Ohe. Der Reinbeker Verein analysiert Spiele mit einem KI-gestützten Videotool. Was bei Profis Normalität ist, erobert nun den Amateurfußball.
Künstliche Intelligenz spielt im Profifußball längst eine Schlüsselrolle, doch auch im Amateurbereich werden digitale Hilfsmittel immer häufiger genutzt. So verwendet der Fußball-Landesligist FC Voran Ohe seit der Winterpause ein KI-gestütztes Videosystem namens Veo. „Außer uns haben das in unserer Liga meines Wissens auch noch der Bramfelder SV und Vorwärts-Wacker Billstedt“, sagt Voran-Coach Matthias Wulff.
Rund 1000 Euro kostet eine solche Kamera in der Anschaffung, darüber hinaus wird pro Saison ein dreistelliger Betrag an Lizenzgebühr fällig. Dafür können mehrere Teams eines Vereins das System nutzen. Das Besondere: Von einem sieben Meter hohen Mast aus, der an der Mitte des Spielfelds aufgebaut wird, filmt das Videotool mit zwei Kameras die beiden Spielfeldhälften, ein integrierter Chip fügt die Aufnahmen zu einem kohärenten Film zusammen. „Darauf kann ich dann taktische Dinge markieren oder einzelne Spieler highlighten“, erläutert Wulff.
Voran Ohe setzt auf KI-gestützte Videos – wie immer mehr Amateurvereine
Vor allem für das Zusammenspiel der einzelnen Mannschaftsblöcke sei das hilfreich. Der fertige Film landet dann per Stream auf den Handys der Spieler. So ein KI-gestütztes Videosystem sei eine lohnende Investition, ist Wulff überzeugt. „Nach einem Spiel erinnert man sich ja sonst oft nur noch an die Tore, aber nicht daran, wie sie genau entstanden sind“, erläutert er. „Doch gerade die Entstehung ist für uns Trainer oft das Interessante.“
Im Profi-Fußball hängen an solchen digitalen Tüfteleien Millionensummen. Das gilt für die Spielanalyse ebenso wie für die Suche nach neuen Spielern. Wann immer zum Beispiel Torhüter Jiri Pavlenka mit Werder Bremen ein Spiel gewinnt, ist das auch ein Triumph für die KI. Denn Computer-Algorithmen legten den Werder-Verantwortlichen 2017 nahe, sich für den damals gänzlich unbekannten Torhüter von Slavia Prag zu interessieren und letztlich 1,5 Millionen Euro für ihn zu überweisen.
Werder Bremens Glücksgriff Pavlenka war eine Empfehlung der KI
Ein Glücksgriff. Pavlenka kassierte in seiner ersten Saison 2017/18 in 34 Partien nur 40 Gegentreffer und trug so dazu bei, dass die Bremer einen sicheren Mittelfeldplatz belegten, während wirtschaftlich stärkere Konkurrenten wie der Hamburger SV und der 1. FC Köln auf den Abstiegsplätzen landeten. In nur einer Saison steigerte der Torhüter seinen Marktwert von 1,5 Millionen auf 12,5 Millionen Euro. Bis heute ist er die Nummer eins bei den Grün-Weißen.
Für die Spielanalyse sind bei den Proficlubs KI-gestützte Videosysteme und ein intensives Scouting der Begegnungen längst Standard. Die digitalen Daten, die dabei produziert werden, sind im Grunde für jeden einsehbar. HSV-Fans, die sich zum Beispiel ein Bild davon machen wollen, ob die 1,3 Millionen Euro Jahresgehalt für Stürmer Robert Glatzel gut angelegt sind, können mühelos eine Fülle an Informationen über ihn finden.
So hat Glatzel in der abgelaufenen Saison 19 Tore erzielt und dafür 114 Mal aufs Tor geschossen, wobei 53 seiner Abschlüsse so gut waren, dass sie für Gefahr sorgten. Glatzel hat darüber hinaus dank seiner stattlichen Körpergröße von 1,93 Metern 74 Kopfballduelle gewonnen und so für Ballbesitz oder Torgefahr gesorgt. Der HSV-Stürmer, der immer ein wenig behäbig wirkt, hat zudem 570 Sprints angezogen und mit weiteren 1842 sogenannten „intensiven Läufen“ Lücken in die gegnerische Abwehr gerissen.
Digitale Analysen ermöglichen es, weltweit Spieler zu vergleichen
Auch wenn aus Glatzel kein Dauerläufer mehr werden wird, hat er auf dem Spielfeld stattliche 347,9 Kilometer zurückgelegt. Umgerechnet kostet den HSV also jeder gelaufene Glatzel-Kilometer knapp 4000 Euro. So lassen sich weltweit die Leistungen von Profis vergleichen. Es wird deutlich, was sie können – und was sie nicht können. Wenn ein Stürmer wie Glatzel in einer Saison nur fünf Flanken schlägt, dann will er wohl nicht über die Flügel kommen.
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Früher mussten die Spieler kleine Sender tragen, sogenannte „Wearables“, damit während des Trainings oder Spiels ihre Laufleistung ermittelt werden konnte. Heute ist die künstliche Intelligenz der speziell zu diesem Zweck entwickelten Kameras so gut, dass sie die Nummern der Spieler erkennen und den Akteur für sich markieren kann.
Vor allem junge Spieler sind von den Möglichkeiten fasziniert
Und nicht nur das: Die KI erkennt auch, wo der Ball ist, ob im Mittelkreis oder in Tornähe und schneidet so selbstständig die Höhepunkte einer Begegnung für die Nachbesprechung zusammen. „Manchmal sind dann nur hinter dem Tor spielende Kinder zu sehen“, schildert Wulff. „Aber die Trefferquote der KI liegt bei rund 95 Prozent.“
Vor allem junge Spieler, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind, seien von solchen Möglichkeiten begeistert. „Wir haben zum Beispiel den 20-jährigen Aaron Brüning vom SC Eilbek geholt“, schildert Voran-Trainer Wulff. „Der hatte Angebote von vielen Vereinen, doch als ich ihm von Veo erzählt habe, hat er gleich am nächsten Tag bei uns zugesagt.“
Seitdem Voran Ohe auf KI-gestützte Videos setzt, geht es aufwärts
Der gläserne Landesliga-Spieler, er ist also längst Realität. Zufall oder nicht: Seitdem der FC Voran Ohe das Videotool Veo nutzt, geht es bergauf, arbeitete sich das Team bis auf den dritten Tabellenplatz vor. „Die KI-gestützte Videoanalyse ist da aber nur ein Baustein“, relativiert Wulff, der mit seinem Team gerade in der Saisonvorbereitung steckt. Am heutigen Sonnabend, 17. Juni, geht es in Reinbek gegen den Bezirksliga-Aufsteiger ASV Bergedorf 85 (17 Uhr, Theodor-Storm-Straße).