Hamburg. Vater eines Teilnehmers kritisiert Bäderland scharf. Kriseninterventionsteam betreut Betroffene. Wie andere Schwimmlehrer reagieren.
Der schreckliche Unfall, bei dem ein fünfjähriges Mädchen am Mittwochnachmittag im SchwimmbadBondenwald leblos aus dem Wasser gezogen war und kurz darauf verstarb, sorgt in Hamburg für Entsetzen. Das Kind war während eines Seepferdchen-Kurses im Lehrbecken des Niendorfer Schwimmbads leblos im Wasser gefunden worden. Schwimmlehrerin und eintreffende Notärzte hatten noch versucht, das kleine Mädchen wiederzubeleben.
Doch durch das Unglück erlitt die Fünfjährige schwerste Hirnverletzungen und wurde im Krankenhaus zunächst durch Maschinen am Leben gehalten. Am Donnerstag um kurz vor 15 Uhr habe man die lebenserhaltenden Maßnahmen dann eingestellt, sagte ein Sprecher der Polizei am Freitagmorgen. Nach Abendblatt-Informationen wird nun geprüft, ob eine fahrlässige Tötung vorliegt. Das Landeskriminalamt ermittelt.
Bäderland Hamburg: Mädchen ertrinkt im Schwimmkurs – Augenzeuge erhebt Vorwürfe
Am Freitagmittag meldete sich nun ein Vater zu Wort, dessen Sohn in dem betroffenen Kurs schwimmen lernt. „Die Aussagen von Michael Dietel, Sprecher des Badbetreibers Bäderland Hamburg, erschrecken mich und andere Eltern von Kindern, die an diesem Unglücksschwimmkurs teilgenommen haben“, sagt er dem Abendblatt. „Es wird das Bild eines sicheren und funktionierenden Kursbetriebs gezeichnet. Das Gegenteil ist der Fall – und hier scheint ein Skandal vertuscht zu werden.“
Sein Sohn habe am Mittwoch mit ansehen müssen, wie das kleine Mädchen ertrank. Er selbst habe mit der weinenden Mutter des verunglückten Kindes am Boden gelegen, während sie mit aller Kraft nach ihrer Tochter rief. „Es war für alle Beteiligten ein traumatisches Erlebnis.“
Tödlicher Unfall im Bondenwald: Augenzeuge widerspricht Bäderland-Darstellung
Er widersprach Dietels Aussage, allen Betroffenen sei psychologische Hilfe angeboten worden. „Wir sind nach dem tragischen Vorfall nach Hause gefahren und haben zunächst nichts gehört“, so der Vater, der anonym bleiben will.
Besonders verweist er auf die neun anderen Kinder des Kurses. „Wie sollen wir mit unserem Sohn umgehen, der mit ansehen musste, wie ein Kind starb?“, fragt er. Er würde sich mit seiner Frau absprechen, dennoch fiele es beiden unsagbar schwer, das Erlebte zu verarbeiten. „Hier sind schon so viele Tränen geflossen.“ Ein Telefonat mit einer entsprechenden psychologischen Unterstützung könnte da allen Betroffenen sicher helfen. Erst am Freitagabend erreichte ihn eine E-Mail von Bäderland mit dem Angebot für psychologische Unterstützung.
Kriseninterventionsteams des Deutschen Roten Kreuzes hat Anwesende vor Ort betreut
Nach Angaben von Malte Stüben, Leiter des Kriseninterventionsteams (KIT) des Deutschen Roten Kreuzes, seien „sehr zeitnah“ vier KIT-Helfer sowie eine über die Feuerwehr hinzu alarmierte Notfallseelsorgerin vor Ort gewesen, um psychosoziale Akuthilfe zu leisten. „Kurze Zeit nach Eintreffen der Polizei wurden wir seitens des KIT durch diese nachalarmiert, um den Familienangehörigen des verunglückten Kindes, den Ersthelfenden sowie den vor Ort anwesenden Kindern und Eltern aus der betroffenen Schwimmgruppe psychosoziale Akuthilfe anzubieten“, sagt Stüben. „Die Folge waren umfangreiche Betreuungsmaßnahmen, unter anderem auch unmittelbar im beziehungsweise vor dem betreffenden Schwimmbad.“
Die Betreuung werde aufgrund der dramatischen Gesamtumstände, in angepasster Form, auch an diesem Wochenende fortgeführt, auf Wunsch würden die Betroffenen zeitnah an geeignete weiterführende psychosoziale oder notfallpsychologische Institutionen weiter vermittelt.
Bäderland: Tödlicher Unfall sorgt bei anderen Schwimmlehrern für Entsetzen
Auch bei anderen Schwimmlehrern sorgt der Vorfall für Entsetzen. „Mir lief es eiskalt den Rücken runter, als ich das gehört habe“, sagt Jerk Fiedler, der eine kleine Schwimmschule in Alsterdorf betreibt, sichtlich betroffen. „Es hat mir auf schreckliche Weise wieder einmal vor Augen geführt, dass wir uns in unserem Job nicht eine einzige Sekunde Unaufmerksamkeit leisten können.“ Er und alle anderen Schwimmlehrer hätten eine unfassbare Verantwortung, „jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde“.
Bei der DLRG Hamburg ist die Betroffenheit nach dem tödlichen Unfall in einem Bäderland-Schwimmkurs ebenfalls groß. „Das ist eine riesige Katastrophe“, sagt DLRG-Präsident Heiko Mählmann dem Abendblatt. Solch ein Unfall sei „ein absolutes Worst-Case-Szenario“. Alle Menschen, die Schwimmkurse anbieten, würden immer wieder alles dafür tun, dass so etwas nie passiert.
