesagt: Wenn man etwas gegen die Elbphilharmonie hat, sollte man tunlichst nicht hineingehen.
In der Gebäude-Folklore heißt es immer, Sie beide hätten die Idee gemeinsam gehabt, was per se schwierig ist. Wer hatte konkret den ersten Einfall?
Marko: Das war ein Prozess. Wir sind jedenfalls nicht morgens aufgewacht und haben gedacht: Was jetzt noch ganz dringend fehlt, ist eine Elbphilharmonie. Ich komme aus dem kulturellen Milieu, Alexander aus dem Immobilienentwickler-Milieu. Als wir uns kennenlernten, haben wir uns über die Entwicklung der Stadt Richtung Hafen in die Haare bekommen. Uns war immer klar, dass etwas ganz Wesentliches fehlte – ein kulturelles und soziales Zeichen, um einen Stadtteil entweder zu entwickeln oder ihn an die Stadt heranzuführen, wie beispielsweise mit dem Guggenheim Museum in Bilbao, um mittels eines neuen Zeichens etwas für die Stadt zu bewirken.
Gérard: Am 21. März 2001, das habe ich mir damals notiert, ist im Gespräch zwischen uns der Gedanke eines Konzertsaals entstanden. Wer die Idee ausgesprochen hat, weiß ich nicht mehr. Wir sahen damals auch, dass die Debatte um die Nutzung vom Kaispeicher A in die falsche Richtung ging. Das hat uns, tja: geärgert. Dagegen wollten wir etwas unternehmen. Ein großer Teil unseres heutigen Erfolgserlebnisses, abgesehen von der wunderbaren Qualität des Gebäudes: Die HafenCity hat durch diese Entwicklung einen enorm positiven Impuls erhalten.
Marko: Die Identität der Stadt Hamburg stellt sich jetzt anders auf. Vor 20 Jahren wäre es noch absolut merkwürdig gewesen, wenn sich Hamburg als Musikstadt bezeichnet hätte. Ob diese Stadt das ist, ob sie das werden wird, sei dahingestellt, da ist noch viel Arbeit zu tun. Aber immerhin besteht jetzt tatsächlich die Möglichkeit.
Die 10 besten Konzertsäle der Welt:
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Ihre Pionierarbeit – dreieinhalb Jahre lang den Boden für das Projekt zu bereiten, viele zu begeistern und Kritiker zu bekehren – haben Sie so umschrieben: „Wir waren emotionale Hausierer.“ Wie sieht dieser Marathon durch kulturpolitisch vermintes Gelände aus heutiger Sicht für Sie aus?
Marko: Extrem mutig. Aber wir wussten, dass wir vielleicht Erfolg haben könnten. Das klingt jetzt unglaublich arrogant, doch das Glück war auf unserer Seite. Wir waren relativ unbekannte Größen in der Stadt, und wir kamen von außen. Henning Voscherau hat einmal zu uns gesagt: ,Sie werden nie und nimmer Erfolg mit diesem Projekt haben, denn Sie haben keinen Stallgeruch, und Sie haben keine Lobby.‘ Und wir haben gedacht: Fantastisch! Genau das ist es, was wir nicht brauchen, wir fangen an! Es war unglaublich spannend, wie gern man uns damals auf vielen Ebenen die Türen aufgemacht hat. Wir haben weltweit sehr viele Konzerthäuser, Intendanten und andere Experten besucht. Christoph Lieben-Seutter war damals Chef am Konzerthaus Wien und hat sinngemäß seinen technischen Direktor angefragt: Da sind zwei Wahnsinnige aus Hamburg, die wollen ein Konzerthaus bauen. Wollen wir mit ihnen reden???“ Diese merkwürdige Chuzpe hat uns wahnsinniges Glück gebracht.
Gérard: Drei Ziele hatten wir. Erstens ein Impuls für die HafenCity-Entwicklung mit Kultur; zweitens ein neuer Konzertsaal für die Stadt nach dem Verlust des Conventgartens im Zweiten Weltkrieg; drittens: Wir bauen ihn selber. Und irgendwo zwischen zwei und drei sind wir hängen geblieben. Als Bilanz ist das nicht so schlecht.
Viele Verantwortliche standen Ihrer Idee zunächst kritisch bis ablehnend gegenüber. Wie haben Sie es geschafft, diese Meinungen zu ändern?
