Bergedorf. Nach zwei Jahren Pandemie arbeitet die Branche mit Tricks, um Kundenwünsche zu erfüllen. Ein Problem ist der Fachkräftemangel.
Die Bergedorfer Handwerksfirmen haben einerseits volle Auftragsbücher, können aber andererseits Aufträge oft nicht zeitnah ausführen, weil Materialien fehlen. So würden viele Handwerker aus dem Bereich Haustechnik, etwa Elektriker, Heizungsmonteure oder Fachleute für Sanitäranlagen, keine neuen Service- und Wartungskunden mehr annehmen, weil zuerst Altkunden mit beispielsweise ihrer Heizungswartung auf der Liste stehen. Doch verstärkt würden ihre Zulieferer kurzfristig Lieferungen absagen, weil zum Beispiel dem Gerätehersteller Teile fehlen. „Dann muss der Handwerker seine Kunden anrufen und bereits abgesprochene Termine absagen“, sagt Bezirkshandwerksmeister Christian Hamburg. „Denn er kann die neuen Geräte nicht wie geplant installieren.“
In anderen Fällen seien zwar die Geräte-Komponenten im Werk vorhanden, aber die Endmontage stocke immer noch wegen Corona-Fällen, weiß Hamburg. Die gute Nachricht: Nach mehr als zwei Jahren Corona-Ausnahmezustand seien die Betriebe allerdings trickreicher geworden, wüssten oftmals zu improvisieren. „Inzwischen sind wir Handwerker es gewohnt, mit Plan B anzutreten, gehen die meisten Betriebe strategischer vor“, sagt Hamburg, der selbst einen Meisterbetrieb für Maler-, Bodenbelags- und Raumausstatterarbeiten in Altengamme leitet.
Für Parkettböden wird Roteiche statt „normaler Eiche“ genommen
Wenn Materialien, oftmals kleine Zubehörteile, fehlen, weil Häfen in Asien geschlossen sind und Container- und Frachtschiffe sich stauen, würden die Handwerker oftmals nach Alternativen suchen – und diese finden. „Sie sprechen mit ihren Kunden, die sind in der Regel offen für solche Lösungsansätze“, sagt der 49-Jährige.
Da Eichenholz knapp ist, „weil die USA und China den Holzmarkt leergekauft haben“, verlege Hamburgs Firma nun beispielsweise häufiger Parkettboden aus Roteiche statt „normaler“ Eiche. Gefärbte Fußbodenhölzer seien schon vor der Krise sehr gefragt gewesen, und „Roteiche kann genauso gefärbt werden wie Eiche“, sagt Christian Hamburg. War man zu Beginn der Pandemie „abhängig von Dingen, die nicht in Deutschland hergestellt wurden, beispielsweise Bausteine für technische Geräte, haben inzwischen Firmen in Europa die Herstellung eben dieser Dinge übernommen, sie als Marktlücke für sich entdeckt“.
Handwerker haben einen kleineren Kundenstamm als Industriebetriebe
Während die Industrie laut Hamburg „rigoros“ die Preise für ihre Produkte erhöhe, seien die Handwerksbetriebe „vorsichtiger“: „Als letzte in der Kette geben sie die Aufschläge in der Regel nicht eins zu eins weiter, bleiben stattdessen auf einem Teil der Mehrkosten sitzen.“ Denn die Handwerker hätten einen kleineren Kundenstamm als Industriebetriebe – Stammkunden, zu denen oft seit vielen Jahren persönliche Kontakte gepflegt würden. Auch müssten sich Privatleute in der Regel nicht sorgen, dass sie monatelang auf einen Termin warten müssen, betont der Bezirkshandwerksmeister: Großprojekte brauchen manchmal jahrelangen Vorlauf.
Wer etwa einen neuen Dachstuhl bauen lassen möchte, der muss sich mindestens ein Jahr lang gedulden. Aber auf die Ausführung kleinerer Arbeiten, etwa das Streichen einzelner Räume oder Reparaturen durch einen Elektriker oder Sanitärfachmann, braucht man in der Regel nicht monatelang zu warten.“ Es sei denn, man beauftragt den Handwerker zum ersten Mal, fügt Hamburg hinzu: Dann müsse man mit einem „Aufnahmestopp“ rechnen.
Zahl der Auszubildenden ist weiter gesunken
Trotz aller Probleme sei die Auftragslage „sehr gut“, betont der 49-Jährige. Vor allem die Gewerke in den Branchen Bau, Ausbau und Haustechnik seien stark ausgelastet. In anderen Bereichen, etwa beim Nahrungsmittelhandwerk, sei die Lage sehr unterschiedlich. „Da kam und kommt es beim Bäcker beispielsweise darauf an, ob er Restaurants beliefert oder Brötchen klassisch in seinem Geschäft verkauft.“ Auch das Catering-Geschäft sei weggebrochen, da wegen Corona keine Feiern mehr ausgerichtet werden konnten. „Hingegen lief das Geschäft auf den Wochenmärkten gut“, sagt Hamburg. Im Vorteil seien auch die Betriebe, die auf Bio, Nachhaltigkeit und vollwertige Ernährung setzen, „denn darauf achten die Menschen seit Beginn der Pandemie noch mehr“.
Fachkräftemangel ist für das Handwerk ein weiteres großes Problem. Die Situation sei seit vielen Jahren schwierig, habe sich aber nochmals zugespitzt: Denn viel zu wenige junge Menschen würden sich nach der Schule für eine handwerkliche Ausbildung entscheiden. Der prozentuale Anteil aller Abiturienten, die einen Handwerksberuf erlernen, steige nicht ausreichend schnell an, weiß Hamburg.
„Das Handwerk ist stets recht stabil durch große Krisen gekommen“
Zwar würde die Zahl der Abiturienten unter den Auszubildenden seit 2013 kontinuierlich wachsen und inzwischen fast 25 Prozent ausmachen, „doch die Zahl der Azubis im Handwerk ist in den vergangenen zwei Pandemie-Jahren gesunken und der Anteil der Abiturienten unter den Schulabgängern gleichzeitig gestiegen“. Weil so viele junge Menschen Abitur machen, „müssen wir natürlich auch in dieser Gruppe der Absolventen einen größeren Anteil für uns gewinnen“.
Hamburg kann das Desinteresse am Handwerk nicht nachvollziehen: „Das Handwerk ist stets recht stabil durch große Krisen – sei es Pandemie oder Finanzkrise – gekommen. Es bietet also auch mit Blick auf unsichere Zeiten gute Zukunftsperspektiven.“ Die duale Ausbildung biete „gegenüber den meisten Studiengängen bessere Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz und ein ebenso hohes Lebenseinkommen“.
Und die Aufstiegsmöglichkeiten seien vielfältig, betont der Bezirkshandwerksmeister. Sie reichen von der Meisterausbildung über den Sprung in die Selbstständigkeit bis zum Wechsel in andere Branchen, in denen Mitarbeiter mit Handwerksausbildung willkommen sind. „Man muss ja nicht immer Geselle bleiben, sondern kann Betriebe steuern und leiten. Viele Betriebe suchen einen Nachfolger.“