Hamburg. Die Diabetologin Sara Nekat behandelt Patienten mit schweren Krankheitsbildern. Sie erklärt, wann diese in die Klinik müssen.
Sara Nekat sieht bei ihrer Arbeit viele Patienten, bei denen ihre Diagnose ein Zufallsbefund ist – Diabetes. Die Oberärztin der Klinik für Diabetologie am Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg behandelt viele Menschen, bei denen eine ambulante Versorgung nicht reicht.
„Es gibt auch die Konstellation, dass wir sehr starke Stoffwechselschwankungen sehen – das heißt sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige Blutzuckerwerte – , und die dann im ambulanten Rahmen oftmals schwer einzustellen sind“, sagt die 45-Jährige in der neuen Folge des Podcasts „Hamburger Klinikhelden“.
Gerade die schweren Unterzuckerungen, bei denen Patienten das Bewusstsein verlieren oder fremde Hilfe brauchen, seien oftmals eine Indikation, um die Blutzuckerverläufe im Krankenhaus zu beobachten und die Gründe für einen entgleisten Stoffwechsel zu finden.
Diabetes: Wann Patienten in der Klinik behandelt werden müssen
Diabetes kann aber auch zu schweren Wunden an den Füßen führen. „Eine nicht seltene Komplikation ist eben das ,diabetische Fußsyndrom’, wo es zum Teil zu tiefen und schwer infizierten Fußwunden kommen kann, die unbehandelt zu einer Blutvergiftung führen können. Das bedarf immer einer schnellstmöglichen stationären Therapie“, sagt die Oberärztin.
Neben dem Typ-1-Diabetes, der genetisch bedingt ist, gibt es den Typ-2-Diabetes. Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung: „Da richten sich körpereigene Zellen gegen die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse, was zur Folge hat, dass der Körper irgendwann nicht mehr genug Insulin produziert. Das führt dazu, dass die Patienten ihr Leben lang auf externes Insulin angewiesen sind“, erklärt die Mutter von Zwillingen.
Diabetes zur klassischen Volkskrankheit geworden – das hat Gründe
Der Typ-2-Diabetes ist eine klassische Volkskrankheit, die mit den Jahren deutlich zugenommen hat. „Das ist ein Resultat aus mangelnder Bewegung und Überernährung, was letzten Endes dazu führt, dass immer mehr Patienten übergewichtig oder sogar adipös werden. Das hat zur Konsequenz, dass unsere Zellen immer weniger sensibel für Insulin werden. Der Patient produziert zwar noch Insulin, aber es kann nicht mehr so gut wirken“, so Nekat. „In der frühen Phase des Typ-2-Diabetes produziert die Bauchspeicheldrüse kompensatorisch sogar deutlich mehr Insulin, aber eben ohne ausreichenden Effekt. Dies führt dazu, dass der Blutzucker stetig ansteigt.“
Das Tückische sei, dass Diabetes anfangs keine Beschwerden verursache. „Es ist ein schleichender Prozess, und die Symptome, die sich irgendwann zeigen, sind sehr unspezifisch. Das sind oftmals Symptome wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche. Je länger der Diabetes dann besteht und je höher die Zuckerwerte sind, desto deutlicher werden dann die Symptome“, sagt die Diabetologin. Es kommt dann zu vermehrtem Harndrang und einem starken Durstgefühl.
Diabetes: Blutzuckerwert lässt sich auch mit Bewegung beeinflussen
Von Diabetes spricht man laut Nekat, wenn der Langzeitblutzuckerwert – der sogenannte HbA1c-Wert (der ungefähr die Blutzuckerwerte der vergangenen drei Monate widerspiegelt) – die Grenze von 6,5 Prozent übersteigt oder der Blutzucker-Nüchternwert über 126 mg/dl liegt. Auch ein spontaner Blutzuckerwert, unabhängig, ob der Patient nüchtern ist oder nicht, über 200 mg/dl spricht für einen Diabetes.
Die einzige Therapie bei Patienten mit Typ-1-Diabetes ist die Insulingabe. „Diese Patienten haben keine bzw. keine ausreichende Insulin-Eigenproduktion und sind ihr Leben lang auf externes Insulin angewiesen.“ Wer an Typ-2-Diabetes erkranke, könne mit gesunder Ernährung, Bewegung und Nikotinkarenz seine Therapie deutlich positiv beeinflussen. Diese Verhaltensregeln seien natürlich auch förderlich für Patienten mit Typ-1-Diabetes, sagt die Ärztin.
