Familie Adler lebt seit mehr als 35 Jahren unweit der Kollau. Jetzt erklärte die Stadt ihr Grundstück zum Überschwemmungsgebiet und die Adlers dürfen dort keine baulichen Veränderungen mehr vornehmen.
Hamburg. Es ist die Idylle pur. Unweit der Kollau und doch in der Großstadt leben Gisela und Winfried Adler am Wullwisch. Die Straße ist mehr ein Feldweg, die Einfamilienhäuser in der Nachbarschaft stehen weit genug entfernt, so dass Platz für einen großen Garten ist. "Wullwisch steht für Wollwiese", erzählt der Rentner. "Wahrscheinlich wurde hier früher Torf gestochen." Winfried Adler kann das nur vermuten, weil das Gelände durch mehrere Senken geprägt ist - so wie man es eben von Torfwiesen her kennt.
Doch mit Ruhe ist es bei den Adlers vorbei. Anfang Juni verkündete Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) die Einrichtung von elf neuen Überschwemmungsgebieten abseits der Elbe. Die Wullwisch gehört dazu und die Adlers dürfen seit dieser Entscheidung auf ihrem Grundstück selbst die kleinste bauliche Veränderung nicht mehr ohne die Zustimmung des Bezirks vornehmen.
Der Grund hat mit dem Klimawandel und mit der immer dichteren Besiedelung von Metropolen zu tun. Der Klimawandel führt zu heftigeren Regenfällen, so dass kleinere Flüsse rascher und kräftiger als früher über ihre Ufer treten. Durch den Bauboom in der Hansestadt wiederum wird weiterer Boden versiegelt, so dass das Regenwasser nicht mehr richtig abfließen kann. Die Europäische Union hat daher ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, größere Überschwemmungsgebiete auszuweisen.
Überschwemmungen sind für die Adlers kein Fremdwort. Seit mehr als 35 Jahren leben sie in einträglicher Nachbarschaft mit der Kollau. „Wir wussten immer, dass der Grundwasserspiegel hoch ist und bei längerem Regen der Garten auch Tage danach noch matschig war“, erzählt Gisela Adler. Das Grundwasser liege nur einen Spatenstich tief. Allerdings habe früher das Wasser lediglich außen am Haus gestanden. Drinnen blieb es trocken.
Das hat sich in den vergangenen zehn, 15 Jahren verändert. „Früher gab es drei oder vier Mal im Jahr kleinere Überschwemmungen des Gartens“, erzählt Gisela Adler. „Die erste große Überschwemmung erlebten wir im Jahr 2002.“ Damals lief nicht nur der Garten, sondern auch das Haus voll. „Unser Parkettfußboden war hin.“ Jetzt haben sie im Haus Fußbodenfließen verlegt.
Die letzte große Überschwemmung erlebte die Familie Adler im vergangenen Jahr. „Das Wasser kam von allen Seiten und stand letztlich im ganzen Haus“, sagt Winfried Adler. Das habe auch damit zu tun, dass viele Nachbarn inzwischen neu gebaut und dafür den eigenen Grund erhöht hätten. „Wir liegen in einer Senke, die sich bei Regen mit Wasser füllt.“
Zwei Wetterereignisse sorgen für Überschwemmungen, berichten die beiden Adlers: Sturzregen bei schweren Gewittern und drei Tage Landregen. Dann tritt die Kollau, die einst beim Bau der Güterumgehungsbahn begradigt wurde, über die Ufer. Auf seinem Weg zur Alster staut sich das Wasser vor dem Durchgang unter der Niendorfer Straße.
Einmal über die Ufer getreten, kennt das Wasser kein Halten mehr und findet seinen Weg, selbst durch Abflusskanäle. Einmal habe er sogar erlebt, wie das Wasser Fontänen gleich aus dem Gullis strömte, erzählt Adler. Wenn es zu Überschwemmungen kommt, bleibt den den Adlers kaum Zeit bleibt, Vorkehrungen gegen eine Überschwemmung zu treffen. „Bei einem Wolkenbruch steht das Wasser innerhalb von zehn Minuten hier.“
Dass die Situation sich in den vergangenen zehn Jahren so verschärft habe, dafür trage die Stadt gehörig Mitschuld, glaubt Winfried Adler. „Durch die zahlreichen Neubauten in Eidelstedt sind große Flächen versiegelt worden, auf denen früher das Rückwasser der Kollau versickern konnte.“ Zusätzliche Abflussgräben und Rückhaltebecken seien kaum errichtet worden.
