Hamburg. Vom Pagen zum Hotel-Betreiber: Der 64-Jährige geht in den Ruhestand. Der Zollenspieker-Chef blickt auf 50 bewegte Jahre Hotellerie.
Oliver Kahle verabschiedet sich zum Jahresende aus dem Zollenspieker Fährhaus. Der 64-jährige geschäftsführende Gesellschafter stand 18 Jahre an der Spitze des Hamburger Hotel-Restaurants am Zollenspieker Hauptdeich 141. Er scheidet am 31. Dezember komplett aus, auch aus der Betreibergesellschaft. "Meine Anteile bleiben bei der Familie Sellhorn."
Kahle ist seit 50 Jahren im Beruf. Nachdem 1992 das alte Waldhaus in Reinbek, damals nur ein Restaurant, abgebrannt war, kümmerte sich Kahle mit um den Neuanfang. "Damals war ich Direktor des Sachsenwald-Kongress-Hotels, das, wie auch das Waldhaus, der Familie Schunke gehörte." Es war für ihn das erste Projekt, bei dem es um einen Hotel-Neubau ging. Die Erweiterung des Zollenspieker Fährhauses unter der Regie der Familie Sellhorn war das zweite Projekt. Die Planung sei in beiden Fällen arbeitsintensiv gewesen, habe ihm aber auch viel Spaß gemacht. In Zollenspieker konnte Kahle die beiden Häuser - das historische Fährhaus und den Neubau - in Einklang bringen.
Zollenspieker Fährhaus: Hotel-Betreiber Kahle geht in den Ruhestand
Die jüngste Tochter (33) von Kahle lernte im Fährhaus den Beruf der Hotelfachfrau. "Anschließend hat sie studiert. Jetzt unterrichtet sie als Berufsschullehrerin Azubis von uns", sagt der verheiratete Vater dreier erwachsener Kinder, der seit 30 Jahren in Reinbek lebt. Kahles Frau ist ebenfalls ausgebildete Hotelfachfrau - deshalb lernte er sie 1981 kennen, in einem Hotel in Lübeck. "Sie war Rezeptionistin und ich Bankettleiter."
Kahle stieg bereits im zarten Alter von 14 Jahren in die Hotelbranche ein. Damals jobbte er als Page, trug Promis wie Henry Vahl oder Brigitte Bardot die Koffer, putzte den Gästen ihre Schuhe. Dann folgte die Kellner-Ausbildung, die er im Alter von 21 Jahren beendete. Als Bundeswehrsoldat war Kahle in Eutin stationiert. In einer alten Villa befand sich das Offizierscasino, das der junge Mann leitete. "Als in Bonn im Garten des Bundeskanzleramtes Sommerfest gefeiert wurde, war ich abkommandiert worden, um Helmut Schmidt am Tisch zu bedienen." Denn sein guter Ruf in der Gastronomie eilte ihm schon damals voraus: Als Kellner-Azubi hatte er an Berufswettkämpfen in Schleswig-Holstein und in Skandinavien teilgenommen - und Medaillen geerntet.
Stellvertretender Direktor im Hotel Kurhaus in Travemünde
Nach der Bundeswehr arbeitete der Vorzeige-Kellner in einem Hotel-Restaurant in Genf. "So ein Auslandsjahr war für die Ambitionierten in unserem Beruf selbstverständlich - und die Schweiz galt als das Nonplusultra." In Genf sei ihm klargeworden, "dass das Restaurant nur einen Teilbereich darstellt". Sein Ziel: "Hoteldirektor."
An der Kurpromenade in Travemünde kam er seinem Ziel einen großen Schritt näher: Im Hotel Kurhaus wurde Kahle als stellvertretender Direktor eingestellt. Damals war er 25 Jahre jung. Zuvor hatte Kahle im benachbarten Maritim-Hotel gearbeitet. "Dort hatte ich elf Jahre zuvor als Page gejobbt." Im Mövenpick-Hotel in Lübeck war Kahle Bankettchef, danach fing er im Reinbeker Sachsenwald-Kongress-Hotel an.
Im großen Saal feierten ADAC, CDU und Schützen
"Ich hatte die Betreiberfamilie Schunke über den ehemaligen Restaurantleiter des Waldhauses kennengelernt. Die suchten damals einen Direktor für das frisch eröffnete Hotel." Diesen Posten bekleidete Kahle in dem Fünf-Sterne-Hotel, das mehrfach schon die deutsche Fußball-Nationalmannschaft beherbergte, von 1995 bis 2002.
Kahle und seine Crew bewirtschafteten auch das im CCR gelegene Forum mit seinem großen Saal. Fortan gab es dort jede Menge Kultur und Tanz, erstmals auch Musicals. "1985 trafen sich dort 500 Gäste zum Brunch - der Auftakt einer langen Tradition." In dem Saal, dem größten in der Region, feierten ADAC, CDU und Schützen. "Wir haben dort auch die ersten Dinner-Shows angeboten. Heute ist das gang und gäbe."
Kahle arbeitete immer schon gern unmittelbar mit den Gästen
Im Zollenspieker Fährhaus bat Kahle dann zu "Ü-30-Partys" mit Discjockey Carsten Schniedewind. Kahle fing im Februar 2003 in Zollenspieker als Geschäftsführer an, ist seit 2012, dem Jahr, in dem der Neubau eröffnet wurde, auch als Gesellschafter beteiligt.