Marko: Es waren ja nicht nur wir. Plötzlich haben viele diese Idee aufgegriffen und an deren Ausgestaltung mitgearbeitet. Wenn ein Erster Bürgermeister von mehr als einem Dutzend Architekten einen offenen Brief erhält, in dem sie sich dezidiert für einen Entwurf anderer Architekten aussprechen, gibt das schon zu denken. Diverse wichtige Menschen dieser Stadt schrieben: Ja, wir möchten das. Der damalige Laeiszhallen-Chef Benedikt Stampa sagte: Das ist keine Konkurrenz zu uns, sondern genau das, was wir in dieser Stadt brauchen.
Gérard: Auch Rolf Beck als Klangkörperchef des NDR erkannte sofort das Potenzial. Wir hatten das Projekt auch als Alternative zu dem Bürobau Media City Port vorgestellt, der an die Stelle vom Kaispeicher A kommen sollte, unserer Meinung nach aber schon auf Grund gelaufen war. Seitenweise hatten wir unsere Argumente aufgelistet, alle fanden sie wunderbar und legten sie wieder beiseite ... Da haben wir uns gesagt: Wir brauchen ein Bild.
Marko: Ich wollte ein Bild, das die Verhältnisse nicht schönt, sondern den Bau möglichst grau und mit Nebelschwaden zeigt ...
Gérard: ... bei Hamburger Schietwetter. Dieses Bild hatten wir am 26. Juni 2003 bei der Präsentation im Studio E der Laeiszhalle, mit dem Architekten Pierre de Meuron aus Basel. Das war, nachdem uns verweigert worden war, das Konzept im Kesselhaus in der HafenCity zu präsentieren. Unser Modell hatte den passenden Maßstab, man hätte es in das dortige Stadtmodell reinsetzen können, um die städtebaulichen Bezüge zu zeigen. In dieser misslichen Lage sagte uns Stampa: Okay, macht’s bei uns.
Marko: Da war der Wind schon ziemlich kräftig ...
Gérard: Bei den ersten 34 Präsentationen, die wir vor diesem Termin gemacht hatten, war auch der Laeiszhallen-Freundeskreis dabei gewesen, damit war klar, dass es nicht um ein Gegeneinander gehen sollte, sondern um ein Miteinander. Es war ja bereits zweimal vorher versucht worden, einen neuen Saal zu bauen, ohne Erfolg. Nach 44 Jahren kam der Regierungswechsel von SPD zur CDU und deren Profilierungsbedürfnis. Dann gab’s die HafenCity und die „Wachsende Stadt“. All das kam zusammen mit diesem wirklich überzeugenden Entwurf. Und den vielen, die sich positiv eingemischt haben – während es auch viele gab, die es zu verhindern versuchten.
Von welchem Zeitpunkt an hatten Sie das Gefühl, es wird klappen?
Gérard: Für mich war das nach der Plausibilitätsprüfung unserer Planungen, die die Richtigkeit der Annahmen bestätigte. Als mir das mitgeteilt wurde, war mir klar, dass wir auf alle Fälle eine Chance hätten. Wenig später empfahl der Senat der Bürgerschaft in der letzten Sitzung 2003 das Projekt zur Weiterverfolgung, und die sprach sich einstimmig dafür aus.
Marko: Ich wusste, dass es kommt, nachdem wir bei Herzog & de Meuron in Basel gewesen waren und dort die Welle auf eine Postkarte gezeichnet worden war. Ich wusste aber relativ früh 2004, dass wir uns auf einen Schleudersitz hinbewegen – nach einem Gespräch in der Baubehörde. Doch ich wusste trotzdem, dass die Elbphilharmonie kommt ...
Gérard: ... ohne uns ...
Marko: ... das wusste ich auch.
Gérard: Wir waren damals bis zu 24 Personen an einem Tisch, die sich alle für nicht zuständig erklärten. Es passierte rein gar nichts. Da haben wir uns gesagt: Wenn das etwas werden soll, muss die Stadt jemanden benennen, der ihre Belange koordiniert und die 22 anderen vorab zu Entscheidungen bringt, damit wir eine Arbeitsgrundlage haben. Wir wollten nicht einen Bauherrn, denn als solchen begriffen wir uns ja selber. Und mit Dieter Becken hatten wir jemanden, der mit dem Polizeipräsidium für die Stadt nach Plänen von Hadi Teherani ein komplexes Gebäude abgeliefert hatte, drei Wochen vor dem Termin und 15 Millionen Mark unter dem Budget.
