Hamburg. „The Village“ am Tibarg bringt einen Hauch von Schanze und Kiez nach Niendorf. Auch Integration wird großgeschrieben.

Es ist einer dieser Momente, in denen Maiken Wetzels und Katja Buurman realisieren, welch besonderen Ort sie im „The Village“ am Tibarg geschaffen haben. Im Werkstattbereich des Kunst- und Kulturcafés lebt eine Gruppe Kinder aus dem Stadtteil und den dort beheimateten Flüchtlingsunterkünften unter der Anleitung von Kunstlehrer Mohammed voller Leidenschaft die jugendliche Kreativität aus; auf der Außenterrasse genießen Menschen aller Altersgruppen einen Feierabenddrink.

„Wir wollten hier ein kleines Wohnzimmer schaffen, in dem die Menschen zusammengeführt werden. Katja und ich leben selbst in Niendorf. Uns fehlte selbst so ein Ort, an dem man etwas erleben kann. Also haben wir ihn geschaffen“, sagt Wetzels.

Niendorf: „The Village“ – Eröffnung während der Corona-Pandemie

Vor fast genau zwei Jahren eröffneten die beiden Freundinnen in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Filiale der Parfümerie Kaland das „The Village“. Ursprünglich war die Fläche als Pop-up-Galerie des Künstlerkollektivs „P.Art.of.us“ angedacht. Doch der Vermieter setzte den beiden Frauen den Floh ins Ohr, doch eine Weinbar zu eröffnen.

Im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee, wie beide unisono dachten. Wetzels hat Psychologie und Kommunikationswissenschaften studiert, Buurman ist Geologin und Yoga-Lehrerin. Und jetzt plötzlich Gastronome inmitten der Corona-Pandemie? „Wir dachten, dass das Gesamtpaket viel zu groß für uns ist. Zumal wir keinerlei Erfahrungen in der Gastronomie hatten. Wir konnten uns das so gar nicht vorstellen“, sagt Buurman.

120-Minuten-Partys in Niendorf sind der Hit bei den Gästen

Doch irgendwie entwickelte sich bei den beiden Wahl-Niendorferinnen dann doch diese Lust, in einem Stadtteil, der nicht gerade als Kunst- und Eventhotspot Hamburgs gilt, eine coole Location zum Verweilen, Kreativsein und Feiern zu eröffnen – die Geburtsstunde des „The Village“. Weil das Budget überschaubar war, wurde die ehemalige Parfümerie mithilfe von Freunden im „Do it yourself“-Modus umgebaut.

Die beiden Geschäftsführerinnen Katja Buurman (r.) und Maiken Wetzels engagieren sich bei der Integration von Geflüchteten in Niendorf.
Die beiden Geschäftsführerinnen Katja Buurman (r.) und Maiken Wetzels engagieren sich bei der Integration von Geflüchteten in Niendorf. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Ein Risiko – gerade weil schwer abzuschätzen war, wie lange die Pandemie noch Einschränkungen für die Gastronomie mit sich bringen würde. „Ohne unsere Village-Family und Ebay-Kleinanzeigen hätten wir es finanziell nie geschafft, das hier auf die Beine zu stellen. Aber rückblickend war es die absolut richtige Entscheidung, dieses Projekt anzugehen“, so Wetzels.

Das Konzept vom gastronomischen multifunktionalen Kultur- und Kunstort kommt an. Vor allem die revolutionäre 120-Minuten-Party ist der Hit bei den Gästen. Einmal im Monat können die Menschen zwei Stunden lang mit Vollgas feiern.

Die beiden „The Village“-Chefinnen sind über Freunde auf die Idee gekommen. „Am Anfang waren 20 Menschen – zumeist unsere Freunde – da und haben getanzt. Zuletzt haben drinnen und draußen knapp 300 Menschen Party gemacht. Die Kapazitätsgrenze war erreicht“, sagt Buurman.

