Hamburg . Kaifu-Gymnasium hat beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten am besten abgeschnitten. Vier Preisträger kommen aus Eimsbüttel.
Freiwillig haben sie sich an Wochenenden in ihrer Freizeit getroffen, haben recherchiert, über Formulierungen debattiert und an ihrem Text gefeilt. „Manchmal“, sagt Julia Sophie Bonk, „lief die Schule nur nebenbei.“ Die Mühe, die Julia und Antonia Sophie Gerlach freiwillig auf sich genommen haben, hat sich gelohnt. Die beiden Schülerinnen vom Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer in Eimsbüttel gehören zu den 21 Landessiegern des diesjährigen Geschichtswettbewerbes des Bundespräsidenten. 129 Beiträge wurden eingereicht. Das „Kaifu“ erhält außerdem den mit 1000 Euro dotierten Preis als landesbeste Schule.
Neuntklässlerin Antonia, 15, und Julia, 16, aus der 11. Jahrgangsstufe scheuen sich nicht vor schwierigen Recherchen. Denn ihr Beitrag „Die Erben der vergessenen Opfer. Die Besetzung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme 1989 durch Sinti und Roma und ihre Auswirkungen“ ist kein Thema, zu dem es viele Zeitungsartikel oder Sekundärliteratur gibt. Die beiden haben sich auf die Suche nach Zeitzeugen gemacht, um aufzuschreiben, was die Nachkommen der lange Zeit vergessenen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung mit der Besetzung erreichen wollten, wie darauf reagiert wurde und inwiefern die Besetzer der Gedenkstätte diese Ziele erreicht haben.
Dazu haben sie in Pressedatenbanken geforscht, bei der Stelle für Öffentlichkeitsarbeit der Polizei nachgefragt, und sie haben versucht, mit Politikern zu sprechen, die damals in Hamburg regierten. „Das war am schwierigsten. Der ehemalige Bürgermeister Ortwin Runde war sehr nett, konnte sich aber nicht mehr gut genug an die Ereignisse erinnern. Von Henning Voscherau haben wir gar keine Rückmeldung erhalten“, sagt Antonia, die ein Faible für Wettbewerbe hat. Bei „Jugend debattiert“ hat sie teilgenommen und bereits beim letzten Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten mit einem Beitrag über die Auseinandersetzungen in der Hafenstraße einen Landespreis gewonnen.
Für Tim Lukas Adam, 11, Landessieger aus der 5. Klasse, war dagegen alles neu. Er hat zum ersten Mal mitgemacht und ging der Frage nach, ob Kinder in der DDR Außenseiter waren, wenn sie nicht Mitglied der Pionier-Organisation waren. Beim Abendessen mit seiner Großmutter war er auf dieses Thema gekommen. Denn seine Oma stammt aus der Nähe von Magdeburg und durfte nicht zu den Pionieren, weil ihre Eltern es nicht wollten. Mit ihr sprach „Timmy“ über ihre Erfahrungen und stellte die persönliche Geschichte in den historischen Kontext. Sein Fazit: „Diese Kinder waren in der Klasse angesagt und galten als cool, auch weil sie andere Klamotten trugen. Sie hatten mehr Freiheiten und waren weniger Zwängen unterworfen“, sagt Tim. Eine perfekte Kinder- und Jugendorganisation, sagt er, sei eine, bei der die Kinder vor allem Spaß hätten, frei seien, viele Ausflüge machten und die nicht politisch sei, „und die Kinder aber auch erzieht. Aber nicht zu streng.“
Mehr als 50 Seiten hat er dazu verfasst. Ganz schön anspruchsvoll für einen 11-Jährigen. Das findet auch Lehrer Thomas Hengst, der den Geschichtswettbewerb mit einer Kollegin an der Schule organisiert und eine AG dazu leitet. „Das sind alles höchst anspruchsvolle Arbeiten auf wissenschaftlichem Niveau.“ Es sei auch für ihn etwas Besonderes, die Schüler dabei zu begleiten. „Es gibt doch nichts Schöneres, als motivierte Schüler vor sich zu haben“, sagt er. Als Lehrer habe er hier eine „1:1-Beziehung“.
Bei jüngeren Schülern wie Tim Lukas gehe es vor allem darum, eine Struktur festzulegen, Quellen- und Inhaltsverzeichnis zu erstellen. „Bei den Größeren braucht man eigentlich keine inhaltliche Beratung, sondern eine zwischenmenschliche“, sagt Thomas Hengst. Julia und Antonia seien starke Köpfe, die sich einaneinanderreiben. „Sie haben gelernt, Kompromisse einzugehen.“ Irgendwann hätten sie einfach um die bessere Formulierung gewürfelt.
Kompromisse eingehen musste eine weitere Landessiegerin vom Kaifu-Gymnasium, Dora Zoe Gumbrecht, 18, nicht. Sie hat sich alles über „Hitlers jüdische Mischlingssoldaten“ allein erarbeitet und ihren Text noch mit fiktiven Beiträgen erweitert.
In der Schule, sagen alle vier Schüler, lerne man zwar vieles, vergesse das meiste aber auch schnell wieder. „Zu unseren Themen aber haben wir einen persönlichen Bezug und vergessen das nie wieder“, sagt Julia Bonk. Das sei eine spannende Erfahrung gewesen, die den Horizont erweitert habe. „Es ist ein schönes Gefühl, etwas geleistet zu haben“, sagt Julia. Ein halbes Jahr haben sie jeweils an ihren Beiträgen gearbeitet.
Von September 2014 bis Februar 2015 waren bundesweit mehr als 5.000 junge Menschen auf historischer Spurensuche und haben 1.563 Beiträge zum diesjährigen Thema „Anders sein“ eingereicht.
Am morgigen Mittwoch werden Julia, Sophia, Dora und Tim Lukas und 17 andere Landessieger belohnt. Weitere 21 Schüler erhalten einen Förderpreis. Für 11 Uhr lädt die Körber-Stiftung zur Landespreisverleihung des Geschichtswettbewerbs ein. Es ist der größte historische Forschungswettbewerb für junge Menschen in Deutschland. 1973 hatten der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann und der Stifter Kurt A. Körber diese Idee umgesetzt. Seitdem nahmen mehr als 130.000 junge Menschen an den Wettbewerbsrunden teil.