Hamburg-Neuengamme. Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft spricht bei Gedenkfeier auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme klare Worte.
Die Gedenkfeier fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wegen Corona waren gestern nur Pressevertreter zugelassen, als Hamburgs Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher und Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit am Volkstrauertag in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme der Opfer von Krieg und Gewalt gedachten. Sie hatten allerdings zahlreiche weitere Politiker, Militärs und Vertreter weiterer Institutionen im Schlepptau, die vor dem Internationalen Mahnmal, der 27 Meter hohen Stele, ebenfalls Kränze niederlegten. Sie trugen alles einen Mund-Nasen-Schutz und hielten Abstand zu den anderen.
Deshalb, weil sich die Anwesenden auf dem weitläufigen Gelände verteilte, wurde die Rede von Carola Veit über Lautsprecher übertragen. Die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft, die in Tatenberg lebt, sprach vor der Kranzniederlegung deutliche Worte: Die Ermordung der Hälfte der in dem Konzentrationslager inhaftierten Menschen durch die Nationalsozialisten sei „ein trauriger Höhepunkt in den Geschichtsbüchern, die über die Rolle der Hansestadt in der NS-Zeit schreiben“, sagte Carola Veit. „Wir müssen aufpassen, dass so etwas nicht wieder geschieht.“ Erinnerungsarbeit müsse weiter intensiv fortgeführt werden. Denn Menschenwürde und Respekt seien für einige Bürger nur „verstaubte Begriffe“.
Hinter Tweets lauere manchmal reinster Faschismus
Hinter Facebook-Mitteilungen und Twitter-Tweets (Kurzmitteilungen beim Internet-Chat) lauere manchmal reinster Faschismus, betonte die 47-jährige SPD-Politikerin, die seit 16 Jahren der Bürgerschaft angehört und seit 2011 deren Präsidentin ist. Die Werte der Menschlichkeit würden im weltweiten Netz oft abgelehnt, so wie auch „vermeintliche Eindringlinge in die Komfortzone“ abgelehnt würden, also Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland flüchten. Das oft vorgebrachte Argument „Das wird man ja noch sagen dürfen“ habe keine Berechtigung, sagte die Politikerin – und ging noch einen Schritt weiter: Dass, was sich im Internet auf Facebook & Co. jeden Tag finde, „darf man in einem so vorbelasteten Land wie Deutschland nicht nur nicht sagen, sondern nicht einmal denken“, betonte Carola Veit. „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“
Dr. Martine Letterie, Präsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme, dem internationalen, 1958 gegründeten Verband der ehemaligen Häftlinge und deren Nachkommen, konnte wegen Corona nicht aus den Niederlanden nach Neuengamme anreisen. Sie musste, wie viele weitere Amicale-Mitglieder aus dem benachbarten Ausland auch, ihre Teilnahme an der Gedenkfeier absagen.
Demokratische Werte nicht für jeden selbstverständlich
Die Rede der Frau, deren Großvater Martinus Letterie 1942 im Konzentrationslager Neuengamme ermordet worden war, wurde verlesen. „In diesen sich ändernden Zeiten ist es wichtiger denn je, den Opfern des Nationalsozialismus zu gedenken“, hatte die Holländerin formuliert. Denn demokratische Werte seien heutzutage leider nicht mehr für jeden selbstverständlich. Um so wichtiger sei es, dass die Nachkommen der Verfolgten und der Ermordeten die Geschichten ihrer Vorfahren erzählen, betonte Martine Letterie. „Hoffentlich können wir damit anderen zeigen, was geschieht, wenn die Demokratie schwindet.“
Martinus Letterie und seine Freunde hatten sich der Roten Hilfe angeschlossen, um deutschen Kommunisten, die in die Niederlande flohen, zu helfen. Am Morgen des 25. Juni 1941 wurde Letterie in Hilversum von den deutschen Besatzern verhaftet und nach Neuengamme verschleppt. Dort starb er am 25. Januar 1942 im Alter von 33 Jahren.
Tschentscher sprach später am Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung auf dem Friedhof Ohlsdorf, wo eine weitere Gedenkfeier stattfand. „Die Erinnerung an die Vergangenheit ist eine Mahnung für die Zukunft, dass wir alle jeden Tag entschieden gegen jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eintreten“, sagte Tschentscher.