120-Minuten-Party im „The Village“ – ohne Zugabe

Mit einem Countdown wird die Party gestartet, dann heißt es: abzappeln bis die Regler runtergedreht werden. „Es ist so ein Carpe-diem-Moment. Sich vom Alltag freitanzen. Wir haben am Anfang einen Countdown laufen. Das macht etwas mit den Leuten. Man hat nur ein gewisses Zeitfenster, um zu tanzen. Das nutzt man voll aus. Egal, wie man aussieht, was man trägt, alle sind vom Tanzen verschwitzt und klitschnass. Es weckt bei vielen Menschen die Erinnerung an die Jugend“, sagt Wetzels, die selbst als DJane an den Reglern steht.

Nach exakt 120 Minuten ist wirklich Schluss. Zugabe? Noch ein Lied? Nein! „Der letzte Song des Abends ist immer „Feierabend“ von Großstadtgeflüster. Dann wird die Musik ausgestellt“, sagt Wetzels.

Niendorf: Nächste 120-Minuten-Party ist am 8. September

Nicht nur die Gäste feiern das Partykonzept, auch die Anwohner, die in den Mehrfamilienhäusern rund um das „The Village“ leben, freuen sich über die dosierte Partystimmung. „Wir kennen einander hier. Und natürlich kommt auch mal eine WhatsApp, wenn es mal etwas lauter ist. Aber bei der 120-Minuten-Party wissen die Anwohner: um 22.30 Uhr ist Ruhe. Das wissen die Menschen hier zu schätzen“, erklärt Buurman. Die nächste Zwei-Stunden-Sause ist für den 8. September angesetzt.

So viel Spaß die Partyserie auch macht, die beiden Chefinnen von „The Village“ wollen auch sozial und politisch eine Anlaufstelle für die Niendorferinnen und Niendorfer sein. Vor allem das Thema Integration steht bei den beiden Frauen ganz oben auf der Agenda. Wetzels und Buurman arbeiten eng mit der Hamburger Kinder- und Jugendhilfe und der Organisation „Wir für Niendorf e.V.“ zusammen.

„The Village“ ermöglicht Flüchtlingen den Zugang zur Kunst

Mehrmals die Woche werden Kunstkurse für Kinder aus Flüchtlingsunterkünften und Kids aus dem Stadtteil organisiert. Regelmäßig finden auch offene Malabende statt. „Am Anfang hatten wir viele Geflüchtete aus der Ukraine hier. Jetzt aber überwiegend aus Syrien und Afghanistan. Sie malen dann gemeinsam mit Kindern aus dem Stadtteil. Das war unsere Ursprungsidee, die Kinder zusammenzuführen und jungen Menschen, die sich keine teuren Kunstkurse leisten können, Zugang zum Malen zu verschaffen“, sagt Wetzels.

Ähnlich kreativ wie die kleinen Nachwuchs-Picassos von morgen wollen auch die Macherinnen von „The Village“ bleiben. Open-Air-Kino, Kunst-Vernissage, Indoor-Flohmarkt, Pub-Quiz und aufgepimpter Bingo-Abend mit Verkleidungen gab und gibt es schon, nun soll mittelfristig Karaoke auf den Eventplan kommen.

„Ich könnte mir auch gut einen Drag-Abend vorstellen. Wir hatten mal bei einer Ausstellung des Erotic-Art-Museums eine Burlesque-Tänzerin hier, die Blicke auf sich gezogen hat. Es ist halt Niendorf, aber die Menschen hier haben einen wachen Geist und ein offenes Herz. Wir hatten noch nie irgendwelchen Trouble hier. Es zeigt, es geht in Niendorf auch etwas verrucht, mit einem Hauch von Schanze und Kiez“, scherzt Wetzels.

Am Sonnabend steigt die monatliche Open-Mic-Night, in der sich Musiker auf der Bühne austoben können. „Die Musikrichtung ist immer sehr divers. Es kommen Menschen mit Saxofon, mit Klavier. Neulich war die Band „Around the Sun“ aus Estland dabei, die in ihrer Heimat vor 5000 Zuschauern spielt, und auf dem Heimweg nach einem Festival in Hannover war. Das war sensationell. Man weiß nie, was der Musikabend bringt. Das macht den Reiz aus“, sagt Wetzels.