Lohbrügge. Kunststoff wird beim der Zersetzung oft zum giftigen Problem. Wie Wissenschaftlerinnen an der HAW Lösungen auf der Spur sind.
Sie haben kuschelige 20 Grad und werden täglich mit Hefe und leckeren Algen gefüttert: Die Wasserfloh-Damen im Labor der Lohbrügger Hochschule dürften zufrieden sein, können wachsen und sich brav im Becherglas fortpflanzen – wenn sie nicht irgendwann zum forschenden Einsatz kämen. Da gibt es diese kleinen Körnchen, Pellets aus Kunststoff, die ihnen das Leben zur Qual machen können. „Manches Material ist giftig. Dann wollen wir herausfinden, welches Additiv im Kunststoff dafür verantwortlich ist“, sagt Silja Kröger. Sie arbeitet an ihrer Doktorarbeit im Labor für Umweltanalytik und Ökotoxikologie an der Fakultät Life Sciences.
Seit drei Jahren ist die Umwelttechnikerin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) eingebunden in das Projekt „Bio-Plastics Europe“, das mit einem Etat von 8,5 Millionen Euro ausgestattet ist. Es geht darum, Kunststoffe zu entwickeln, die aus nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Maisstärke hergestellt werden und biologisch abbaubar sind, sich also selbst zersetzen oder kompostierbar sind. Daran forschen 22 Partner aus elf europäischen Ländern, also Universitäten, Forschungsinstitute und private Hersteller-Unternehmen. „Manchmal ist es ein Albtraum, bis die sich untereinander verstehen“, meint Projektmanagerin Dr. Jelena Barbir lächelnd.
HAW Hamburg forscht zu Bio-Plastik – giftfrei, abbaubar und trotzdem stabil
Die Biologin und Umweltwissenschaftlerin koordiniert aus Lohbrügge das Projekt und ist die Schnittstelle für alle Informationen und Ergebnisse: „Die Uni in Bologna etwa kümmert sich um die Markteinführung neuer Materialien, ein belgisches Institut holt Feedbacks von externen Experten hinzu. Dazu testen viele Labore wie Fraunhofer und das Alfred-Wegener-Institut.“ Nicht zuletzt gibt es noch Partner Nummer 23: Eine Firma in Malaysia, die zugeben muss, dass das Bio-Bewusstsein auf dem asiatischen Markt sehr zart, das Wort Ökobilanz noch weitgehend fremd ist. Doch die 38-Jährige betont: „Wir wollen niemanden überzeugen und nichts verkaufen, sondern forschen und Lösungen entwickeln.“
Giftfrei, abbaubar und trotzdem stabil soll das Material sein, etwa Mulchfolie aus Poly-Milchsäure, die gern auf Erdbeerfeldern eingesetzt wird – nach Gebrauch meist untergepflügt und fragmentiert. „Für Wasserflöhe und Fische erwies sich die Mulchfolie in unseren Experimenten als toxisch“, stellte Silja Kröger fest und fand heraus, dass die Folie Methylnaphthalin enthält – was der Hersteller jedoch abstreitet. „Dann haben wir entdeckt, dass die Kontaminierung von dem Schmieröl auf der Walze stammt, mit der die Folie hergestellt wird. Jetzt wird ein anderes, ungiftiges Öl verwendet“, sagt die 28-Jährige – und freut sich: „Toll, wenn man als Wissenschaftlerin doch mal wahrgenommen wird.“
Die Mischung der Bestandteile ist oftmals das – giftige – Problem
Auch im Wasser testet die Vierländerin Bio-Kunststoffe, etwa in einem Metallkäfig, der in der Elbe hängt: Wie ist das Material abbaubar, verliert es etwa einzelne Substanzen? Bei einer Wasserflasche zum Beispiel wäre es ja unglücklich, wenn sie sich nach 14 Tagen abbauen würde. Auch Fischernetze sollten langlebig und reißfest sein. „Im Gegenzug haben wir ein Material entdeckt, das sich richtig gut im Wasser abbaut und sogar bald als Fischköder eingesetzt werden könnte“, meint Silja Kröger. Doch leider wird man nicht auf alle herkömmlichen Kunststoffe verzichten können, da die Anwendungen nicht immer für Bio-Kunststoffe geeignet sind. „In der Medizin werden sterile Verpackungen wohl immer aus konventionellem Plastik sein, ebenso die Verpackungen von starken chemischen Reinigungsmitteln wie etwa Lackentferner.“
Jedenfalls möge das Bio-Plastik-Projekt neue Lösungen finden, auch auf politischer und juristischer Ebene inspirieren: „Für Kunststoff müssen zum Beispiel derzeit nur die einzelnen Komponenten zugelassen sein. Die Mischung der vielen Additive wie Weichmacher oder Flammschutzmittel aber ist oft ein Problem, das total unterschätzt wird und in der Umwelt als Schadstoff-Cocktail wirken kann“, warnt die Doktorandin.
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Nicht alles kann Bio-Plastik werden – aber manches ließe sich umstellen
Dass neue Varianten von Bio-Plastik nicht unbedingt den Erdball retten werden, man lieber weitestgehend ganz auf Plaste verzichten sollte, ist allen Forschenden durchaus bewusst. Manchmal aber sind es nur die kleinen Dinge, die die Welt ein bisschen besser machen – wenn man Geduld hat: Sandspielzeug für Kinder etwa wird gern mal am Strand vergessen und von einer Welle geraubt, so Kröger: „Dann wäre es doch toll, wenn sich der Kunststoff nicht erst nach 400 Jahren im Meer auflöst, sondern sich schon nach zehn Jahren biologisch abbaut.“ Das jedenfalls würde auch ihren winzigen Wasserfloh-Damen gut gefallen.
Aktionstag und Vortrag zum Thema Plastikmüll und Recycling
Wohin mit all dem Plastikabfall? Diese Frage steht im Mittelpunkt eines Vortrags, den Dr. Ina Vollmer am Donnerstag, 18. August, von 18 Uhr an im Bürgerhaus Allermöhe hält. Sie ist Assistant Professor an der Universität Utrecht und forscht zu chemischen Verfahren zum Recycling von Kunststoff. Anschließend ist sowohl eine Diskussion geplant als auch ein Rundgang durch eine Plakatausstellung der Hamburger Heinrich-Böll-Stiftung: „Pack aus! Plastik, Müll & ich“ lautet der Titel. Die Werke können noch bis Ende September zu den üblichen Öffnungszeiten am Ebner-Eschenbach-Weg 1 betrachtet werden.
Schon vorher, am 14. August, gibt es rund um das Planetarium im Hamburger Stadtpark einen Aktionstag rund um das Thema Plastikmüll: Zwischen 11 und 17 Uhr gibt es Filme, Vorträge, ein Sternentheater und einen Plastikparcours für Kinder. Zudem stellt sich ein Müll-Scout der Stadtreinigung vor.