Hamburg. Engagement ist für Hendrikje Blandow-Schlegel Ehrensache. Sie setzt sich für Zuwanderer ein und macht künftig auch Politik.
Es ist eine seltsame Zeit. Ein dreiviertel Jahr Wahlkampf liegen hinter Hendrikje Blandow-Schlegel und nun ist das Ziel erreicht. Die 53-Jährige hat sich einen Platz in der Bürgerschaft gesichert. Leere spüre sie keine, aber für die Frau, die die Dinge gern in die Hand nimmt und sich als „Alphatier“ bezeichnet, ist es ungewohnt, dass andere jetzt organisieren. Ihr Abgeordnetenbüro an der Helene-Lange Straße in Harvestehude wird eingerichtet, und in welchen Ausschüssen sie arbeiten wird, steht noch nicht fest. Seit 30 Jahren SPD-Mitglied, hat die Rechtsanwältin in den vergangenen Monaten jedoch weniger als Politikerin, sondern vor allem als Vorsitzende der „Flüchtlingshilfe Harvestehude“ auf sich aufmerksam gemacht. Sie ist zum Gesicht des Nobelviertels geworden – die Frau mit den blonden Haaren steht für die mitfühlende, helfende Seite der Harvestehuder. Für diejenigen, die sich für die Schwachen engagieren, während andere im Stadtteil den vorläufigen Baustopp der Flüchtlingsunterkunft an der Sophienterrasse gerichtlich durchgesetzt haben.
Bürgerschaft, Flüchtlingshilfe, ehrenamtliche Hilfe in der Öffentlichen Rechtsauskunft und Familienbildung, im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger in Eimsbüttel, stellvertretende Distriktvorsitzende der SPD Harvestehude/Rotherbaum – Frau Blandow-Schlegel mischt gern mit. Ihre Mandate in der Ottensener Kanzlei hat sie bereits während des Wahlkampfes reduziert, um nun auch noch die Arbeit in der Bürgerschaft zu schaffen. Die Flüchtlingshilfe Harvestehude ist nicht ihre erste Initiative. Bereits 1993, als Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in Eppendorf untergebracht werden sollten, setzte sie sich als Jura-Studentin gegen die Bedenken von Anwohnern für diese Menschen ein und gründete die „Initiative Containerdorf Loogestraße“.
Hilfe für Menschen, die in Not sind, das sei für sie selbstverständlich, sagt sie beim Treffen im Café Funkeck an der Rothenbaumchaussee. Das sei doch eine ur-christliche Haltung, eigentlich aber unabhängig von Religionszugehörigkeiten. Sie selbst sei christlich erzogen, hat sich allerdings erst mit 37 Jahren taufen lassen. Das humanistische Menschenbild sei es, was den Verein präge. „Dieses Engagement ist unsere gesellschaftspolitische Verantwortung. Wir haben viel und können viel abgeben. Wir haben Zeit, Bildung und Integrationsfähigkeit.“ Die Menschen in Harvestehude und anderen Stadtteilen seien gut aufgestellt. Flüchtlinge gehörten auch in die vermeintlich besseren Stadtteile.
Das sehen nicht alle Harvestehuder so, die drei Kläger gegen die Unterkunft erst recht nicht. Gegenwind, Diskussionen, das kennt sie nicht nur als Anwältin für Familienrecht. Als jüngste von vier Geschwistern hat sie gelernt, sich zu behaupten. „Schon als Kind war ich hartnäckig, weil ich mich gegen meine älteren Geschwister durchsetzen musste.“ Später, als sie mit 16 Jahren zu ihrem wesentlich älteren Freund von Stuttgart nach Hamburg zog und mit 20 Jahren schwanger ins Abitur am Hege-Gymnasium ging, hat sie sich nicht nur behauptet, sie hat das selbstbewusst durchgezogen und sich mit ihrem ersten Mann auf ihren kleinen Sohn gefreut. Eine Mitschülerin, die abgetrieben hatte, hat sie vor Anfeindungen verteidigt. Sie habe zwar ein „nahezu naives“ Vertrauen in andere Menschen und gehe auch in der Arbeit als Anwältin davon aus, dass man sich einvernehmlich einigen kann, sagt sie. Und doch könne sie auch polarisierend sein, klar Position beziehen.
Politische Diskussionen am Küchentisch waren in ihrer Kindheit selbstverständlich, ihre Eltern hochpolitisch und Willy-Brandt-Fans. Die neunjährige Hendrikje hat deshalb mit Wahlkampf gemacht und „Wählt Willy“-Postkarten in die Briefkästen geworfen. Von ihrer Mutter, die das Studentensekretariat an der Universität Stuttgart geleitet hat, habe sie wohl geerbt, dass sie extrem strukturiert sei. „Das ist kein Verdienst, sondern eine Charaktereigenschaft.“ Von ihrem Vater, einem Grafiker und Maler, habe sie die kreative Ader, „für die ich aber im Moment wirklich keine Zeit habe“, sagt die Mutter von drei Kindern (33, 30 und 15) und lacht.
Dass die Geschichte ihrer Eltern vielleicht auch etwas mit ihrem Engagement in der Flüchtlingshilfe zu tun hat, sei ihr erst allmählich klar geworden. Denn: Ihre Eltern waren selbst Flüchtlinge. Ihre Mutter kommt ursprünglich aus Breslau, später dann sind Vater und Mutter unabhängig voneinander aus der ehemaligen DDR nach Stuttgart geflohen – lange vor dem Mauerfall. Häufig haben sie zu Hause über diese Zeit und Erfahrungen gesprochen.
Das Engagement für Flüchtlinge sei gesellschaftspolitisch notwendig, sagt Hendrikje Blandow-Schlegel – aber es ist mehr: „Das Helfen selbst schafft auch große Zufriedenheit“, sagt sie. „Ich bin ja auch Anwältin und helfe gern.“ Bei ihren Mandanten übernehme sie die Rolle eines Coach, der durch Krisen hilft. Am Ende entstehe bei ihnen ein neuer Lebensabschnitt. „Wenn wir anderen in Krisen helfen, tut es einem selbst auch gut und man spürt eine große Dankbarkeit dafür, dass es einem selbst so gut geht. Sicherlich ist das auch bei mir ein Motiv.“ Sie will nicht von einem Helfersyndrom sprechen, das sei so negativ besetzt. Man dürfe sich dabei nicht selbst verlieren. Ihr seien daher Rückzugsgelegenheiten wichtig. Schwedische Krimis zu lesen und mit ihrem zweiten Mann, einem selbstständigen Unternehmer, und Freunden ins Kino zu gehen, ins Holi oder ins Zeise und dort gleich zwei Filme hintereinander zu gucken, sei solch ein Rückzug.
Eine andere Möglichkeit, zu sich selbst zu kommen: Mehrere Folgen von „House of Cards“ hintereinander zu schauen – und ganz wichtig: abends nicht reden müssen. Vielleicht wird sie auch an diesem Abend nicht mehr reden mögen. Erst einmal fährt sie weiter an die Sophie-Barat-Schule, zum nächsten Termin. Dort wird sie mit einer 11. Klasse sprechen. Das Thema: die Flüchtlingspolitik.