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Kahle bezeichnet sich als "Überzeugungstäter". Für ihn sei es keine Frage gewesen, was er nach dem Realschulabschluss mache. Er sei fasziniert gewesen von der Welt der Schönen, Reichen und berühmten, die im Nachtklub des Casinos Travemünde ein- und ausgingen. "Dort traten Weltstars auf und mischten sich auch unters Publikum." Kahle erlebte sie aus nächster Nähe mit, weil er am Tresen aushalf. "Über meinen Beruf konnte ich mich in dieser spannenden Welt bewegen." Er arbeite auch gern unmittelbar mit den Gästen. "Ich kümmere mich gern darum, dass es dem Gast gut geht." Auf seiner "Ochsentour" habe er "immer wieder in andere Bereiche reingeschaut".
Im Hotel übernachten Gäste aus der ganzen Welt
Die große Zeit der alten Grand-Hotels sei spätestens in den 80er-Jahren vorbei gewesen, sagt Kahle. "Für Travemünde war das für das gesamte Seebad von Nachteil. Schließlich lebte der mondäne Badeort vom Glanz und Glamour."
Dass er die vergangenen 17 Jahre ein Hotel führte, das sich an einem abgelegenen, wenig mondänen Ort befindet, stört Kahle nicht: Er beherbergte Gäste aus ganz Deutschland, die dort ihren Kurzurlaub an der Elbe genossen und die weitläufige Saunalandschaft im Untergeschoss des Hauses entdeckten. In dem Hotel übernachten Gäste aus der ganzen Welt, die nach Hamburg reisen. Andererseits werden dort Hamburger beherbergt, die die ruhige Lage zu schätzen wissen und sich an der Schönheit der Vierlande erfreuen.
Im Ruhestand mehr Zeit in den Förderverein Vierländer Ewer stecken
Auch viele Geschäftsreisende aus dem europäischen Ausland begrüßte der Hotelier in Zollenspieker. "Firmen wie Hauni, Fette oder Airbus sind häufig bei uns zu Gast." Gäste aus Übersee - etwa aus Singapur oder den USA - seien wiederum den vielen Hochzeitsfeiern geschuldet, die in Zollenspieker ausgerichtet würden. Die "Randlage" auf dem Lande sei eine Herausforderung gewesen, die es zu meistern galt. Dies ist Kahle gelungen. Der Umsatz ist von Jahr zu Jahr gestiegen - das Corona-Jahr 2020 einmal ausgenommen.
Kahle engagiert sich in seiner Freizeit beim Förderverein Vierländer Ewer. Nun, im Ruhestand, will er dieses Engagement intensivieren. Und im Fährhaus wird er sich sicher auch dann und wann blicken lassen - auf ein Bier, als Gast.
Die Geschicke des Zollenspieker Fährhauses lenkt künftig eine Doppelspitze: Neben Karoline Pospiech (31), die Kahle bereits seit zwei Jahren zur Seite steht, startet zum Jahresbeginn André Egger als Geschäftsführer.
Das Zollenspieker Fährhaus und die Corona-Krise:
Derzeit werden wegen des Lockdowns nur Geschäftsreisende beherbergt. Etwa zehn Prozent der Zimmer seien belegt. Sonst würden Geschäftsreisende und Tagungsgäste rund 60 Prozent der Zimmer beanspruchen. Frühstück gibt es nicht, die Gastronomie im Haus ist geschlossen. In den Jahren vor Corona seien in der Zeit vor Weihnachten - neben vielen anderen Speisen - jeweils mehrere Hundert Gänse zubereitet worden.
Die Fixkosten für den Betrieb des Hotel-Restaurants lägen bei 300.000 Euro im Monat. Dadurch, dass die meisten Angestellten in Kurzarbeit sind, seien es derzeit 50.000 Euro weniger, berichtet Kahle. "Aber wir bleiben auf 250.000 Euro sitzen - im Monat." Auch die Abzahlung der Immobilie belaste die Gesellschafter. Kahle hofft, dass die angekündigten Finanzspritzen der Regierung bald gezahlt werden. "Inzwischen haben wir immerhin eine pauschale Vorauszahlung bekommen."
Im Corona-Jahr 2020 sei der Umsatz gegenüber dem Vorjahr insgesamt um 35 Prozent gesunken. "Das ist eine traurige Begleitmusik, denn vorher haben wir von Jahr zu Jahr ein Plus verzeichnet." So bedrohlich wie jetzt sei die Lage noch nie gewesen, "selbst in der Finanzkrise 2008 nicht oder als nach dem 11. September 2001 die Aktienkurse einbrachen". Auch damals hätten sich die Wirtschaftskrisen deutlich spürbar auf den Reiseverkehr ausgewirkt, "aber wir konnten weiter arbeiten".
Im Fährhaus (60 Doppelzimmer) seien 76 Mitarbeiter fest angestellt, hinzu kämen mehr als 20 Aushilfen. Sie hatten von Mitte Juni bis Ende September, als ganz Deutschland innerhalb seiner Grenzen Urlaub machte, gut zu tun: "Da war das Haus voll belegt mit Urlaubsgästen, die es genossen haben, dass sie hier viel Platz haben, etwa auf den weitläufigen Terrassen."
Schon Anfang März habe die Geschäftsführung mit Blick auf Corona die Strategie geändert: "Wir sind weg von den Kulturveranstaltungen und haben uns mehr auf Urlaubsgäste, vor allem Rad-Urlauber, konzentriert", sagt der 64-Jährige. Normalerweise mache der Betrieb seine Top-Umsätze im Sommer, würden zwischen Mai und September 100 Hochzeiten im Fährhaus gefeiert.