Diagnose ist für viele Betroffene ein Schock – was dann passieren muss
Wer an Typ-2-Diabetes leidet, müsse gut aufgeklärt werden, sagt Sara Nekat. „Nur ein aufgeklärter Patient weiß, wie er zu handeln hat. Sport, Bewegung, Ernährung – das sind die typischen Tools, die der Patient selbst in der Hand hat. Die sogenannte ,Basistherapie’. Im nächsten Schritt fängt man dann mit einer medikamentösen Therapie an“, erklärt die Diabetologien. Man bespreche das mit dem Patienten und schaue sich im weiteren Verlauf die Entwicklung der Blutzuckerwerte an.
Für viele sei die Diagnose zu Anfang ein Schock. „Viele assoziieren damit diese ganzen Schreckensszenarien, diese typischen Folgeschäden mit Amputationen und Blindheit und Dialyse.“ Aber die Diagnose Diabetes bedeute eben nicht, dass man unbedingt dort landet, sondern die Betroffenen hätten vieles selber in der Hand. „Wenn wir zusammen den Zucker gut einstellen, kann die Prognose sehr gut aussehen“, sagt die Medizinerin.
Diabetespatienten müssen Werte regelmäßig kontrollieren lassen
Die Bereitschaft, sich mehr zu bewegen, sich gesünder zu ernähren, sei allerdings unterschiedlich ausgeprägt. „Am Anfang reichen vielleicht fünf Prozent Gewichtsabnahme, um den Blutzucker, den Bluthochdruck und die Blutfette zu verbessern. Aber wir haben natürlich auch Patienten, die es schleifen lassen – und da muss man sehr viel schneller mit mehreren Medikamenten therapieren.“
Ein Diabetespatient stellt sich in der Regel alle drei Monate bei seinem Diabetologen vor, um die Blutzuckerwerte bzw. den Langzeitwert zu kontrollieren und gegebenenfalls Probleme zu besprechen. Patienten, die Insulin spritzen, müssen aber auch selbst zu Hause kontrollieren.
Wer mit Prädiabetes an seinem Lebensstil nichts ändert, wird erkranken
Von Prädiabetes spricht man bei Blutzucker-Nüchternwerten zwischen 100 und 125 mg/dl und Langzeitwerten zwischen 5,7 bis 6,4 Prozent. „Das ist diese Grauzone, wo wir den Patienten schon darauf hinweisen sollten, dass, wenn er nichts an seinem Lebensstil ändert, er irgendwann einen Typ 2 entwickeln könnte“, sagt Nekat.
Diabetes könne in Remission gehen. „,Remission‘ bedeutet, dass wir einen Zustand erreichen, wo der Patient normale Blutzuckerwerte hat, ohne dass er auf eine medikamentöse Therapie angewiesen ist. Das schafft er in der frühen Phase – in der Regel durch eine Gewichtsabnahme, denn dadurch steigt die Insulinsensibilität, und dadurch kann das Insulin wieder effektiver wirken.“
Schwangerschaftsdiabetes muss auch nach der Geburt beobachtet werden
Schwangerschaftsdiabetes ist laut Nekat nichts anderes als ein Prädiabetes. Diese Frauen müssten darüber informiert werden, dass sie nach der Schwangerschaft ein erhöhtes Diabetesrisiko haben und dementsprechend nachkontrolliert werden müssen.
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Typ-2-Diabetes sei längst keine Altersfrage mehr, sagt die Oberärztin und Vizevorsitzende der Hamburger Gesellschaft für Diabetes e.V. Sie rät Betroffenen, möglichst in eine Diabetes-Schwerpunktpraxis zu gehen. „Da ist man engmaschig unter Kontrolle. Da sind Fachleute, die gucken sich nicht nur den Blutzucker an, sondern schauen auch gezielt nach möglichen Folgekomplikationen wie beispielsweise Veränderungen an den Füßen. Adressen kann man sich im Internet raussuchen.“ Mit fast 20 Schwerpunktpraxen sei Hamburg gut aufgestellt.
Diabetes: Lebenserwartung abhängig von medikamentöser Einstellung
Wenn der Diabetes gut eingestellt ist, sei die Lebenserwartung inzwischen sehr gut. „Wenn ein Patient Diabetes hat und gut eingestellt ist, würde ich sagen, hat er eine fast genauso gute Prognosen wie jemand ohne Diabetes“, sagt Nekat. Wer jedoch medikamentös nicht gut eingestellt ist, habe eine höhere Gefahr für Folgeschäden und kardiovaskuläre Probleme – für Probleme an den Nieren, den Gefäßen, den Augen und den Nerven.“
Medikamente allein reichten aber nicht aus. Auch der Lebensstil müsse angepasst werden, was Bewegung und Ernährung betrifft. „Diese Patienten müssen langfristig ihre Ernährung umstellen und ihr Gewicht reduzieren. Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, sagt die Ärztin.