Gerade das ärgert den Renter am meisten. „Mit der Ausweisung als Überschwemmungsgebiet macht die Stadt sich einen weißen Fuß.“ Erst hätten sie zu einer Verschärfung der Situation beigetragen und jetzt würden die Folgekosten auf Privatpersonen abgewälzt. „Statt den Wullwisch als Überschwemmungsgebiet auszuweisen, hätte die Stadt ja auch mehr in den Hochwasserschutz investieren können.“
Noch vielmehr ärgert es ihn, dass die Stadt mit zweierlei Maß misst. Ein paar hundert Meter entfernt, am Hagendeel, will die Stadt auf einer Wiese, die ebenfalls im Überschwemmungsgebiet liegt, eine Flüchtlingsunterkunft errichten. Um das Gelände aufschütten zu können, werden teure Entwässerungsgräben angelegt.
Adler hingegen hat vor ein paar Tagen vom Bezirksamt ein Schreiben erhalten. Darin wird ihm und seiner Frau erklärt, dass bauliche Veränderungen nur unter besonderen Auflagen möglich seien. Ein Neubau auf Pfählen beispielsweise sei denkbar, empfiehlt das Amt.
Adler spricht von einer „kalten Einteignung“, da durch die Ausweisung seines Grund und Bodens als Überschwemmungsgebiet dieser einen kräftigen Wertverlust erleide. "Wer zieht schon in ein Haus, das bei jedem starken Regen Gefahr läuft, überflutet zu werden?“
„Rechtlich gesehen müsste der Hinweis auf eine mögliche Überschwemmungslage im Grundbuch vermerkt werden, um nicht nur die gutgläubigen Erwerber, sondern auch die gutgläubigen Veräußerer zu schützen“, bestätigt Heinrich Stüven, Chef des Grundeigentümerverbandes von Hamburg.
Rund 400 Grundstückseigentümer seien entlang von Kollau und Tarpenbek betroffen, sagt Stüven. Viele von ihnen hätten das Haus als Altersversorgung angesehen. Senatorin Blankau hatte bei der Vorstellung der Überschwemmungsgebiete einräumen müssen, dass in ganz Hamburg etwa 5000 Grundstückseigentümer betroffen seien.
Stüven ärgert sich darüber, dass die „Grundeigentümer einfach vor vollendete Tatsachen gestellt wurden und keine Möglichkeit bekamen, sich zu wehren“. Viele hätte von der Ausweisung der Überschwemmungsgebiete aus der Zeitung und dann erst auf Nachfrage bei den Bezirksämtern hin erfahren. „Transparentes Handeln der Politik sieht anders aus“, sagt Stüven.
„Es reicht nicht, Überschwemmungsgebiete auszuweisen“, sagt Stüven. Um seinerzeit die Güterumgehungsbahn bauen zu können, sei die Kollau ihres natürliches Überschwemmungsgebietes beraubt worden. „Sind derartige Veränderungen heute nicht mehr möglich, wenn es um das Wohl und Wehe von Menschen geht?“
Zudem seien die Behörden in anderen Bundesländern deutlich sensibler mit der Problematik umgegangen als die Hamburger, sagt Stüven. Adler verweist darauf, dass Bausenatorin Blankau und der Eimsbütteler Bezirksamtsleiter Sevecke öffentlich zugesichert hätten, man könne noch jetzt einen Bauantrag genehmigt bekommen, zumal die Überschwemmungsgebiete bislang nur angekündigt und gesetzlich verankert seien.
Diese Botschaft ist bei den Mitarbeitern des Bauamts offenbar nicht angekommen. Vor wenigen Tagen erhielten die Adlers ein eher ablehnendes Schreiben auf eine Bauvoranfrage. Um die Möglichkeit, auf dem Grundstück auch künftig wohnen zu können, wollten sie auf einer erhöhten Fläche von zehn mal zehn Metern ein neues Haus errichten. „Das alte Haus, das deutlich mehr Fläche beansprucht, würde dann abgerissen.“
Damit würden die Adlers - formal gesehen - sogar mehr Fläche für Überschwemmungen freigeben als jetzt vorhanden sind. Doch das Bauamt stellt sich quer. Im persönlichen Gespräch mit den Adlers äußerte eine Beamtin des Bezirksamts darüber, dass die Bausenatorin falsche Versprechen gemacht habe. „Wir waren nicht glücklich darüber, wie sich Frau Blankau geäußert hat“, habe sie erklärt, sagen die Adlers.
Der Grundeigentümberverband fordert, dass die Behörden noch Baugenehmigungen erteilen, die dem Hochwasserschutz nicht entgegenstehen und eine Nutzung von Wohnhäusern bei Überschwemmungen ermöglichen. „Hauseigentümer, die keine finanziellen Mittel für einen Neubau besitzen, sollte zumindest staatliche Unterstützung für Sicherungsmaßnahmen angeboten werden“, sagt Stüven