Hamburg. Heinz Kretschmer schert seit 40 Jahren Schafe, hat seitdem kiloweise weiße Wolle verkauft. Aber heute will sie niemand mehr haben.
Nur widerwillig lässt sich das Schaf aus dem Stall ziehen. Heinz Kretschmer packt es auf eine große Holzkiste, fixiert das Tier mit seinem rechten Knie und seiner linken Hand. Dann setzt der 69-Jährige die Schermaschine an. Nach etwa zehn Minuten ist das drei Jahre alte, schwarze Schaf kaum wiederzuerkennen: Kretschmer hat es von seinem Winterfell befreit. Die frisch geschorene Wolle packt er in einen großen Müllsack. Das Schaf wird auf einem Pkw-Anhänger festgebunden und später mit weiteren Artgenossen auf die Sommerweide gebracht.
Heinz Kretschmer schert seit 40 Jahren Schafe, seine eigenen und die von anderen. „Es ist mein Hobby“, sagt der Mann, der selbst mehr als 50 Schafe auf seinem Hof am Achterschlag hat, „23 Muttertiere und gut 30 Lämmer“. Kretschmer ist Rentner, hat 46 Jahre lang bei Aurubis (ehemals Norddeutsche Affinerie) sein Geld als Verhüttungstechniker verdient.
Heinz Kretschmer hat sich früher für das Scheren Urlaub genommen
Kretschmers Schafe werden geschlachtet, am Achterschlag, wo der Rentner ein kleines Schlachthaus hat. Auch diese Arbeit erledigt er selbst. Das Fleisch wird von ihm und seiner großen Familie verzehrt, aber auch von Freunden und einigen Stammkunden. „Mit den Fleischverkäufen kann ich meine Kosten decken“, sagt er. Lämmer werden in der Regel geschlachtet, wenn sie ein Jahr alt sind, die älteren Tiere „spätestens mit zehn Jahren, wenn sie anfangen ihre Zähne zu verlieren“. Schafe können maximal 20 Jahre alt werden. Kretschmer schlachtet auch Hühner von anderen Haltern.
Mit dem Schlachten hat Kretschmer, der derzeit wenige Wochen alte Lämmer (Hopsi und Hannes) mit der Flasche füttert, keine Probleme: „Mein Vater hatte Ziegen. Damals habe ich ihm beim Schlachten geholfen. Das kenne ich von klein auf an.“
Die Wolle sei wertlos, betont der Schafzüchter: Bis zum Mauerfall habe er pro Kilo drei Mark bekommen, doch nach der Grenzöffnung seien die Preise in den Keller gegangen: „Plötzlich bekam ich nur noch eine Mark und im Jahr darauf noch viel weniger. Heute liegt der Preis bei 20 Cent – für gute, weiße Wolle“, sagt er.
Wie es zu dem Preissturz kam, wisse er bis heute nicht. „Zumal ich heute viel weniger Schafe schere. Damals waren es pro Saison im Frühjahr bis zu 700 und ich musste mir für das Scheren Urlaub nehmen. Heute sind es rund 100.“ Seine Kunden befänden sich in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die viele Wolle sammelt er in einem großen Schuppen, bis sie am Ende verbrannt wird.
Seine Kunden zahlen mindestens 5 Euro für das Scheren
Derzeit schert Kretschmer seine eigenen Tiere. Wenn er mit seiner Scherausrüstung andere Züchter besucht, hat er oft nicht viel zu tun: „Dort erwarten mich ein bis maximal 30 Schafe.“ Sein Preis richte sich nach der Anzahl der Schafe, „schließlich muss ich die Kunden anfahren“: Für ein Tier werden – „inklusive Fußpflege“ – 30 Euro fällig. Bei 30 Schafen zahlt der Halter 5 Euro pro Tier. Abtransport und Entsorgung der Wolle seien im Preis inbegriffen.
Einmal im Jahr werden die Schafe von ihrer Wolle befreit, meist im Mai. „Von allein verlieren die Tiere ihre Wolle nicht. Doch weil sie sonst zu viel Volumen bekommen und die Wolle durch Dreck und Kot hart wird, müssen sie regelmäßig geschoren werden.“
Die Tiere anderer Züchter würden wegrennen, sobald sie Kretschmer mit seinem Anhänger erblicken. „Dabei tut das Scheren nicht weh.“ Auch das Wegschneiden von Horn an den Klauen, eine Art Fußpflege, sei für die Tiere nicht schmerzhaft, betont der 69-Jährige, der auch diese Arbeit beherrscht. Auf Weiden auf seinem einen Hektar großen Hof und auf zehn weiteren kleineren Flächen in den Vier- und Marschlanden hält Kretschmer verschiedene Rassen, „die verschiedene Gräser und Kräuter fressen“.
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Früher kamen Scherkolonnen aus England nach Hamburg
Früher habe es viele Scherkolonnen aus England gegeben, die hierzulande Züchtern ihre Dienste anboten. „Da hat ein Mann bis zu 300 Tiere am Tag geschoren.“ Heute kämen entsprechende Dienstleister eher aus Osteuropa, weiß der Curslacker, der keinen weiteren Schafscherer in Hamburg kennt. Für seine Dienste hat er nie Werbung machen müssen: „Das hat sich schnell rumgesprochen.“ Auch andere Arbeiten bietet er an, etwa das Mähen von Koppeln oder das Pflügen von Äckern.
Immer mal wieder sind Schulklassen zu Gast bei Kretschmer, um zu sehen, wie ein Schafscherer arbeitet. Erst am Montag, 8. Mai, war eine Schulklasse aus Kirchwerder bei ihm, in der auch sein Enkelkind ist. Lehrer, die einen Termin absprechen wollen, erreichen Kretschmer telefonisch unter der Nummer 040/720 63 40.