Hamburg. Die Lehrerin aus Curslack ist auf Facebook und Instagram mit pädagogisch fundierten Ratschlägen präsent. Hier eine kleine Kostprobe.
Der Lockdown belastet die Familien. Der Nachwuchs muss zu Hause lernen, die Eltern arbeiten im Homeoffice statt beispielsweise im Büro. Alles spielt sich plötzlich von morgens bis abends in den eigenen vier Wänden ab. Nicht selten gibt es Streit und Zank. Juliane Brachvogel coacht beruflich Familien, die sich an sie wenden, wenn es zu Hause immer wieder Spannungen gibt. Nun, während des Corona-Lockdowns, gibt sie regelmäßig praktische Tipps in den sozialen Netzwerken, "um den Familien das Leben zu erleichtern", sagt sie. Ihre Posts würden regelmäßig von mehreren Hundert Menschen gelesen.
Es gibt neue Reibungspunkte, Absprache ist notwendig
Schon während des ersten Lockdowns waren ihre Expertisen bei Facebook und Instagram zu sehen. In der Regel geht es in den Beiträgen darum, wie Familien gemeinsam auf engem Raum miteinander klarkommen. "Spannungen gibt es nun, wo alle immer zu Hause sind, massiver. Probleme, die oft schon lange existieren, treten in dieser Extremsituation geballt auf."
Immer wieder neue Absprachen seien jetzt unvermeidbar - oft ein Problem, besonders, wenn die Kommunikation schon früher nicht funktionierte. "Nun gibt es neue Reibungspunkte, etwa, wer wo arbeitet." Wichtig sei, dass jedes Familienmitglied weiß, was es braucht. Und: Die eigenen Bedürfnisse müssten klar, "aber positiv, auf einer guten Basis" kommuniziert werden.
Verbindlicher Tagesplan für alle Mitglieder der Familie
Es müsse eine Tagesstruktur gefunden werden, die alle im Haushalt berücksichtigt, "denn alle sind gleichberechtigt". Ein Reibungspunkt sei häufig, dass Eltern ihre Arbeit wichtiger einschätzen als das Lernen ihrer Kinder. "Oder andersrum: Eltern, die den Fokus nur auf das Wohlergehen ihres Nachwuchs legen. Eltern gehen permanent über ihre Grenzen und geben sich auf." Die Balance müsse gefunden werden.
Juliane Brachvogel postet Beiträge zu verschiedenen Themen, nennt etwa einen Rahmen für Homeschooling und -office: "Es muss ein verbindlicher Tagesplan für alle Familienmitglieder erstellt werden, inklusive der Arbeits- und Pausenzeiten und möglichst mit gemeinsamer Mittagspause." Nach Feierabend sollte die Familie gemeinsam etwas Schönes machen, etwa ein Gesellschaftsspiel spielen, - und tagsüber darauf hinarbeiten. "Der Tagesplan muss morgens oder am Vorabend gemeinsam erstellt werden."
Auch die Familie Brachvogel mache das: "Unsere Kids erstellen inzwischen ihre eigenen Pläne, die sie mit uns abgleichen." Ab einem gewissen Alter, wenn die Kinder selbstständig genug seien, könne diese Aufgabe an sie übergeben werden. "Kinder wollen schließlich Verantwortung übernehmen."
40-Jährige berücksichtigt Erkenntnisse aus der Hirnforschung
Durch den Zuhause-Unterricht würden die Eltern "in einen Rollenkonflikt gebracht", denn nun müssten sie "auch Lehrer sein". Juliane Brachvogel: "Das überfordert viele Eltern." Sie hätten zu ihren Kindern schließlich eine ganz andere Beziehungsebene, seien "eigentlich nicht Aktiv-Lehrende". Die Beurteilung schulischer Leistungen könne die familiären Beziehungen stören. Plötzlich seien die Eltern in den Schaffensprozess eingebunden. "Dabei ist es eigentlich wichtig, dass sie weniger Kontrolle ausüben und Verantwortung abgeben. Denn sie bleibt, was Inhalte und Feedback angeht, ja weiter bei den Lehrern." Die Eltern sollten nur einen geeigneten Rahmen zur Verfügung stellen - Raum, Zeiten, Internet. "Was die Kinder daraus machen, bewertet der Lehrer", sagt die Pädagogin.
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Bei ihren Ratschlägen berücksichtigt die 40-Jährige aktuelle Erkenntnisse aus der Hirnforschung ebenso wie "sämtliche pädagogischen Richtungen, die die Selbstständigkeit der Kinder in den Mittelpunkt stellen".
Die 40 Jahre alte Curslackerin hat ihre Praxis ("Entfaltungsraum") in ihrem Wohnhaus am Achterschlag in Curslack. Juliane Brachvogel arbeitet als Grundschullehrerin, hat diverse Zusatzqualifikationen erworben. Unter anderem ist sie zertifizierte Lerntherapeutin. Ihre selbstständige Tätigkeit will sie weiter ausbauen, deshalb im Juli als Lehrerin aufhören - zumindest fast: "Eventuell werde ich den musikalischen Bereich weiter betreuen." Für ihre Praxis sucht sie neue Räume: "Ich würde gern mit Berufskollegen unter einem Dach arbeiten."
Reine Nachhilfe ist für Kinder oft nicht ausreichend
Sie habe viel Kontakt zu Familien, werde oft um Rat gefragt. Es gehe etwa um Kinder, die Lernschwierigkeiten haben, Auffälligkeiten in ihrer Entwicklung. Das äußere sich durch fehlende Selbstkontrolle. Häufiger Streit mit anderen Kindern sei eine Folge. Ihnen bietet Juliane Brachvogel gezieltes Lerntraining, eine Lerntherapie, an. "Es geht darum, zu schauen, wie die Schwierigkeiten entstanden sind. Hat das Kind in seiner frühkindlichen Entwicklung wichtige Schritte noch nicht gemacht?" Bei Problemen mit dem Lesen und Schreiben könne wiederum der Sehnerv nicht richtig ausgeprägt sein. "Dann hat das Kind kein Rechts-und-Links-Gefühl." Juliane Brachvogel biete in so einem Falle gezieltes Bewegungstraining an, grobmotorisch.
Was viele Eltern nicht wissen: Die reine Nachhilfe ist oft nicht ausreichend, betont die Expertin. Deshalb müsse erstmal geklärt werden, ob die Grundlagen für Lernen vorhanden seien. Oft stünden familiäre Spannungen, soziale Probleme wie Mobbing und fehlende Freundschaften dem Lernerfolg im Weg. "Leider sind diese Schwierigkeiten nicht die große Ausnahme." Sogar Paare, die eine Familie planen, würden sich von ihr coachen lassen, sagt Juliane Brachvogel.
Die Familien-Tipps der Pädagogin sind bei Facebook und Instagram unter den Stichwörtern "Juliane Brachvogel" und "Entfaltungsraum" zu finden.