Und dann kam Hartmut Wegener als Projektkoordinator ...
Gérard: ... den wir in Essen „kennenlernten“. Dort hatte Hochtief gerade eine neue Philharmonie gebaut. Bei der Präsentation am Tisch sagte Wegener: Ich bin der Bauherr. Natürlich konnte er sich nicht dazu machen, ohne dass man ihm gesagt hat: Du übernimmst jetzt die Verantwortung dafür. Und das ist die eigentliche Tragik des Projekts: Die Stadt wollte ganz offensichtlich Bauherr werden. Inzwischen ist sie nicht nur Eigentümer der Konzertsäle, des Backstage-Bereichs, sondern auch des Hotels mitsamt Vermietungsrisiko sowie des Parkhauses. Einzig außen vor sind die höchst lukrativen Wohnungen. Wertschöpfung, die der Stadt entgeht.
Marko: Wir haben damals Qualitätssicherung ins Projekt gebracht, unter anderem, indem wir Konzertsaalplaner und Akustiker aus aller Welt eingeladen hatten, wir hatten bei der Kulturbehörde ein internationales Fachkuratorium angeregt.
Gérard: Noch im August haben wir den Architekten- in einen Generalplanervertrag umgewandelt. Wir dachten: Wenn wir das Projekt verlassen, ist die Stärkung der Architekten die einzige Garantie für Qualität.
Und im Laufe der Zeit danach wurde das Wort „Elbphilharmonie“ für viele das Synonym für: vergurktes Bauprojekt mit vertrottelten städtischen Mitarbeitern, raffgierigem Baukonzern und hinterhältigen Architekten. Hatten Sie damals konkrete Angst davor, dass es zu einer halb fertigen Bauruine kommen könnte?
Gérard: Wir haben die Entwicklung mit großer Sorge verfolgt ...
Marko: ... waren aber so außenstehend, dass wir viele Interna nicht kannten. Wir waren abgeschnitten – und, ja, mit Unwohlsein erfüllt.
Gérard: Aber den Bau so stehen zu lassen, das konnte ich mir nicht vorstellen. Es gab aber auch die unsägliche Attitüde von Hochtief, beim Streit um die Statik des Saaldachs gegen die Aussagen von Bauprüfern und Behörde zu sagen: Wir machen es einfach trotzdem nicht. Das war für mich vollkommen unglaubwürdig.
Die Elbphilharmonie, so etwas wie Ihr Baby, wurde Ihnen weggenommen, wuchs hinter einer dicken Glasscheibe, unerreichbar für Sie, zu einer verzogenen Göre auf – und Sie konnten nichts dagegen tun.
Gérard: Als wir im November 2004 die Übertragungsvereinbarung unterschrieben haben, war das richtig schwierig für uns. Meine Frau hätte nicht unterschrieben ...
Marko: Ich war so wütend ...
Gérard: Wir waren angetreten, damit Hamburg einen neuen Konzertsaal bekommt. Ohne unsere Unterschrift hätte die Stadt das aber nicht weiterverfolgen können, weil sich die Architekten in Anerkennung unserer Vorarbeit verpflichtet hatten, das Projekt nur mit uns zu machen ...
Marko: Normalerweise schützt der Bauherr den Architekten, nicht umgekehrt.
Gérard: Ich sah durchaus die Notwendigkeit, den positiven Drive des Projekts nicht zu ersticken. Aber wir fühlten uns nur bei den Architekten und den von uns ausgesuchten Fachplanern – insbesondere beim Akustiker Yasuhisa Toyota – wohl. Und uns war schon damals klar, dass es ohne uns beide das Projekt Elbphilharmonie nicht gäbe. Und das würde bleiben.
Es wurde allerdings auch immer riesiger und komplexer. Waren Sie letztlich froh, für diese monströs schwierige Angelegenheit nicht mehr verantwortlich sein zu müssen?
Marko: Wir waren ja nicht Einzelkämpfer, es gab ein ganzes Team dahinter, und wir hatten auch einen Projektmanager, der bereits einen Konzertsaal gebaut hatte. In dem Moment, in dem es in die Katastrophe ging, haben wir uns natürlich wahnsinnig geärgert. Es war aber immer eine gespaltene Vernunft-Gefühls-Lage. Deswegen ist dieses Willkommen jetzt der wirkliche Abschied, emotional und vernunftbetont. Jetzt ist das Projekt dort, wo es eigentlich sein sollte. Jetzt sind andere dafür da, dieses Gebäude mit dem Inhalt zu füllen, der dazu führen möge, dass Hamburg tatsächlich die Musikstadt wird, als die sie sich neuerdings sieht.
