Hamburg. Wo ist es in der Stadt am schönsten? Teil 28: Unabhängig, naturnah und alles andere als trutschig – so ist es im Norden Hamburgs.
Die S-Bahn rattert, abwarten, nur ein paar Stationen noch. Die Sträucher an den Gleisen werden schon grüner, die Luft zieht klarer hinein. Letzter Halt: Poppenbüttel. Ein Gefühl wie aus einem Harry-Potter-Buch. Eben die Stufen von Gleis neundreiviertel hinauf. In die andere Welt. In meine Heimat. In ein märchenhaftes Viertel, das die Wahl zum besten Stadtteil leicht gewinnt.
Das Willkommen übernimmt der sandfarbene Koloss. Das Alstertal-Einkaufszentrum ist so etwas wie ein Basislager für Expeditionen in die Walddörfer und gleichzeitig der Grund, warum Poppenbüttler nie wirklich in die Stadt fahren müssen, wenn sie etwas brauchen. Links der alte Teil des 59.000 Quadratmeter riesigen Centers, wo wir pickelig mit Skateboards von den Stufen sprangen. Rechts die Boutiquen, Feinkostläden, gegenüber Saturn und das Meridian Spa. Ja, in Poppenbüttel sind die meisten Brieftaschen etwas dicker – aber weder die Parfümwolken der Damen noch das Gehabe der Herren (liebste Grüße nach Eppendorf).
Links und rechts um das AEZ fallen die Straßen teilweise steil ab, Schüler rasen auf ihren Fahrrädern routiniert die Hänge herunter, die zum Teil große Spitznamen wie „Löwenschlucht“ tragen. Kleine Wege im Grün verschlucken Spaziergänger, ich folge ihnen bis zur Lichtung im Tal.
Poppenbüttel: Das sind die Fakten
- Einwohner: 23.948
- Davon unter 18: 3961
- Über 65: 7756
- Durchschnittseinkommen: 52.147 € (2013)
- Fläche: 8,1 km2
- Anzahl Kitas: 10
- Anzahl Schulen: 3 Grundschulen, 2 Gymnasien, 1 Stadtteilschule
- Wohngebäude: 6232
- Wohnungen: 10.778
- Niedergelassene Ärzte: 128
- Straftaten im Jahr 2018: Erfasst: 1634, Aufgeklärt: 584
Burg Henneberg wurde 1887 erbaut
Dort spielt die Poppenbüttler Schleuse ihren ganzen Charme aus: Die Sonne bricht durch das Grün und lässt das Wasser glitzern, an einem Brückengeländer hängen Liebesschlösser, eine Gruppe Jugendlicher trägt Kanus zum Steg. Die Burg Henneberg auf einem 15 Meter hohen Hügel überragt die Kulisse. 1887 erbauten zwei Gutsbesitzer sie als kleinere Replik ihres thüringischen Familiensitzes. Im Jahr 2013 kaufte ein Hamburger Ehepaar das Schloss mit seinem Rapunzelturm, in dem gerade einmal 43 Quadratmeter Platz sind. Es nutzt ihn heutzutage für Vorträge, Yoga-Unterricht, Lesungen. Im dazugehörenden Park wachsen die teils seltenen Gehölze, die die Familie Henneberg dort ansiedelte.
Vom Ufer am Schloss schlängelt sich der Alsterlauf bis hinauf nach Ohlstedt, ab und an leuchten Häuser auf den Hängen, man kann mühelos einen ganzen Tag auf dem Wasser verbringen. Oder einfach an der Schleuse verweilen, im restaurierten Fachwerkhaus am Fenster sitzen und das Essen im Locks genießen, für das mitunter auch HSV-Profis ihre hochmotorisierten Autos in den weiten Norden der Stadt bewegen.
„Das ist aber schon ziemlich trutschig da, oder?“, wird man als „Born-and-raised-Poppenbüttler“ gern gefragt, es hat sich rumgesprochen, dass der Stadtteil statistisch die älteste Bevölkerung hat. Tatsächlich muss man mit der blitzreinen Luft und der Entschleunigung, die Poppenbüttel mit sich bringt, umgehen können. Aus der Zeit gefallen sind die Menschen hier aber sicher nicht. „Ach, man soll nicht dumm schnacken, es ist ein besonderer Ort hier“, sagt mir eine ältere Dame, die mich mit Rollator ein paar Schritte durch das Alstertal begleitet. „Ich war ja auch mal ein wildes Ding, mit Diskotheken und so weiter. Das sollen mal jetzt die Jungen machen.“ Poppenbüttel ist kein Altenteil, sondern ein Sehnsuchtsort für Hamburger, die keine Hektik mehr nötig haben.
Festival-Feeling in Poppenbüttel
Stattdessen teilen die Generationen hier ihre Schmuckstücke. Über kleine Brücken wandere ich hoch zum Hohenbuchenpark, wo in kleinen Häuschen Kitakinder spielen und daneben eine satte Wiese leuchtet, bevor der Hang wieder zum Alsterlauf hinunter zeigt. Im Sommer geht es hier oft zu wie auf einem Festival: lose Gruppen von Jugendlichen, die auf Bäume klettern, Fußball spielen, grillen, knutschen, bevor sie abends noch in die Sterne blicken und zu zweit auf fast zu klein gewordenen Fahrrädern weiterziehen. Daneben oft ältere Menschen, die Boccia spielen. Auf der Haut sanfter Wind, das Lachen der Kleinkinder nebenan als Hintergrund.
Auf der anderen Seite der Wiese beginnt bald der nächste Hügel, an dessen Fuß das Stock’s liegt – kaum bestreitbar eines der besten Fischrestaurants der Stadt unter Leitung von Heiko Stock, dem einst jüngsten Sternekoch Deutschlands. Wenn es Abend wird, bringt ein Shuttle-Service die Feinschmecker dorthin und sushisatt zurück, sofern der Abend bei Drinks in der darüberliegenden „Kaminstube“ nicht doch wieder länger dauert. Als es an diesem Spätsommertag dämmert, gehe ich zum Strand am Kupferteich, dem vielleicht spektakulärsten Kleinod des Stadtteils, eine Mischung aus Halbinsel, Ministrand, Naturpark und Treffpunkt. Ich atme tief. Dieser Geruch ist noch da, das Gefühl von Überwältigung und Ruhe auch. Das ist doch das Schöne an Märchen: dass ihr Zauber nie vergeht.
Poppenbüttel: Das sind die Highlights
1. Alsterwanderweg erkunden
Der gesamte Weg von der Höhe des Einkaufszentrums bis zur Mellingburger Alsterschleife ist spektakulär. Wer etwa frühmorgens unterwegs ist, kann Rehe im Grenzgebiet zu Wellingsbüttel sehen.
2. Sushi essen im Stock’s
Der Starkoch Heiko Stock lernte an der von japanischen Meistern geführten California Sushi Academy in Los Angeles. In seinem Restaurant (An der Alsterschleife 3) lässt sich das Ergebnis kosten.
3. Relaxen unter der Glaskuppel
Die Filiale des Meridian Spa am Heegbarg wartet mit einem Rundpool unter großer Glaskuppel auf. Von der Dachterrasse blickt man über das wuselige Treiben der „Poppenbüttler Innenstadt“.