Hamburg. Haltungsschäden, auch durch Medienkonsum, sind sehr verbreitet. Diplom-Physiotherapeut gibt sieben Tipps für gesundes Sitzen.

  • Immer mehr Kinder und Jugendliche entwickeln durch falsche Haltung ein Handy-Horn
  • Ein Physiotherapeut aus Baden-Baden veranstaltet deshalb „Haltungstage“ an Schulen – auch in Hamburg
  • Und er gibt Tipps, wie man am Arbeitsplatz Haltungsschäden vorbeugt

Wer den ganzen Tag sitzt, riskiert Schmerzen. Das betrifft längst nicht nur Menschen, die in Büros arbeiten und viel am Schreibtisch sitzen, sondern auch Kinder und Jugendliche, die lange Tage im Klassenzimmer verbringen. Mit seinem Programm will der Diplom-Physiotherapeut Alexander Srokovskyi jetzt auch Schülern und Schülerinnen in Hamburg helfen.

Am 7. März veranstaltet er in der Stadtteilschule Niendorf im Bezirk Eimsbüttel einen „Haltungstag“. Er beschreibt dieses Angebot als „betriebliches Gesundheitsmanagement für Kinder.“ Denn immer mehr Kinder haben gesundheitliche Probleme.

Schule Hamburg: Viele Kinder leiden an einem Handy-Horn

Der Diplom-Physiotherapeut und Ratgeber-Autor aus Baden-Baden sagt: „Das Problem ist sehr groß. Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht nur viel sitzt, sondern auch eine schlechte Wahrnehmung davon hat, was gute Haltung eigentlich ist.“ Er kenne zehn Jahre alte Kinder, die vor Schmerzen nicht mehr richtig gut schlafen könnten.

Der Diplom-Physiotherapeut und Ratgeber-Autor Alexander Srokovskyi gibt bald auch Hamburger Kindern Tipps zur richtigen Haltung.
Der Diplom-Physiotherapeut und Ratgeber-Autor Alexander Srokovskyi gibt bald auch Hamburger Kindern Tipps zur richtigen Haltung. © Alexander Srokovskyi | Alexander Srokovskyi

Mit einem Team von fünf Physiotherapeuten hat er Anfang des Jahres in Salzgitter 120 Kinder zwischen neun und elf Jahren untersucht. Bei 95 Prozent von ihnen gab es seinen Angaben zufolge Auffälligkeiten. Das werde unbehandelt sehr wahrscheinlich Auswirkungen für ihr späteres Leben haben, sagt der Autor des Ratgebers „Das Schmerzfrei-Geheimnis. Das effektive Übungsprogramm für ein schmerzfreies Leben.“

Beim „Haltungstag“ bekommt jedes Kind individuelle Empfehlungen

Beim sogenannten Haltungstag an der Schule erhält jedes teilnehmende Kind einen Bericht mit individuellen Handlungsempfehlungen.

Die Probleme beginnen oft sehr früh. Srokovskyi: „Viele Eltern setzen ihr Kind zu früh hin und versuchen, es zum Laufen zu bewegen. Die Kinder krabbeln zu wenig. Später sitzen die Kinder zu viel und sind mit digitalen Geräten zugange. Es herrscht ein Bewegungsmangel. Die Kinder hüpfen, laufen und klettern weniger.“ Viele Eltern seien auch nicht mehr so aktiv wie frühere Elterngenerationen.

Der Physiotherapeut Alexander Srokovskyi bei der Untersuchung eines Kindes.
Der Physiotherapeut Alexander Srokovskyi bei der Untersuchung eines Kindes. © Alexander Srokovskyi | Alexander Srokovskyi

Handy-Horn: Durch exzessive Gerätenutzung wächst ein Knochenstachel

Durch die geneigte Kopfhaltung beim Medienkonsum, also bei der Handynutzung, entwickelten manche Kinder einen Knochenstachel. „Das ist ein Knochen, den es früher nicht gab. Man nennt ihn auch Handy-Horn.“ Dieses Horn verkürzt die elastischen Anteile der Halsmuskulatur, was wiederum dazu führt, dass die Beweglichkeit des Kopfes eingeschränkt wird.

