Hamburg. Die große Lernoffensive läuft auf Hochtouren, doch die Wartelisten für Schwimmkurse in der Stadt sind lang. Was Eltern tun sollten.
In der Grundschule lernt jedes Hamburger Kind schwimmen – eine weit verbreitete Annahme. Die Realität sieht anders aus: Laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) können das nach Abschluss der Grundschule verlässlich nur die Hälfte aller Kinder. So galten von 13.720 Abgängern im Jahr 2020 nur 7429 Kinder nach Einschätzung der Schwimmlehrer als sichere Schwimmer.
Ein besorgniserregender Wert – der für die Betroffenen lebensgefährlich sein kann. In diesem Sommer ertranken in Hamburg bereits zwei Jugendliche, die Nichtschwimmer waren. Auch der sieben Jahre alte Junge, der vergangene Woche fast in einem Freibad ertrunken wäre, konnte sich noch nicht selbst über Wasser halten.
Wegen Pandemie fiel Schwimmunterricht in Hamburg aus
Eigentlich sollen in Hamburg 70 Prozent der Kinder nach der vierten Klasse sicher schwimmen können. Doch während der Pandemie hat sich das Problem noch verschärft. Schwimmhallen waren geschlossen, der Schulunterricht fiel aus. Laut Bäderland, dessen Mitarbeiter den Schwimmunterricht für die Schulen durchführen, waren davon im zweiten Halbjahr 2020 und im ersten Halbjahr 2021 rund 15.000 Kinder der dritten und vierten Klassen betroffen.
In diesen beiden Jahrgängen erhalten die Kinder entweder zweimal je ein halbes Jahr Schwimmunterricht pro Schuljahr oder lernen in einer der Klassenstufen ein ganzes Jahr lang schwimmen. Seit 2021 sei man dabei, diesen Unterricht nachzuholen, so Bäderland-Sprecher Michael Dietel. „Das ist aber eine Aufgabe, die länger dauern wird, auf jeden Fall noch bis in 2023 hinein.“ So kann man derzeit davon ausgehen, das etwa die Hälfte der betroffenen Kinder die Schwimmstunden nachholen müssen.
Einzelne Bäder für Öffentlichkeit geschlossen
Organisiert wird das laut Dietel auf verschiedenen Wegen, zum Beispiel, indem Jahrgänge der vierten Klasse in beiden Halbjahren zum Schwimmen gehen oder der Unterricht erst in der fünften Klasse stattfindet. Zudem gebe es die sogenannte Gutscheinlösung, das heißt, das Fünftklässler einen Gutschein für einen außerschulischen Kursus bekommen, den sie privat einlösen. Für diese Gutschein-Kinder stünden extra Kurse zur Verfügung.
Um die große Mehrzahl an Schwimmunterricht, auch von Vereinen und der DLRG, überhaupt möglich zu machen, würden zeitweise einzelne Bäder für die Öffentlichkeit geschlossen. Aktuell finden in den Hallen auf St. Pauli und in Bramfeld nur Schwimmkurse statt. Damit dafür ausreichend Personal zur Verfügung steht, bleiben einzelne Freibäder zeitweise dicht. Die Kinderschwimmkurse hätten eindeutig Priorität, so Dietel: „Daran wird nicht aufgrund von fehlendem Personal gespart.“
Wartelisten immer länger
Die große Schwimmlernoffensive läuft also auf Hochtouren – doch der Bedarf ist noch deutlich höher. Die Bäderlandkurse sind stets ausgebucht, bei Schwimmvereinen werden die Wartelisten immer länger. „Vor der Pandemie betrugen unsere Wartelisten zwei Jahre, inzwischen schätzen wir die Wartezeit zwischen Anmeldung und Angebot auf drei bis vier Jahre“, sagt DLRG-Sprecher Nicolas Hopf. „Durch die Schwimmlernoffensive 2022 der Stadt Hamburg können zusätzliche Kurse von der DLRG und dem Schwimmverband angeboten werden, aber der Bedarf der letzten zwei Jahre wird dadurch nicht gedeckt.“
Der entscheidende limitierende Faktor liegt laut Bäderland schlicht an den Wasserflächen. Zu Beginn des Schwimmenlernens brauche man Nichtschwimmerbecken, später, in den tiefen Becken, eine Randbahn, damit die Kinder sich dort bei Bedarf schnell festhalten können, so Dietel. Zwar biete auch Bäderland derzeit mehr Kurse an als vor der Pandemie – für noch mehr gebe es aber einfach keinen Platz.
Eltern stehen in der Verantwortung
Dass die Nachfrage gerade noch deutlich größer sei als ohnehin schon, liegt laut Bäderland-Sprecher Dietel aber auch daran, dass viele Eltern jetzt erst recht einen Kursus für ihr Kind ergattern möchten – nach dem Motto: Wenn etwas Mangelware ist, wird der Run darauf noch größer. Dass die Aufmerksamkeit für das Thema Schwimmenlernen jetzt so groß ist, sei in dieser Hinsicht auch erfreulich, so Dietel.
Laut DLRG sollten Kinder in der Regel im Alter von fünf Jahren anfangen, schwimmen zu lernen. „Bevor ein Kind in die Schule kommt, sollte es sich zumindest selbstständig über Wasser halten können“, sagt DLRG-Sprecher Nicolas Hopf. Also deutlich vor dem ersten Schwimmunterricht in der dritten Klasse. „Im Schulschwimmunterricht wird darauf aufgebaut, die Kinder sollten im besten Fall aber schon vorher schwimmen können“, sagt auch der Bäderland-Sprecher. Man solle sich nicht darauf verlassen, dass nur die Schule das regele. Hier seien die Eltern in der Verantwortung.
DLRG Hamburg: Wassergewöhnung sollte früh erfolgen
„Die Wassergewöhnung sollte bereits früh einen Stellenwert bei den Kindern haben“, sagt DLRG-Mann Hopf. „Hier können auch die Eltern erste Grundlagen setzen.“ So könnten sie mit ihren Kindern beispielsweise den „Seestern“ üben, bei dem man mit dem Bauch nach oben im Wasser liegt – und der bereits lebensrettend sein kann. Das Kind spielerisch ans Wasser heranzuführen, dazu rät auch Dietel: Gesicht unter Wasser nehmen, unter Wasser Augen öffnen, tauchen, vom Bauch auf den Rücken drehen, unter Wasser ausatmen. Und als Erstes zum Schwimmenlernen eignet sich das Hundepaddeln.
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Auf diese Weise könnten Eltern ihre Kinder gut vorbereiten und die mögliche Wartezeit auf einen Kursus sinnvoll nutzen, und dieser muss nicht zwingend mit fünf Jahren beginnen. Bis zum Start des Schwimmunterrichts an der Schule sei ausreichend Zeit, einen Kursus zu bekommen, so Bäderland-Sprecher Dietel. Bei Schwimmvereinen oder der DLRG sollten sich Eltern darum aber frühzeitig kümmern – und auch etwas flexibel sein. „Es muss ja nicht zwingend das nächstgelegene Schwimmbad sein“, sagt Dietel. Für die Kurse von Bäderland gebe es bewusst keine Wartelisten, dafür ein relativ neues Verfahren: So werden immer in der ersten Woche eines Monats die neuen Kurse für den Folgemonat freigeschaltet, damit jeder eine Chance bekomme.
Um Kindern das Schwimmen beibringen zu können, ist die DLRG auf ehrenamtliche Mitglieder angewiesen. Wer sich engagieren möchte, kann sich über hamburg.dlrg.de melden.