Hamburg/Wien. Das Abendblatt stellt die größte Konkurrenz der Elbphilharmonie vor. Teil 1: Lieben-Seutters ehemalige Bühne, das Konzerthaus in Wien.

Eine internationale Umfrage des Abendblatts unter Intendanten, Orchestern und Musikern im Vorfeld der Elbphilharmonie-Eröffnung hat ergeben, welche Konzertsäle sie für die zehn besten der Welt halten. Heute Platz zehn: Konzerthaus Wien

Zweites Haus am Platz in der klassischsten aller Musikmetropolen ist eindeutig viel besser, als erstes Haus woanders zu sein. So gesehen, verdankt jenes Wiener Konzerthaus, das eben nicht Musikverein heißt, seinen Nimbus und sein in jeder Hinsicht solides Renommee sicher auch seiner Umgebung. Dass es in Programmheft-Wurfweite vom noch prestigeträchtigeren Musikverein steht, macht die Sache zusätzlich charmanter. Wohl in keiner anderen Stadt wäre diese Art von Angebotsdichte auf diese Art und Weise möglich.

1913 war der Bau beendet

Von außen betrachtet, sieht das Konzerthaus wie so viele der klassischen Wiener Kulturadressen aus: Eindrucksvolles Portal, das Aroma unangekratzten imperialen Glanzes, obwohl das Gebäude 1913 vollendet wurde, also jünger ist, als es den Anschein hat. Weiträumiges Eingangsfoyer, gutbürgerliche Vorgestrigkeit, aber alles etwas gediegener und weniger hochherrschaftlich als bei der Konkurrenz am Musikvereinsplatz. Und unter dem Dach verteilt, drei reguläre Säle, alle natürlich so gebaut, dass man als Zuhörer auch wirklich nur das Konzert hört, in dem man sitzt. Keine Selbstverständlichkeit.

Einer dieser Säle heißt schlicht Großer, die anderen Mozart (704 Plätze), vor allem für etabliertere Kammermusik-Künstler gedacht, und Schubert (366 Plätze), gern genommen für Mittagskonzerte und Nachwuchs. So viel Lokalpatriotismus darf’s schon sein bei der Namensgebung, und die Auswahl an geeigneten Tonsetzern als Paten ist in dieser Stadt ja auch groß genug.

Das Wiener Konzerthaus, festlich beleuchtet
Das Wiener Konzerthaus, festlich beleuchtet © © Rupert Steiner | Rupert Steiner

Nach der Sanierung kam ein vierter Saal hinzu

Im Zuge einer dreijährigen Generalsanierung bekam das Konzerthaus 2002 einen kleinen vierten, den ursprünglich Neuen Saal im Untergeschoss ­dazu, einen dieser branchenüblichen Freistil-Räume zum Bespielen von ­Repertoire-Randzonen, flexibel bestuhlbar und auch sonst nicht allzu festgelegt. Seit 2010 heißt er Berio-Saal und erinnert mit seiner Balkendecken-Konstruktion an ein Raumfähren-Parkdeck.

Der Große Saal, das Herzstück, hat 1865 Plätze, ist ziemlich hoch und ziemlich breit. Sehr sehr, alles in allem. Viel Gold, Weiß, Rot, ein mächtiges Säulenrund hinter der Bühne, hinter einer Gitterwand das Orgelprospekt der größten Orgel Österreichs. Leicht sonderbare Form, auf den ersten Blick wirkt der Saal etwas zu hoch für seine Breite. Sein Klangcharakter, wenn man darin nur hin und wieder Konzerte erlebt hat? Fein, korrekt und dankbar detaillliefernd, aber dennoch wenig speziell. Eher nichts, an das man sich bleibend als herausragend oder gar spektakulär erinnern würde. Der Saal macht bei klassischem Kern-Repertoire mit klassischen Interpreten nicht mehr und nicht weniger als das, was er soll, und das auf hohem Niveau. Die Besetzung auf der Bühne macht hier die Musik. Der Saal hat seine Fans, ­sowohl bei den Abonnenten, die vielseitig umworben und versorgt werden, als auch bei den gastierenden Künstlern.

