Hamburg . Birgit Dumke war mit Apo-rot bundesweit Vorreiterin beim Onlinehandel mit Medikamenten. Der Markt wächst stark.
Birgit Dumke kennt sich aus mit Umbrüchen. Vor 14 Jahren hatte die Hamburgerin die „Apotheke am Rothenbaum“ gegründet, und damit gemeinsam mit ihrem Ehemann die Keimzelle für eine der ersten Versandapotheken bundesweit gelegt. Apo-rot war eine Zäsur für den traditionellen Berufsstand. „Jetzt könnte wieder Bewegung in den Markt kommen“, sagt die 51-Jährige. Grund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das in den nächsten Monaten erwartet wird. Dabei geht es um die Frage, ob die Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente in Deutschland gegen den freien Warenverkehr in der EU verstößt.
Es gibt Signale aus Luxemburg, dass die Richter das so sehen könnten. „Die Freigabe der Preise wäre gut für uns“, sagt Apo-rot-Inhaberin Dumke. Denn als Folge der Entscheidung auf Europa-Ebene würde wohl über kurz oder lang auch die Preisbindung für verordnungspflichtige Arzneien in Deutschland fallen. Für Online-Apotheken ein lukratives Geschäftsfeld. Allerdings, und da schlägt das Herz der Apothekerin Dumke, dürfe das nicht zulasten der Beratungsqualität bei der Abgabe von Arzneimitteln gehen. „Wenn man diesen Anspruch ernst nimmt, ist das keine einfache Situation“, sagt sie.
Birgit Dumke ist das, was man eine erfolgreiche Pionierin nennt. Zum System Apo-rot gehören vier Apotheken in Hamburg. Der Versandhandel mit eigenem Logistikzentrum erreicht zwei Millionen Kunden. Das Sortiment umfasst mehr als 200.000 Artikel, im Bereich der nicht rezeptpflichtigen Medikamente gehören die Hamburger zu den Marktführern in Deutschland. Insgesamt beschäftigt die Gründerin – ihr Ex-Mann Jörg Dumke ist im April 2016 aus dem Unternehmen ausgeschieden – inzwischen 525 Mitarbeiter. Bundesweit firmieren 20 Partnerapotheken unter der Marke Apo-rot, in denen die Kunden zu Preisen des Onlinehandels einkaufen können – teilweise bis zu 55 Prozent günstiger. „Wir sind der Meinung, dass Gesundheit bezahlbar sein muss“, lautet das Credo der Apothekerin.
Das hat ihr in den ersten Jahren ordentlich Ärger eingebracht. Die Macher von Apo-rot mit ihrer Kombination aus Filial- und Versandhandel galten als diejenigen, die das Festpreissystem in Deutschland gebrochen hatten. „Es gab große Ängste in der Hamburger Apothekerschaft“, sagt Birgit Dumke und erinnert sich, wie sie und ihr Mann vor der Apothekerkammer Rede und Antwort stehen mussten. Das Apothekengewerbe ist fest in Traditionen verwurzelt, es gibt viele kleine Familienbetriebe.
Aber, und das ist Dumke wichtig, sie hätten damals nur die neuen Möglichkeiten genutzt. Bis heute ist der Markt wegen der Versorgungssicherheit streng reglementiert, eine Apotheke darf neben dem Stammhaus nur drei Filialen haben. „Uns war früh klar, dass der Zukunftsmarkt im Internet liegt“, erinnert sich die schlanke, blonde Naturwissenschaftlerin mit Vorliebe für knappe Formulierungen. Inzwischen hätten sich die Online-Apotheken etabliert. Für die Kunden ist es ganz normal, direkt im Internet zu bestellen.
Im Versandzentrum im alten Gaswerk in Bahrenfeld stehen lange Regale mit Schmerzmitteln, Hautpflegeprodukten, Vitaminpräparaten, homöopathischen Kügelchen und rezeptpflichtigen Medikamenten. „Wir bieten alles, was erlaubt ist“, sagt Birgit Dumke. Sortiermaschinen rattern, Mitarbeiter stapeln Waren und packen Pakete. 20.000 Kunden von Dänemark bis Spanien kaufen täglich bei der Online-Apotheke ein. Die Spanne reicht von einem Artikel bis zu Großbestellungen aus Arztpraxen. Die Lieferzeit beträgt in der Regel 24 bis 48 Stunden. Zum Team gehören auch 64 Mitarbeiter mit pharmazeutischer Ausbildung, die unter anderem im unternehmenseigenen Service-Center Kunden direkt beraten. Oder auch mal bei ungewöhnlichen Bestellungen nachhaken, um einen möglichen Medikamentenmissbrauch zu verhindern. Das Konzept geht auf, mehrfach wurde die Versandapotheke für ihren Kundenservice ausgezeichnet.
Versandhandel wuchs 2015 um knapp sechs Prozent
Und der Markt entwickelt sich weiter. 27 Millionen Kunden haben ihre Arzneimittel nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken im vergangenen Jahr online bestellt. Laut dem Wirtschaftsforschungsunternehmen IMS Health wuchs der Versandhandel 2015 um knapp sechs Prozent. Von den etwa 20.000 Apotheken in Deutschland haben 3000 eine Versanderlaubnis, wovon allerdings nach Brancheneinschätzungen weniger als jede Zehnte einen ernst zu nehmenden Versandhandel betreibt. Im Bereich der nicht rezeptpflichtigen Medikamente erzielten Versandapotheken einen Umsatz von 1,036 Milliarden Euro.
Und es gibt Potenzial für Wachstum, da ist Unternehmerin Dumke sicher. Zum Umsatz will sie sich nicht äußern. Nur so viel: „Aus dem mutigen Start-up mit anfänglich sehr großen Wachstumsquoten ist ein gesundes mittelständisches Unternehmen geworden“, sagt die Apo-rot-Chefin und betont die Unabhängigkeit des Unternehmens. Auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen nachts die Pakete gepackt wurden, ein bisschen von dem Geist der Anfangsjahre ist noch spürbar. Das Büro von Birgit Dumke ist schlicht, die Tür offen. „Besser werden“, sagt die Mutter von drei Kindern zwischen 16 und 20 Jahren über ihre Pläne für Apo-rot. Dazu gehöre die Digitalisierung der Filialapotheken, der Ausbau der Produktpalette mit Eigenmarken und die Ausweitung des Partnerapotheken-Netzes.
Während es in der Branche inzwischen Nachwuchsprobleme gibt, sehen die Aussichten für das Familienunternehmen Apo-rot gut aus. „Mein Sohn will Pharmazie studieren“, sagt Birgit Dumke und lächelt. Im Garten ihres Hauses im Hamburger Westen gibt es zwar keinen Apothekergarten, aber einen Ginkgobaum. Das passt zu der Kauffrau, die sich als die Heilberuflerin aus Leidenschaft sieht. Und eine ist, die den Markt schon mal aufgemischt hat.