Gérard: Das Projekt, das wir angesteuert haben, ist von den Nutzungen her prinzipiell das, was gebaut wurde. Aber es sollte ein viel kleineres, viel kargeres sein, unter Verwendung des Altbaus. Dass daraus etwas so Großes und Komplexes geworden ist, ist eine Folge des städtischen Projektmanagements. Wir hätten für all das das Geld nicht gehabt. Es hätte auch nicht diese anfängliche Vertragskonstruktion gegeben, die so viele Probleme verursachte.
Und dann kam Olaf Scholz, hatte schlaflose Nächte, legte eine Menge neues Geld auf den Tisch und sortierte alles gründlich durch.
Marko: Das hat er wahnsinnig gut gemacht.
Gérard: Er hat die einzig mögliche Entscheidung getroffen.
Hat er Sie je um Rat gefragt?
Gérard: Nein. Das hätte mich auch gewundert. Nach unserem Ausscheiden sind weder wir noch Dieter Becken ein einziges Mal um Rat gefragt worden. Man bot uns allerdings unmittelbar nach unserem Ausscheiden die PR und die Akzeptanzförderung des Projekts an. Das haben wir abgelehnt.
Zwischen Ihrem Ausscheiden und der Neuordnung der Verträge lag das tiefe Tal der Tränen. Wie haben Sie das alles verarbeitet?
Marko: Es war eine rationale Entscheidung, wir wissen aber auch, dass wir immer in besonderer Art und Weise an diesem Gebäude hängen werden. Wir haben uns danach andere Themen gesucht, das half. Wir haben uns mit Demenz beschäftigt und einer neuen Form des Wohnens im Alter, übrigens auch mit Herzog & de Meuron. Wir wollen einen ganzen Ort kreieren. Aber jedes Mal, wenn wir in der HafenCity waren oder von der Elbphilharmonie hörten, waren wir wieder mittendrin.
Gérard: Vieles kam ja nicht überraschend für uns. Ernest Fleischman von der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, der zum Fachkuratorium gehörte, hatte uns vorausgesagt: Mit diesem Team, unter diesen Bedingungen dauert es mindestens 14 Jahre ...
Marko: Punktlandung!
Gérard: Allein die Geschichte dieses Fachkuratoriums mit internationalen Experten, wie mit denen umgegangen wurde ... Die hatten wir ganz bewusst zusammengestellt, weil sie so hochklassige Arbeit geleistet hatten, und dann kamen sie hier mit ihren riesigen Erfahrungsschätzen an und wurden gefragt, wie breit die Stühle sein müssen und wie tief die Sitzreihen. Die sind schier verzweifelt.
Marko: Wir auch ...
Gérard: ... und haben geantwortet: Na dann fragen Sie doch einfach einen Theaterplaner.
Was zur Grundsatzfrage führt: Würden Sie das Projekt noch mal angehen?
Beide: Ja.
Marko: Man muss auch sagen, dass es eine extrem spannende, bereichernde und auch witzige Zeit war! Immer wenn wir auf der Autobahn abgedrängt wurden, haben wir auf der Landstraße überholt und sind vorn wieder rein. Wir wussten immer relativ gut Bescheid, was als Nächstes passieren könnte. Wir haben aus dieser Zeit Kontakte zu Menschen, die bis heute anhalten. Daraus sind auch Freundschaften entstanden.
Es hat sich also gelohnt?
Marko: Nach wie vor, auch jenseits aller finanzieller Katastrophen, ist die Elbphilharmonie etwas, das Hamburg braucht. Mit ihr ist etwas passiert, was man hier noch gar nicht schätzen kann. Viele kulturelle Entwicklungen, die es dann gab, selbst das Gängeviertel, wären ohne diese tragische Geschichte gar nicht gegangen. Denn die Kulturbehörde hätte sich gar nicht erlauben können, das Gängeviertel nicht zurückzukaufen. Wie denn? Hier alles reinstecken und die dort außen vor lassen? Dass sich Hamburg heute als Stadt positioniert, die mit anderen Metropolen mithalten kann, das gab’s ja auch nicht. Hamburg war Hafen, Handel und Wirtschaft. Und wer weiß, wie lange das mit dem Hafen noch gut geht ...