Mädchen ertrinkt im Schwimmkurs: Augenzeuge prangert zu wenig Personal vor Ort an
Der Vater, der Augenzeuge des furchtbaren Unfalls war, wirft Bäderland unterdessen vor, dass zum Zeitpunkt des Unglücks nicht genug Personal in der Halle gewesen sei. „Mein Eindruck war, dass sich nur eine Lehrerin um die zehn Kinder kümmerte.“
Er sei allerdings davon ausgegangen, dass weitere Bademeister ganz in der Nähe sind. „Dieser Eindruck scheint aber falsch gewesen zu sein – warum musste sonst der Alarm erst ausgelöst werden.“ Und er wirft die Frage auf: „Wie soll eine einzige Person eine ganze Schwimmhalle mit zehn Nicht-Schwimmern überblicken? Offensichtlich ist dies nicht möglich, da erst zum Kursende auffiel, dass ein Mädchen fehlt.“
Er fordert nun von Bäderland, alle Seepferdchen-Kurse ab sofort mit zwei Lehrkräften zu besetzen. „Sollte dies nicht möglich sein, so müssen die Kurse sofort abgebrochen werden. Das Risiko des Todes während eines Seepferdchen-Kurses existiert – und Bäderland darf dieses Risiko nicht akzeptieren.“
DLRG empfiehlt in ihren Richtlinien einen Schwimmlehrer für fünf Kinder
Auch bei der DLRG sieht man die Angabe, dass eine Schwimmlehrerin zehn Kinder beaufsichtigen musste, kritisch. Das sei zu wenig, so die DLRG. Der Verein empfiehlt in seinen Richtlinien, dass sich ein Lehrer um fünf fünfjährige Kinder kümmert. „Wir haben uns selbst diese hohen Sicherheitsstandards gegeben“, sagt Mählmann.
Auch die Unfallkasse Nord, die für das Schulschwimmen und das Schwimmen in Kitas zuständig ist, gebe eine ähnliche Empfehlung heraus. „Wenn eine Person zehn Kinder beaufsichtigen muss, die nicht schwimmen können, sind das unserer Ansicht nach zu viel.“
Die DLRG lebe allerdings davon, dass ehrenamtliche Schwimmlehrer den Unterricht übernehmen würden. Mählmann: „Das ist ein himmelweiter Unterschied, wenn man auf Männer und Frauen zurückgreifen kann, die das tun, weil sie es einfach gern machen.“ Zudem fehle der Druck, wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Und das unterscheide seinen Verein damit massiv von allen kommerziellen Anbietern. Die Gedanken von seinen Kollegen und ihm seien nun aber bei der betroffenen Familie, „aber auch bei den betroffenen Lehrern“. Das sei für alle „einfach nur schrecklich“.
Hamburger Schwimmlehrer: Gerade Beginn und Ende einer Stunde sind gefährlich
Jerk Fiedler wollte den Vorfall im Schwimmbad Bondenwald nicht weiter kommentieren. „Das steht mit nicht zu – zumal ich die Gegebenheiten überhaupt nicht ausreichend einschätzen kann.“ Nur so viel: Besonders kritisch sehe er den Beginn und das Ende einer jeden Stunde. Die eine Gruppe sei auf dem Weg nach draußen, eine andere mache sich für den Kurs fertig. „Hier den Überblick zu behalten ist unheimlich schwer“, so Fiedler.
Deshalb fahre er den Boden seines kleinen Lehrschwimmbeckens auch hoch, sobald er selbst das Becken verlasse. „Das ist aber eine besonders luxuriöse Situation, in der ich mich mit meinem kleinen Becken befinde“, sagt Fiedler, der sich dankbar zeigt, in einem Therapiebad der Kurt-Juster-Schule in Alsterdorf unterrichten zu können. „Ich finde es unheimlich schwer, in großen Schwimmbädern mit mehreren Becken und einem anderen Geräuschpegel den Überblick zu behalten.“
Schwimmlehrer betont: Seepferdchen ist nur ein Motivationsabzeichen
Fiedler ist es wichtig, in diesem Zusammenhang zu betonen, dass ein Seepferdchen-Abzeichen kein Garant dafür sei, dass ein Kind schwimmen könne. „Ich nenne es ein Motivationsabzeichen – mehr ist es ehrlich gesagt nicht.“ Ganz im Gegenteil: Das eine oder andere Kind würde sich mit dem erworbenen Seepferdchen eher sogar überschätzen, was zu Gefahren führen kann.
„Sicheres Schwimmen geht nicht nur mit den Abzeichen einher, sondern auch mit der körperlichen Verfassung der Jungen und Mädchen. Es gehört schlicht Kraft dazu, eine Weile sicher über Wasser zu bleiben“, so Fiedler. Deshalb appelliere er auch noch einmal an alle Eltern, ihre Kinder immer im Blick zu haben.
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Mählmann von der DLRG sieht alle Anbieter von Kursen in der Pflicht – auch den Eltern gegenüber, die ihre Kinder in die Verantwortung der Lehrer übergeben: „Die Schwimmausbildung muss so gestaltet werden, dass den Kindern eigentlich nichts passieren kann.“ Nicht anders würden auch Kitas und Schulen ihre Ausflüge planen. „Im Straßenverkehr setzen Lehrer und Erzieher beispielsweise alles daran, dass keinem Kind ein Unglück geschieht“, so Mählmann. Die Sicherheit sei vor jeder Wirtschaftlichkeit beim Umgang mit Kindern das oberste Gebot.