Hamburg. Jeder Zweite hat hier die Öko-Partei gewählt. Es sind Quartiere, in denen die Geldsorgen klein und die Ansprüche hoch sind.
Natasa Cotic-Ralfs hat mit viel Idealismus angefangen, als sie vor rund sieben Jahren die Kinderboutique Mary Poppins am Eppendorfer Weg eröffnet hatte. Idealistisch, weil sie fast zu 100 Prozent auf zertifizierte Biolabel gesetzt hat. Wo sollte es funktionieren, wenn nicht hier? Hier, damit ist Hoheluft-West gemeint. Der Stadtteil, in dem die Grünen bei der Bezirkswahl genau wie nebenan in Eimsbüttel mit jeweils rund 50 Prozent ein Rekordergebnis erzielt haben – in einem Wahlbezirk am Eppendorfer Weg waren es sogar 59,5 Prozent.
Beide Stadtteile sind wie gemalt, um das zu untermauern, was Politikforscher seit Jahren über die klassische Grünen-Klientel sagen: Besser gebildet als der Durchschnitt, besser verdienend als der Durchschnitt, urban, bürgerlich. Alle großen Trendthemen finden sich im Kleinen hier zwischen Generalsviertel und Osterstraße wieder: Laut Angaben von DriveNow liegt die Zahl der Anmietungen von Share-Now-Fahrzeugen in beiden Stadtteilen deutlich über dem Durchschnitt. Biolebensmittel? Wer hier lebt, der muss in keine Richtung länger als fünf Minuten gehen, um entweder einen Biosupermarkt oder ein Reformhaus zu finden. Es gibt Häuser, die sich zu Foodsharing-Gemeinschaften organisiert haben, und in den engen Wohnstraßen ist es fast genauso schwer, einen Platz für sein Fahrrad wie für sein Auto zu finden.
Daten und Fakten über Hoheluft-West
Leben unter einer Käseglocke
Böse Zungen sprechen auch vom Leben unter einer Käseglocke, weil hier eben viele Problemthemen außen vor bleiben. Eine vergleichsweise geringe Kriminalität, der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund liegt etwa im Stadtteil Eimsbüttel bei 23,5 Prozent, und damit deutlich niedriger als in den meisten anderen Stadtteilen, die Arbeitslosenquote in Hoheluft-West liegt bei 3,2 Prozent. Dazu hübsche Altbaufassaden und ein gutes Jahresgehalt, was in Hoheluft-West im Schnitt bei 42.169 Euro liegt. Besser geht’s kaum – finden viele, die hier leben, und auch viele, die hier Geschäfte machen.
Für die Biosupermarktkettte Bio Company hätten die Ausgangsbedingungen jedenfalls kaum besser sein können, wie Geschäftsführer Georg Kaiser berichtet. Vor rund zwei Jahren hat Bio Company an der Hoheluftchaussee den vierten Standort in Hamburg eröffnet. „Wir haben uns ganz bewusst für diesen Stadtteil entschieden, und das Wahlverhalten der Anwohner hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. In Vierteln mit vielen grünen Wählern haben wir es natürlich deutlich leichter.“
Wobei die Hoheluftchaussee und das Generalsviertel aus seiner Sicht eigentlich nicht ganz klassisch grün seien, so wie etwa das Karolinenviertel oder die Sternschanze. Hoheluft, das sei die bürgerliche, erwachsenere Variante davon. „Hier leben viele ein geordnetes Leben, gehen ihren Berufen nach und machen sich Gedanken über das, was in der Welt passiert“, so Kaiser weiter.
Daten und Fakten über Eimsbüttel
Bioprodukte, Nachhaltigkeit, Klimaschutz
Wer unter der Woche in der Bio Company einkaufen geht, der muss an der Kasse jedenfalls oft warten – allerdings nicht, weil die Schlange so lang ist, sondern, weil gar kein Kassierer an der Kasse sitzt. Eine Klingel liegt dann oft auf dem Laufband bereit, um einen Mitarbeiter ranzuläuten. Vielleicht doch kein so großer Erfolg? Tatsächlich bestätigt Georg Kaiser, dass das Geschäft anfangs nicht gut angelaufen sei. Inzwischen habe sich das aber stabilisiert. Besonders mit dem Sonnabend sei man inzwischen sehr zufrieden.
Bioprodukte, Nachhaltigkeit, Klimaschutz – Themen wie diese sind derzeit so populär wie wohl nie zuvor. Besonders, seitdem jeden Freitag Tausende Schüler auch in Hamburg auf die Straße gegangen sind, haben grüne Themen weiter an Bedeutung gewonnen. Vielen hier spricht das aus der Seele. Der Ende 20-jährige Florian etwa berichtet bei einem Kaffee an der Osterstraße, dass er die Grünen gewählt habe, weil sie den Radverkehr fördern und das Stadtgrün im Blick hätten. Wegfallende Parkplätze? Kein Thema für ihn. „Muss man halt mal ‘ne Runde um den Block fahren.“
Weiter sind es auch die jungen Familien, die sich von den grünen Themen angesprochen fühlen. Eine Mutter aus Eimsbüttel erzählt, dass sie zwar kaum Zeit gehabt habe, Wahlprogramme zu lesen. Sie habe sich dann aber für die Grünen entschieden, weil sie möchte, dass ihre Kinder in einer „friedlichen Welt mit einer gesunden Natur aufwachsen“.
Militant grün sieht anders aus
Auch die beiden Mütter, die mit ihrem Nachwuchs im Park am Weiher spazieren gehen, sagen: „Klimaschutz ist das entscheidende Thema der Zukunft.“ Das Bewusstsein dafür habe sich mit den Kindern noch mal erhöht. Auf ein Auto zu verzichten käme im Moment aber nicht infrage. Mit einem Kind sei das schwer, da brauche man das schon noch.
Mit dieser Einschätzung sind sie nicht allein: In Hoheluft-West und Eimsbüttel hat gut jeder dritte Haushalt ein Privatfahrzeug – in Eimsbüttel mehr als 38 und in Hoheluft-West mehr als 40 Prozent. Militant grün sieht jedenfalls anders aus. Das musste auch Natasa Cotic-Ralfs von der Kindermodenboutique in Hoheluft-West feststellen. Seit Kurzem hat sie ihr Konzept von Bioklamotten auf „normale“ Label umgestellt. „Es hat sich einfach nicht rentiert.“