„Man kann damit keine gesunde Nackenhaltung mehr haben“, sagt Srokovskyi, der in seiner Kindheit an Skoliose, einer Deformation der Wirbelsäule, litt.

Die Röntgenaufnahme zeigt das sogenannte Handy-Horn oder auch Nackenhorn. Sie stammt aus der Studie von Shahar and Sayers/Scientific Reports.
Die Röntgenaufnahme zeigt das sogenannte Handy-Horn oder auch Nackenhorn. Sie stammt aus der Studie von Shahar and Sayers/Scientific Reports. © Shahar and Sayers/Scientific Reports | Shahar and Sayers/Scientific Reports

In diesem Jahr will er den Haltungstag mit lokalen Unterstützern an 150 bis 200 Schulen in ganz Deutschland anbieten. Aber jedes Kind und jeder Erwachsene können auch von sich aus auf gesundes Sitzen achten:

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Handy-Horn – sieben Tipps für gesundes Sitzen am Arbeitsplatz:

  1. Wer keinen verstellbaren Schreibtisch hat, sollte versuchen, sich einen Arbeitsplatz im Sitzen und einen weiteren im Stehen, beispielsweise an einem Pult, einzurichten. „Idealerweise sollte man alle halbe Stunde aufstehen und im Stehen weiterarbeiten.“
  2. Regelmäßig bei der Schreibtischarbeit kurze Unterbrechungen von bis zu zwei Minuten einlegen, aufstehen und Dehnübungen machen. „Mikropausen können die Produktivität steigern.“
  3. Bewusste Atemtechnik für den Arbeitsplatz einsetzen (Anleitung weiter unten).
  4. Visuelle Pausen einlegen. Langes Starren auf den Bildschirm macht die Halswirbelsäule kaputt. 20-20-20-Regel beachten: Alle 20 Minuten 20 Sekunden lang auf etwas schauen, das 20 Fuß (umgerechnet etwa sechs Meter) entfernt ist. „Wenn das Büro nicht so groß ist, einfach aus dem Fenster schauen. Die kurze Nackenmuskulatur ist mit den Augen verbunden. Wenn wir die Augen nicht mit einbeziehen, bekommen wir Nackenprobleme. Das In-die-Ferne-Schauen trainiert unsere Augenmuskeln.“
  5. Achtsamkeit ist wichtig. Immer wieder überprüfen, wie man sitzt und steht. „Vielleicht hilft folgendes Bild: Man sollte die Schulterblätter in die Po-Taschen stecken, also hängen lassen und geradeaus auf den Bildschirm gucken. Kinn nach vorn und zurückschieben, auch das trainiert die Nackenwirbel. Und möglichst keine Armlehnen benutzen.“
  6. Ergonomische Hilfsmittel einsetzen: Beispielsweise eine vertikale Computermaus oder eine Fußstütze benutzen, um den Rücken zu stärken.
  7. Dynamisches Sitzen: Positionswechsel beim Sitzen machen. „Der Bewegungsapparat ist kein Sitzapparat.“

Folgende Atemübung empfiehlt der Physiotherapeut:

  1. Stellen Sie sich vor einen Tisch.
  2. Lehnen Sie sich über den Tisch und legen Sie die Arme dabei gestreckt nach vorne ab.
  3. Drehen Sie den Kopf zu einer beliebigen Seite und holen Sie tief Luft.
  4. Halten Sie den Atem für zwei Sekunden an.
  5. Atmen Sie anschließend vollständig aus und warten Sie vor dem nächsten Einatmen eine Sekunde.
  6. Wiederholen Sie diese Übung zehnmal.

Expertentipp: Um die Sauerstoffversorgung ganzheitlich zu verbessern, bewusst tief in verschiedene Bereiche des Brustkorbs und Bauchs einatmen.