Hamburg. 30-Jährige spritzte ihrem Sohn im UKE in unbeobachteten Momenten verunreinigte Substanzen. Das Kind wäre daran fast gestorben.
Sie vergiftete ihr eigenes Kind, machte es krank, um gebraucht, um von anderen für ihre Fürsorglichkeit bewundert zu werden. Beinahe hätte Heide G., 30, ihren drei Jahre alten Sohn Ben (Namen geändert) zu Tode gespritzt. Als der Junge im Sommer 2013 im UKE behandelt werden musste, injizierte sie ihm unter anderem Brackwasser, Fäkalien, Urin, Speichel oder mit anderen Substanzen versetzte Fremdstoffe direkt ins Blut oder unter die Haut.
Jetzt soll in Kürze der Prozess gegen die Mutter eröffnet werden. „Wir gehen davon aus, dass die Frau unter dem Münchhausen-Stellvertreter-Symptom leidet“, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, dem Abendblatt. Dabei handelt es sich um eine psychische Störung, die vor allem Frauen trifft. Charakteristisch ist eine symbiotische Beziehung der Betroffenen zu ihren Kindern.
In unbeobachteten Momenten injizierte seine Mutter ihm das Gift
Der Radiosender NDR Info und das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (Sonnabendausgabe) haben diesen drastischen Fall von Kindesmisshandlung jetzt öffentlich gemacht. Demnach wird der Sohn, damals drei Jahre alt, im Juni 2013 wegen einer fieberhaften Entzündung des Hüftgelenks ins Krankenhaus einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein gebracht. Weil sich sein Zustand verschlechtert, unter anderem werden Bakterien und Pilze in seinem Blut entdeckt, kommt er auf die Intensivstation des UKE. Dort weicht Heide G. dem Kind nicht mehr von der Seite.
Doch statt die Genesung ihres Sohnes zu unterstützen, soll sie ihm in unbeobachteten Momenten die verunreinigten Substanzen gespritzt haben. Sie wiederholt die Prozedur, sobald es ihm besser geht. Der Dreijährige kommt immer wieder auf die Intensivstation. Als er im August wieder stabil ist und nach Hause darf, spritzt ihm die Mutter laut „Spiegel“ den im menschlichen Stuhl vorkommenden Keim Bacteroides fragilis. Danach wird der Junge erneut ins Krankenhaus eingeliefert und entlassen. Als er dann noch einmal auf die Intensivstation kommt, wird er ins künstliche Koma versetzt und erhält eine Chemotherapie. Doch nichts hilft.
Als im November noch immer kein Behandlungserfolg eingetreten ist, werden die Ärzte im UKE misstrauisch – und finden bei der Durchsuchung des Krankenzimmers präparierte Infusionsflaschen. Schließlich konfrontieren sie Heide G. mit ihrem Verdacht. In einem Brief gesteht die Frau, ihr Kind absichtlich krank gemacht zu haben – eine Erklärung habe sie dafür nicht. Laut „Spiegel“ räumte die Mutter ein, ihrem Sohn verdünntes Brackwasser über einen zentralen Venenkatheter zugeführt und eine Beininjektion mit Speichel kontaminiert zu haben. Dem Kind gehe es zwar besser, mit Spätfolgen sei aber zu rechnen.
Der Vater hat die Scheidung eingereicht und beim Oberlandesgericht Schleswig das alleinige Sorgerecht beantragt. Heide G. musste auf gerichtliche Anordnung hin ihren Wohnort – eine Kleinstadt in Schleswig-Holstein – verlassen, darf keinen Kontakt zu ihren drei Kindern haben. Sie kam zunächst in die Psychiatrie, befindet sich aber seit Juni 2014 wieder auf freiem Fuß. Zwar besteht gegen Heide G. ein Unterbringungsbefehl, allerdings hatte der Vorsitzende der Großen Strafkammer 6, der inzwischen pensionierte Richter Rüdiger Göbel, einen Verschonungsbeschluss erlassen. Göbel ließ zudem die Akte monatelang liegen.
Die Staatsanwaltschaft hatte bereits im April 2014 Anklage erhoben
Dabei hatte die Staatsanwaltschaft bereits am 24. April 2014 Anklage erhoben. Die Verzögerung sei „sehr misslich“, so Oberstaatsanwältin Frombach. Vom Oberlandesgericht Hamburg heißt es dazu auf Anfrage: „Die zuständige Strafkammer hatte vorrangige Haftsachen zu bearbeiten. Dabei handelt es sich um Fälle, die aus verfassungsrechtlichen Gründen noch eilbedürftiger sind.“ Die Eröffnung des Hauptverfahrens stehe aber nun unmittelbar bevor.
Die Anklage lautet auf Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Körperverletzung und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Die Mutter habe ihr Kind in „die Gefahr des Todes“ gebracht, so Frombach. Ihre dauerhafte Unterbringung stehe vor einem derartigen Tathintergrund natürlich im Raum. Ob die Schuldfähigkeit vermindert war, sollen psychologische Gutachten klären.
Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, das Vortäuschen oder das künstliche Herbeiführen einer Krankheit bei Dritten, ist selten: Konservative Schätzungen gehen von 0,2 bis 0,4 Fällen pro 100.000 Kinder und Jugendliche aus. Die Täterinnen genießen vor allem die gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die ihnen durch ihr überfürsorgliches Verhalten zuteil wird – als Ausgleich für seelische Nöte.