Gérard: Die wirkliche Bereicherung im Laufe einer solchen Projektgeschichte, das sind die Menschen, die man kennenlernt. Das ist beim Thema Alzheimer nicht anders gewesen. Wir haben 70 Einrichtungen in ganz Europa besucht, wir haben in solchen Einrichtungen hospitiert, um zu verstehen, was dort passiert.
Marko: Eine Kleinigkeit noch: In unserem Übergabevertrag ist eine Plakette in der Elbphilharmonie verabredet, die uns als Initiatoren des Projekts benennt. Die ist mehrfach bei den Vertragsverhandlungen herausgeflogen und kam immer wieder hinein. Ohne diesen Passus hätten wir nicht unterschrieben.
Wissen Sie schon, ob Sie beim Eröffnungskonzert am 11. Januar dabei sein werden?
Marko: Wissen wir nicht. Unsere „Eröffnung“ war der Besuch der ersten Orchesterprobe. Charles Garnier, der Architekt der Pariser Oper, war bei der Eröffnung seines Werks vergessen worden und hatte sich auf den letzten Drücker noch eine Rangkarte organisiert. Einer der Architekten der Wiener Staatsoper, Eduard van der Nüll, hat die Eröffnung gar nicht erlebt, der hat sich vorher erhängt, weil er für diesen Bau so wüst beschimpft worden war. Sein Partner August Sicard von Sicardsburg starb Monate vor der Eröffnung tatsächlich an gebrochenem Herzen. Verglichen damit sind wir gut ausgestiegen.
Gibt es Stellen und Teile des Gebäudes, die Sie für noch besser halten, als Sie es ursprünglich geplant hatten?
Marko: Ich bin von der Qualität des Großen Saals schon sehr überzeugt. Auch von der des Kleinen Saals. Der ist von einer Eleganz und auch von einer Größe – das hätten wir in dieser Form wahrscheinlich nicht geschafft.
„Das Dings. Der Skandal. Die Pleite. Das Fiasko. Die Katastrophe. Die Frechheit. Der Wahnsinn. Die dümmste Baustelle der Welt“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ im März über die Elbphilharmonie. Hat die Stadt die Dimensionen dieses Projekts mittlerweile realisiert? Also: die Bedeutung jenseits der Bauprobleme?
Marko: Die Stadt noch nicht, nein. Aber der Erste Bürgermeister wohl.
Wir haben da also einen Eiffelturm stehen, und die Stadt hat es noch nicht begriffen?
Marko: DAS hat sie schon begriffen. Von Autovermietern bis zu Immobilienmessen – es gibt die Stadt Hamburg in der Werbung nur mehr als Elbphilharmonie. Es ist genau dieses Bild, was die Stadt nun braucht, um ebenfalls emotional hausieren zu gehen. Noch ist es ein architektonisches Wahrzeichen oder eher ein Zeichen, das zum Wahrzeichen der Stadt ernannt wurde. Jetzt muss die inhaltliche Dimension dazukommen. Jenseits des Eröffnungsjahrs wird interessant: Was entwickelt sich? Geht man einen Schritt weiter? Passiert mal was?
„Herausragende Kultur und Architektur haben ihren Preis.“ Ole von Beust, 2007. Ist die Elbphilharmonie wert – alles in allem rund 866 Millionen Euro –, was sie die Stadt gekostet hat?
Gérard: Die Investition wird sich für die Stadt rentieren, aus vielerlei Gründen. Sie wird weiter ins Programm investieren müssen, um dieses Potenzial auszuschöpfen.
Marko: Man muss klar unterscheiden: Die Elbphilharmonie steht für sich, für einen Wert. Das bedeutet aber nicht, dass Verschwendung von Steuergeldern in irgendeiner Form gerechtfertigt ist. Und heißt auch nicht, dass die Elbphilharmonie ihre Kosten nicht wert ist. Ich frag mich nur eins: Wer je auf dieser Plaza bei Sonnenlicht draußen auf der Terrasse einen Sitzplatz ergattert hat – wie kriegt man den da je wieder runter?
Wie endet der Satz „Die Elbphilharmonie ist ...“?
Gérard: ... ein großer Gewinn für Hamburg.
Marko: ... eine Spielwiese, ein Abenteuer, ein Statement und etwas, das die Stadt verändern wird.