Bei Pop und Jazz wird es "heikel"

Naturgemäß kritischer und differenzierter hört und sieht das ein Stammgast wie Ljubisa Tosic, seit vielen Jahren ­Musikkritiker für den Wiener „Standard“ und damit unentwegt am Quell von Freuden und Leiden. Für ihn ist der Mittelpunkt des Gebäudes ein Raum mit Stärken und Schwächen. „Der Philosophie des Konzerthauses entsprechend, erlebt der Große Saal neben Klassik auch Jazz und Pop. Die beiden letztgenannten Stile bedürfen in der Regel der Verstärkung und damit der guten Tontechnik, um respektabel das Ohr des Publikums zu erreichen. Oft jedoch erlebt man im Konzerthaus, dass er eigentlich nur für unverstärkte Musik gut funktioniert. Pop und Jazz können recht undifferenziert daherkommen.“ Tosic’ Abschlussurteil: „Heikel.“

Klassik hingegen, meint er, „findet immer gute Bedingungen, im Vergleich zum Musikverein allerdings beschenkt der Saal mit etwas weniger Brillanz. Große Orchester mit großen Dirigenten klingen aber auch hier beeindruckend.“ Was im Umkehrschluss heißen könnte: Mittelgute Orchester mit B- oder C-Dirigenten werden von ihm auch als solche präsentiert.

Lieben-Seutter war Generalsekretär des Hauses

„Eine Stätte zu sein für die Pflege edler Musik, ein Sammelpunkt künstlerischer Bestrebungen, ein Haus für die Musik und ein Haus für Wien.“ Das sollte es seinerzeit werden, und dazu finden sich auf der Internetseite des Konzerthauses drei Worte, die man seit der Hamburger Konzertsaal-Debatte vor mehr als einem Jahrzehnt auch an der Elbe immer wieder hörte: „Haus für ­alle“. Denn das Konzerthaus wurde von Anfang an als Alternative gedacht und gebaut, als Spielstätten-Sortimentsergänzung zum Musikverein. „Haus für alle“ meint auch „Haus für nicht jeden, aber für sehr vieles“.

Stärker noch allerdings als diese verbale Verbindung mit der Elbphilharmonie ist eine Personalie: Christoph Lieben-Seutter, in Hamburg seit 2007 Generalintendant für den Neubau und die Laeiszhalle, war von 1996 bis 2007 Generalsekretär des Konzerthauses und hat viel von seiner dortigen Programmphilososphie aus dem 3. Wiener Bezirk in die HafenCity an die Elbe mitgebracht. Die großen Namen dürfen im Sortiment nicht fehlen, und da Wien nun mal Wien ist, stört es niemanden, wenn Großpianist A mit ebenso schöner Regelmäßigkeit in beiden Sälen gastiert wie Top-Orchester B. Im Musikverein findet man eher das Kernrepertoire in der Version mit der Goldkante, das Konzerthaus bemüht sich um Abwechslung. „Die Wiener haben dieses Match gern“, berichtete Lieben-Seutter vor einigen Jahren bei einem Besuch vor Ort, als er dort noch neben einem Ölbild von Kaiser Franz Joseph I. seinen Schreibtisch hatte (im Laeisz­hallen-Büro steht eine Beethoven-Büste).

Nicht Maß aller Dinge

Potenzielle Kunden für gute Musik gibt’s eh genug in Wien. Das Konzerthaus ist Stammadresse für gleich drei Ensembles: die Wiener Symphoniker, das Wiener Kammerorchester und das Klangforum Wien. Für jeden Geschmack unterhalb der Preisklasse der Philharmoniker, die hüben wie drüben zu hören sind, ist also etwas dabei.

Auch das Konzept der Residenzkünstler, die eingeladen und mit Ideenfreiheit für ihre Konzerte verwöhnt werden, hat Lieben-Seutter in Wien verinnerlicht und verfeinert. Was dort auch keine allzu große Kunst ist, denn der Virtuose, der in Wien nicht auftreten mag, der muss erst noch geboren werden. Auch wird der Wiener Anteil im Adressbuch seines Smartphones dem Netzwerker Lieben-Seutter in den vorelbphilharmonischen Planungsjahren viele gute Dienste geleistet haben, als es darum ging, die Neugier des hiesigen Publikums durch Konzerte in der Laeisz­halle anzufachen. So gesehen, ist das Konzerthaus zwar ein möglicher Maßstab. Aber noch nicht das Maß aller Dinge.

Die Abendblatt-Serie

Wir stellen die zehn meistgenannten Häuser täglich und in aufsteigender Reihenfolge vor. Morgen: Die Walt Disney Concert Hall Los Angeles, Boston Symphony Hall und das KKL Luzern. Sie teilen sich punktgleich Platz sieben, deswegen entfallen Platz acht und neun.

Die Umfrage

Angefragt wurden gut drei Dutzend Intendanten, Dirigenten, Orchester und Solisten. Wichtigste Bedingung für die Nennung ihrer zehn Lieblings-Konzerthäuser: Der eigene Saal war tabu. Unter den 16 Teilnehmern waren u.a. die Orchestervorstände der Berliner und Wiener Philharmoniker, der Hamburger Generalmusikdirektor Kent Nagano, Intendanten aus Wien und Paris, der Dirigent Christian Thielemann sowie der Pianist Lang Lang.