Hamburg. Ausbau des ÖPNV, mehr Radwege: Senator Anjes Tjarks informiert Mitglieder des WSB über aktuelle Pläne. Nicht alle waren überzeugend.
Er war aus der Innenstadt mit dem Fahrrad nach Curslack gekommen, um in Clausen’s Vierländer Landhaus vor der Wirtschaftsvereinigung WSB zum Thema „Die Hamburger Verkehrswende und deren Umsetzung in Bergedorf“ zu sprechen: Anjes Tjarks (Grüne), Senator für Verkehr und Mobilitätswende, gelang es, die Kaufleute mitzunehmen und auf seine geplante Neustrukturierung des Verkehrs in der Hansestadt neugierig zu machen.
Hamburg will jedes Jahr 10.000 neue Wohnungen bauen, informierte der 41-Jährige. Mehr Wohnungen bedeuten steigende Einwohnerzahlen und das wiederum mehr Fahrzeuge. Da die Personenkilometer, also die zurückgelegten Kilometer mal der Anzahl der Fahrgäste, stetig anstiegen, werde ein neues Verkehrskonzept notwendig. „Einzelne müssen weniger Platz wegnehmen“, sagte der Senator und verwies auf Städte wie Wien und Kopenhagen, die moderne Mobilitätskonzepte erfolgreich umsetzten.
Mobilitätswende erst einmal ohne Bahnlinie nach Geesthacht
Für ihn sei klar, dass der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) „besser werden“ müsse. Doch das sei ein aufwendiges Unterfangen. „Hamburg hat das älteste S-Bahn-Netz Deutschlands, die Stellwerke sind von 1900. Hier wurde sehr lange autoorientierte Politik betrieben.“ Seit gut 70 Jahren seien die Wege für das ineffizienteste Verkehrsmittel, das Auto, immer weiter ausgebaut worden – zu Lasten der Bahn.
Tjarks scheint mit Statistiken bestens vertraut, nannte viele Zahlen: Etwa ein Drittel der Wege in Hamburg werde mit dem Auto zurückgelegt, in Bergedorf hätten wiederum aber nur knapp zwei Drittel der Haushalte einen Wagen. 72.000 Bergedorfer würden täglich mit der S-Bahn fahren.
Mehr Strom für längere Züge
Die Stadt bemühe sich um Geld vom Bund, um 2023 sogenannte Gleichrichterwerke bauen zu können. Sie würden die Bahn mit mehr Strom versorgen, der notwendig sei, damit längere Züge rollen können. Kosten: 60 Millionen Euro.
Eine Reaktivierung der Bahnlinie Bergedorf-Geesthacht sei reizvoll, aber vorerst unwahrscheinlich, berichtete der Politiker, der im Senat die neu geschaffene Behörde für Verkehr und Mobilitätswende führt, zuvor Fraktionsvorsitzender der Hamburger Grünen war. Zwar würde der Bund womöglich 90 Prozent der Kosten übernehmen, aber für das Land Schleswig-Holstein, das das Projekt mitzufinanzieren hätte, spiele die Bahnverbindung nur eine untergeordnete Rolle.
Innerhalb von zwei Jahren 450 Straßenkilometer saniert
Tjarks betonte, dass kein anderer Verkehrssenator so viele Straßen saniert habe wie er, „450 Kilometer innerhalb von zwei Jahren“. Und: „Die meisten Baustellen sind gut koordiniert.“ Dringend sanierungsbedürftig seien vor allem Brücken wie die Norder- und die Süderelbbrücke, die in diesem Jahrzehnt erneuert werden sollen.
Zwischen Geesthacht und der Hamburger Innenstadt soll entlang der Bahnlinie ein ampelfreier Radschnellweg gebaut werden. Der durch die Vier- und Marschlande führende Marschbahndamm werde in Teilbereichen saniert, „könnte auch weiter ausgebaut werden“. Das Bergedorfer Radwegenetz sei „nun in der Entwicklung“.
Schutzstreifen für Radfahrer mittlerweile verboten
Es käme darauf an, Wege zu bauen, „auf denen sich Menschen wohlfühlen“, betonte der Grüne. Sie müssten „breiter sein und Schutz vor dem fließenden Verkehr bieten“. Er würde seine Planer fragen, ob sie auf den von ihnen angedachten Wegen ihre zwölfjährige Tochter fahren lassen würden. Die bisherigen Schutzstreifen für Radfahrer (gestrichelte Linien) seien „totaler Blödsinn“. Er habe solche Neuplanungen inzwischen verboten.
Ein Zuhörer machte darauf aufmerksam, dass Radfahrer auf dem Curslacker Deich, einer kurvenreichen, schmalen Straße ohne Radstreifen, von Autofahrern nicht überholt werden könnten. Die Probleme seien „nicht über Nacht“ zu lösen, entgegnete Tjarks, der betonte, dass es nicht nur in der City vorangehen dürfe. „Das Stadtrad-Netz wollen wir auch in ganz Bergedorf ausbauen.“ Bike + Rad-Stationen seien an allen S-Bahnhöfen geplant. „Die Politik muss ein gutes Angebot schaffen.“ Die Hamburger müssten vor der Haustür abgeholt werden „und vor allem einen guten Takt haben“.
Nur fünf Minuten Fußweg zum nächsten ÖPNV-Angebot
Von 2030 an soll ein „Hamburg-Takt“ den Ton angeben: Dann soll von jedem Ort in der Stadt aus „von früh bis spät“ ein ÖPNV-Angebot innerhalb von fünf Minuten Fußweg erreichbar sein. Dazu würden Bahnlinien ausgebaut, mehr Busse (auch Express) eingesetzt, autonomes Fahren, Sharing- (Teilen) und On-Demand-Systeme (auf Bestellung) wie Moia erweitert werden – stets mit Elektroantrieb.
Kunden sollen in durchschnittlich vier Minuten an jedem Ort in Hamburg abgeholt werden können. Tjarks. „Wir müssen Entwicklungssprünge machen.“ 10.000 geteilte Fahrzeuge könnten 250.000 private Pkw ersetzen, verriet der Senator. Es brauche grundlegende Veränderungen, er erwarte „eine Revolution in der Mobilitätsindustrie“. Schließlich sei das individuell gefahrene Auto „das ineffizienteste Verkehrsmittel“.
WSB: Zu wenig Parkplätze für Gewerbe und Handwerk
Auch der gewerbliche Verkehr, der in Hamburg ein gutes Viertel ausmache, müsse klimaneutral werden, betonte der 41-Jährige. Gewerbe und Handwerk hätten allerdings massive Probleme, vor den Häusern der Kunden in der Innenstadt überhaupt einen Parkplatz finden, sagte WSB-Geschäftsführer Marc Wilken. Selbst für kurze Lieferungen sei kein Platz. „Auch für Kunden aus dem Umland werden Parkplätze benötigt“, fügte er hinzu.
Tjarks Antwort dürfte Wilken und viele der anwesenden Geschäftsleute nicht zufriedengestellt haben: Er komme ständig an Parkplätzen vorbei, es scheine nicht zu wenig davon zu geben, „schließlich werden die vielen Autos ja alle irgendwo abgestellt“. Firmen sollen sich künftig für Kundenbesuche Parkflächen übers Internet reservieren können. Dies sei in der Realität kaum praktikabel und viel zu umständlich, entgegnete Wilken.