Lohbrügge. Lohbrügge. Wissenschaftler erforschen Qualität und Nachhaltigkeit von Verpackungsmaterialien.

Umweltbewusste Wassersportler dürfen sich neuerdings an der Alster zwei Stunden lang kostenlos ein Kajak ausleihen – wenn sie dem dänischen Verein „Green Kayak“ versprechen, beim Ausflug Plastikmüll aus dem Wasser zu fischen. „Da werden sie nicht nur Plastikfische finden, sondern auf Grund auch die Bleigewichte der rund 1500 Hamburger Angler“, glaubt Prof. Dr. Bernd Sadlowsky.

Mikro-Plastik in den Meeren

Er ist gerade ein gefragter Mann: Journalisten und Kameraleute reisen zum 1954 gegründeten Verpackungsinstitut am Ulmenliet, das mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften kooperiert: Alle wollen wissen, wie sich die Menge Mikroplastik in den Meeren verringern lassen.

Verpackungsanteil beträgt etwa ein Prozent

Doch das Thema sei in Sachen Verpackungen gar nicht so schrecklich brisant, meint der Institutsleiter. Schließlich seien es zu 33 Prozent Textilien und Reifen-Abrieb, die in den Wellen landen: „Der Mikro-Plaste-Anteil über Verpackungen liegt bei gerade mal einem Prozent.“

Und was würde es schon nützen, wenn hier um jedes Milligramm Kunststoff mühsam gerungen werde, wenn andernorts der Müll gleich tonnenweise im Meer landet? „Wir brauchen uns in Deutschland nicht geißeln, wenn die Verwertungsquote samt Verbrennung schon bei 99 Prozent liegt. Wir müssen uns global mit dem Problem auseinandersetzen und Jobs schaffen.“

Wie kleine Kinder behandelt

Glas-Fan Sadlowsky will den leichten und günstigen Kunststoff nicht verteufeln. Er sei immer auf der Suche nach einem Kompromiss zwischen Ressourcenschutz und Bequemlichkeit: „Neben Kunststoff-Strohhalmen wird auch Einweggeschirr verboten. Man spricht uns Europäern die Mündigkeit ab, behandelt uns wie kleine Kinder“, ärgert sich der 50-Jährige.

Er will vor allem Verpackungsmaterial reduzieren, dafür stehen Mehrwegsysteme und Recycling ganz oben auf seiner Liste. Beispiele gefällig? Die Wissenschaftler haben genau gewogen: Ein halber Liter „Pepsi light“ wird in einer Kunststoff-Flasche abgefüllt, die (ohne Deckel) 25,5 Gramm wiegt. Die gleiche Menge „Volvic“-Wasser (ohne Kohlensäure) kommt mit einer 15,8-Gramm-Flasche aus.

Glasflaschen gibt es auch halb so dünn

„Und Glas ist inzwischen schon um die Hälfte dünner geworden“, sagt der Verpackungsexperte und vergleicht eine übliche Bierflasche (311 Gramm) mit einem Modell aus der Schweiz (182 Gramm): „Das macht man leider in Deutschland nicht, weil es angeblich zu teuer wäre, die Maschinen umzustellen.“

Zum Schluss reicht es für ‘nen Blumentopf

Zurück zum Kunststoff: Könnten Joghurtbecher biologisch abbaubar sein – vielleicht im Heißkomposter? Da seien noch viele Fragen offen: Biopolymere etwa – Kunststoffe auf Basis von Maisstärke oder Zuckerrohr – seien zwar denkbar für Verpackungen, aber „eignen sich ohne zusätzliche Kunststoff-Barrieren nicht für jedes Lebensmittel, weil die Wasserdampf-Durchlässigkeit so hoch ist“, sagt der Professor für Werkstofftechnik. Er nimmt doch lieber den herkömmlichen Kunststoff („eine Ketchup-Flasche besteht aus mindestens sechs Schichten“) und verkleinert ihn zum winzigen Granulat: „Eine Parkbank oder einen Blumentopf kann man immer daraus machen.“

Supermarkt als Eldorado

Auch wer eine Ikea-Tüte tausendfach nutze oder neuerdings bei Edeka ein Einkaufsnetz für Obst und Gemüse nehme, brauche kein schlechtes Gewissen haben, meint der Institutsleiter, der einen Spaziergang durch den Supermarkt „als Eldorado für mich“ beschreibt. Da komme er auf die Idee, dass für Auberginen eine Papier-Banderole statt Aufkleber reiche, dass Kiwis und Bio-Kartoffeln auch per Laser graviert werden können – „bloß bei Bananen kann die Schale verbrennen“.

Skalpell sicher verpacken

Noch wenig umweltbewusste „Hamburger Pfeffersäcke“ waren es, die 1954 „seemäßige Verpackungen“ suchten, als sie am Container-Terminal Tollerort den Vorläufer des Instituts gründeten, berichtet Bernd Sadlowsky: „Seither haben wir nun einen gemeinnützigen Verein, der unabhängige Prüfergebnisse liefert. Zugleich gibt es eine GmbH, die Aufträge aus der Industrie bekommt, damit die Forschung finanziert.“

Unternehmen wie Zalando, Tesla, Beiersdorf und Daimler Benz beteiligen sich ebenso wie Amazon, Lufthansa, Dräger und Montblanc. Derzeit habe er viel zu tun, um nachhaltige und perfekte Lösungen zu finden: Wie lassen sich sterile Spritzen oder ein Skalpell perfekt verpacken? Wie ein Haarspray, bei dem sich der Sprühkopf nicht verschieben darf? Wie eng dürfen die Produkte lagern, ohne dass sich der Barcode verschiebt oder etwas zerbricht?

Experimente mit Maden

In den Lohbrügger Laboren kann getestet werden, wie sich Medikamente in der Kühl- und Wärmekammer halten, wie eine Wellpappe gestaucht werden darf, wie lange Transporte zu überstehen sind. Forscher experimentieren mit Tuben, Folien, Röhren und Dämpfen – und sogar Maden: „Denn die fressen Styropor, das schlecht abbaubar ist und verbrannt werden müsste. Und die vollgefressenen Maden dienen immerhin noch als Viehfutter“, sagt Sadlowsky.

Kindersicher oder altersgerecht?


Andere Herausforderungen stehen bevor, etwa altersgerechte Verpackungen: „Haben Sie mal gesehen, wie mühsam alte Menschen diese kleinen Kaffeesahne-Portionen öffnen?“ Es geht auch anders herum: „Medizin etwa sollte für Kinder unzugänglich sein. Da muss man am besten drehen, drücken und die Hymne rückwärts singen. Sowas dürfen wir tatsächlich in Kindergärten testen“, sagt der Chemietechniker und Verfahrensingenieur schmunzelnd.

Letztlich gehe es bei allem „nicht um Weltfrieden, sondern um Industrie-Produktion“. Fast acht Milliarden Menschen tauschen weltweit Waren in Transportverpackungen aus. So plant auch die HAW jetzt einen berufsbegleitenden Masterstudiengang der „Technischen Verpackungslogistik“. Das erste Modul besteht aus den „Werkstoffwissenschaften der Packstoffe“, als nächstes sollen Korrosion, Logistik, Nachhaltigkeit und Arbeitsschutz folgen. Infos unter www.haw-hamburg.de/weiterbildung.