Bergedorf. Ausgerechnet während des Lockdowns stehen bei vielen Vereinen die Kündigungstermine an.
Jeden Morgen wirft Joachim Lehmann, 1. Vorsitzender des TSV Glinde, einen Blick auf die Sportanlagen des Vereins. „So eine gähnende Leere, wie tot, das ist deprimierend“, sagt er. Im Zuge des Lockdowns zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind die Sportvereine noch den ganzen November über zur Untätigkeit verdammt. Doch nun drohen deutlich höhere Mitgliederverluste als beim ersten Lockdown im Frühjahr. Denn praktisch alle Vereine sind mit einer Frist von vier oder sechs Wochen zum Jahresende kündbar. Der Kündigungstermin liegt also Mitte/Ende November und damit genau in der Zeit der Beschränkungen. „Die Toleranzgrenze der Mitglieder ist rapide gesunken“, hat Lehmann registriert. Von 2967 TSV-Mitgliedern im März hat sich die Zahl der Getreuen auf 2686 verringert. Tendenz fallend. „Ich hoffe, dass wir mit glatten 2600 aus dem Jahr gehen“, blickt Lehmann voraus, „bei 2500 wäre die Schmerzgrenze, bei der ich sage: Jetzt wird es bannig eng.“
Doppelt so viele Austritte wie sonst beim SC Vier- und Marschlande
Selbst Vereine, die während des ersten Lockdowns keine Probleme hatten wie der SC Vier- und Marschlande, spüren jetzt die Auswirkungen. „Es hält sich alles in einem moderaten Rahmen, aber es ist merklich“, sagt SCVM-Geschäftsführer Thomas Niese. „Wir haben etwa doppelt so viele Austritte und Passivschreibungen wie sonst zu dieser Zeit.“ Eine Passivschreibung ist eine Möglichkeit, gegen einen geringen Beitrag formal Vereinsmitglied zu bleiben, ohne dort weiterhin Sport zu treiben.
3450 Mitglieder hatte der SCVM zu Jahresbeginn. „Ich bin froh, wenn wir mit 3200 rausgehen“, betont er. Generell sei die Fluktuation im SCVM eher gering, folglich stünden die Vier- und Marschländer im Vergleich zu anderen Vereinen noch gut da. „Ich habe oft neidvoll auf die Möglichkeiten der großen Vereine geschaut“, gibt Niese zu, „jetzt bin ich froh, nicht deren Kostenstruktur zu haben.“
TSG Bergedorf bangt um Entwicklung im Fitnessbereich
Großvereine wie die TSG Bergedorf, deren hauptamtliche Mitarbeiter zum überwiegenden Teil wieder in Kurzarbeit sind. Die TSG ging mit 11.000 Mitgliedern ins Jahr und verlor bereits im Zuge des ersten Lockdowns im Frühjahr rund 1000 Sporttreibende. Ein ähnlicher Schwund könnte wieder drohen. „Damals lag der Kündigungstermin Mitte Mai, als der Lockdown gerade vorbei und so etwas wie ein Lichtblick am Ende des Tunnels erkennbar war“, erinnert der TSG-Vorsitzende Boris Schmidt. „Jetzt liegt er Mitte November. Der Zeitpunkt des zweiten Lockdowns ist für uns der unglücklichste überhaupt.“
Hinzu kommt, dass der Fitnessbereich – der Markenkern der TSG – in besonderem Maße betroffen ist. Dieses Segment boomt vor allem zu Jahresbeginn, wenn die guten Vorsätze Heerscharen von Abnehmwilligen in die Fitnessstudios treiben. „Nach dem Januar ist der November im Fitnessbereich der zweitstärkste Monat im Jahr, was Neueintritte betrifft“, erläutert Schmidt.
TSV Reinbek profitiert von ihren flexiblen Kündigungsfristen
Bei der TSV Reinbek bereiten dem 1. Vorsitzenden Norbert Schlachtberger vor allem die seit Monaten fehlenden Eintritte Sorgen. Seit Beginn der Sommerferien ist die Zahl der Sporttreibenden im Verein von 3900 auf 3600 gesunken. Wie der TSV Glinde ist auch die TSV Reinbek vierteljährlich kündbar – ein wichtiger Unterschied zu vielen anderen Clubs, bei denen das seltener möglich ist. Schlachtberger ist daher optimistisch, dass bei den drohenden Austritten die augenblickliche Situation seinen Verein nicht so arg treffen wird. „Wir sind wirtschaftlich sehr solide aufgestellt, haben noch auf kein einziges Fördermittel zurückgreifen müssen“, betont er. „Aber wenn der Lockdown noch länger dauert, kommen auch wir ins Schleudern.“