Curslack/Bergedorf. Kapitän Ingo Werth wollte nach einem schweren Verkehrsunfall helfen. Als die Polizei eintrifft, kommt es zum Schlagabtausch.

Es war eigentlich ein schöner frühsommerlicher Abend gewesen, den Ingo Werth Ende Mai 2019 mit seiner Frau Susanne auf seinem Segelboot am Ufer der Dove-Elbe unweit der Schiefen Brücke in Curslack verbrachte. Doch er endete für den ­61-jährigen Lohbrügger in Handschellen. Wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte muss sich Werth seit Dienstag vor dem Amtsgericht Bergedorf verantworten.

Dabei wollte der Lohbrügger nur helfen, als er am späten Abend des 24. Mai 2019 nach einem lauten Knall auf den Curslacker Deich gerannt war. Ein VW Passat war dort um kurz nach 23 Uhr mit voller Wucht in die Hauswand der Vierländer Volksbank gekracht. Der damals 30 Jahre alte Fahrer aus Rumänien war in dem Wagen eingeklemmt und nicht ansprechbar.

Werth wird ins Gesicht geschlagen, Polizist erstattet Anzeige

Ingo Werth, der als Kapitän für verschiedene Hilfsorganisationen an der Rettung von Geflüchteten beteiligt gewesen war und dafür 2016 mit dem Bürgerpreis unserer Zeitung ausgezeichnet wurde, ging „vom Schlimmsten aus“, wie er berichtet und versuchte den jungen Mann zu stabilisieren, um die Halswirbelsäule nicht zu gefährden. So hockte er auch an der offenen Fahrertür, als die Polizei eintraf und ihn aufforderte, seinen Platz zu räumen. Ingo Werth aber wollte als Ersthelfer die Stabilisation der Halswirbelsäule nicht aufgeben, bevor Notarzt oder Rettungssanitäter am Unfallort eingetroffen waren.

Im Mai 2019 kommt ein rumänischer Autofahrer mit seinem VW Passat von der Straße ab und kracht in Curslack in die Hauswand der Vierländer Volksbank. Ingo Werth, Kapitän verschiedener Hilfsorganisationen, ist als Ersthelfer vor dem Notarzt vor Ort.
Im Mai 2019 kommt ein rumänischer Autofahrer mit seinem VW Passat von der Straße ab und kracht in Curslack in die Hauswand der Vierländer Volksbank. Ingo Werth, Kapitän verschiedener Hilfsorganisationen, ist als Ersthelfer vor dem Notarzt vor Ort. © Christoph Leimig | christoph leimig

Es kam zum Handgemenge: Laut Werth habe der Beamte mehrfach geschrien, dass alle den Unfallort verlassen sollten. Als er dem nicht nachkam, sei er an der linken Schulter vom Auto weggezogen worden, dadurch gekippt und ins Straucheln gekommen. Er habe sich an dem Beamten wieder hochgezogen. Der Polizist habe ihn dann wüst an der Kleidung am Oberkörper gepackt und mit der Faust volle Wucht ins Gesicht geschlagen. Er sei dann auf einem kleinen Rasenstück zu Boden gebracht worden. Dort sei ihm erneut mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden sein, erzählt Werth. Anschließend wurden ihm Handschellen angelegt.

Aus Sicht der Polizei habe sich Ingo Werth dagegen geweigert, sich vom Fahrzeug zu entfernen. Weil er nach einem Beamten geschlagen haben soll und versucht habe, einen Polizisten wegzudrücken, um dem Verletzten weiter zu helfen, wurde er „zu Boden gebracht“ und abgeführt. Bei der Durchsetzung des Platzverweises habe ein Polizist leichte Verletzungen an Bein und Hand erlitten, berichtete ein Polizeisprecher nach dem Unfall. Der Beamte habe Anzeige erstattet.

Beamter wird zu dem Vorfall 75 Minuten lang vor Gericht befragt

Für Ingo Werth war die Situation völlig unverständlich: „Zu keinem Zeitpunkt hätte es für mich einen Grund gegeben, einen Beamten anzugreifen. Ich wäre froh gewesen, wenn der Beamte den Überblick behalten, mich zum Zustand des Schwerverletzten befragt und dann mitgeteilt hätte, wann ich mit einer professionellen Ablösung hätte rechnen können. Hier hätte es sich höchstens um ein bis zwei Minuten gehandelt. Der Beamte hat planlos und übereifrig reagiert, er war mit der Situation überfordert, hat sich verrannt. Der Beamte hat den Schwerverletzten mit seinem Verhalten extrem gefährdet und ganz nebenbei mich durch seine Faustschläge und Traktionen erheblich verletzt“, sagt Werth.

Ingo Werth wird am späten Abend des 24. Mai 2019 in Handschellen abgeführt. Er wollte nur helfen.
Ingo Werth wird am späten Abend des 24. Mai 2019 in Handschellen abgeführt. Er wollte nur helfen. © Christoph Leimig | christoph leimig

Am Dienstagnachmittag hat die Verhandlung vor Gericht begonnen. Werths Anwalt Matthias Wisbar gab gleich zu Beginn zu Protokoll, er habe schon einige Verfahren erlebt, bei denen der Polizei „ein Glaubwürdigkeitsvorsprung“ gewährt worden sei. Sein Mandant wollte sich vorerst nicht äußern. Richter Dr. Sebastian Gößling erklärte, er habe schon genügend Verfahren geführt. Es gebe Fragezeichen und Dinge in den Akten, die sich für ihn obskur lesen würden, so der Richter.

Polizist forderte alle auf, sich zu entfernen

Dann wurde der Polizist aufgerufen. Der Beamte verrichtet nicht mehr in Bergedorf, sondern in der Einsatzzentrale in Hamburg seinen Dienst. Seine Aussage sowie die Befragung durch Richter, Staatsanwältin und dem Verteidiger dauerte knapp 75 Minuten. Um einen besseren Eindruck zu gewinnen, ließ der Richter ihn eine Skizze des Unfallortes anfertigen.

Der Polizist schilderte den Streit zwischen dem Ersthelfer und den drei rumänischen, des Deutschen nicht mächtigen Mitfahrern des Unfallfahrers. Werth wollte ihn im Auto belassen und stabilisieren, die Beifahrer den Fahrer aus dem Pkw ziehen. Um die Lage zu deeskalieren, forderte der Beamte alle Beteiligten auf, sich zu entfernen. Da sich der Angeklagte weigerte, eskalierte der Streit zwischen ihm und dem Beamten, so der Polizist: „So etwas habe ich noch nicht erlebt.“

Auf Initiative des Verteidiger ist noch die Befragung der Beamtin begonnen worden, die mit ihrem Kollegen zu dem Unfall gerufen worden war. Sie erinnerte sich deutlich schwächer an den Hergang als ihr Kollege. Die Verhandlung soll am 12. Februar fortgesetzt werden.